August ist Wespen-Zeit. Jetzt sind die Völker am größten und am hungrigsten. Panik wäre falsch. Anleitung zum besseren Verständnis.

An welchem Tag hat Gott bloß dieses Mistvieh geschaffen? Vermutlich war er im Voraus schon von der Perfektion im Paradies gelangweilt. Der sechste Tag kam ihm gerade recht, denn am Wochenende, wenn man sich mal entspannen könnte, sind Wespen noch lästiger als in der Woche. Es brummt und surrt und schlürft und sticht. Und richtig Gutes tut es nicht. Die Wespe ist das Sommermonster. Und der August ist ihr Monat, dann nämlich ist ein Wespenvolk am stärksten ausgebildet.

Wer das wirklich wahre Leben außerhalb des Büros kennt, draußen auf Sport- und Spielplätzen, an Planschbecken in Zoos oder auf Wiesen, der weiß, wovon die Rede ist. Alles kann sie einem verleiden. Und jetzt im August bricht ihre Hochzeit an, etwa 7000 Tiere zählt ein Wespenstaat jetzt mindestens - bis zu 12.000 können es sein. Im August werden die jungen Königinnen für die letzte Generation vor dem Staatszerfall hochgepäppelt, die Arbeiterinnen müssen vermehrt Futter besorgen. Noch dazu führen überfüllte Nester zu Stress, genauso wie kurze Sommer, sodass die Tiere auf der Nahrungssuche hektischer sind und aggressiver wirken.

Wer nun meint, dass das erst schleppend dahergekommene Sommerwetter die Anzahl der Insekten reduziert hätte, irrt: Dieser Sommer ist wespenstark. "Das liegt daran, dass wir einen sehr kalten Winter und ein warmes, trockenes Frühjahr hatten", sagt Sylke Dawartz vom Hamburger Amt für Natur- und Ressourcenschutz in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Im Winter bilden die befruchteten Jungköniginnen Glycerol, einen Frostschutz, der sie in eine Winterstarre versetzt. Bleiben die Temperaturen gleichmäßig kalt, bewegen sie sich nicht, verbrauchen keine Energie. "Die Königinnen sind stark in den Frühling gestartet", sagt Dawartz, "und die Trockenheit hat verhindert, dass Nester von Pilzen oder Parasiten befallen werden."

Wer Kinder hat, hat also jetzt gleich doppelt so viel Unruhe. Denn verklebte Schnütchen und klebrige Obsthändchen locken die Gemeine Wespe - Vespula vulgaris - an, die gemeinsam mit der Deutschen Wespe Vespula Germanica die "gefährlichste" ist. Vor allem Allergiker sind im August in Alarmbereitschaft und sollten ihr Notfallset immer bei sich tragen. Bei Stichen entwickelt jeder Mensch als normale Abwehrreaktion des Immunsystems rund um die Einstichstelle eine Quaddel. Bei Allergikern kann ein normalerweise harmloser Stich aber zu teilweise heftigen Reaktionen bis zum anaphylaktischen Schock führen: Innerhalb von Minuten können Herzrasen, Schwindel, Kreislaufkollaps und Atemnot bis hin zum Ersticken auftreten. 20 Menschen sterben jährlich in Deutschland an einem Stich. 3000-mal müssen Patienten wegen Wespenstichen notärztlich versorgt werden.

"Für Kinder, bei denen eine Insektengiftallergie festgestellt wurde, kann eine spezifische Immuntherapie sehr hilfreich sein. Denn Wespen- und Bienenstiche lassen sich schwer vermeiden. Allergische Kinder müssen ohne Behandlung im Frühjahr und Sommer bei ihren Aktivitäten im Freien immer ein Notfallset bereithalten", sagt Prof. Dr. Hans-Jürgen Nentwich, Vizepräsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).

Alle Experten-Ratschläge lassen nur einen Schluss zu: im Haus bleiben, Fenster und Türen zu - und einfach den Herbst abwarten, bis die Nester sich auflösen und die Königinnen sich in den Winterschlaf begeben. Aber wie soll man Obstbäume, Tiergehege, Kaffeetische oder Abfallkörbe meiden? Darf man nie farbige Blumenmuster, auch keine schwarze oder gelbe Kleidung tragen? Haarspray und Parfum sind verboten, duftende Shampoos, Aftershaves, Sonnencreme oder Deos genauso. Barfuß im Park oder lockere Latschen am Strand sind tabu; alles, was süß und lecker ist; selbst Sport im Freien, wegen des Schweißgeruchs. Ja Gott, was bleibt denn da vom Sommergefühl? Wie soll man mit der Wespe leben?

"Flirrig fliegt der Wesp umher, man weiß gar nicht, was will denn der", singt die Band Wir sind Helden, zeigt sich erst mal ratlos und später kampflustig: "Fliegen sie dir in die Tasse? Könnt's sie retten - nö, ach lasse!"

Wenn nun aber ein Zusammentreffen mit dem gestreiften Brummer unausweichlich erscheint und erste Anzeichen von Paranoia auftreten, dann bleibt nur eins: immer drauf zu. Oder, um es mit den Worten des chinesischen Militärstrategen Sun Tzu (544 v. Chr. bis etwa 496 v. Chr.) zu sagen: "Kenne deinen Feind und kenne dich selbst, und in hundert Schlachten wirst du nie in Gefahr geraten."

Auch Sylke Dawartz plädiert dafür, die fliegende Gefahr kennenzulernen: Die Panik sei es, die vieles verschlimmere, sich auch auf Kinder übertrage und die Wespe alarmiere. "Wann immer wir unsere Imker zum Einsatz schicken, um Nester umzusetzen, erleben wir, dass die Menschen nicht viel über das Insekt wissen. Die Imker klären auf und informieren. Das hilft", sagt Dawartz.

Die "Feindin" ist maximal 19 Millimeter groß, gestreift, lässt sich im Notfall mit einer ruhigen Bewegung beiseitewischen und ist nicht per se angriffslustig. Sie kann in einem Winkel von 180 Grad sehen - das allerdings nicht wirklich präzise und nur in schnellem Flug einigermaßen scharf. Deshalb folgt sie ihrem exzellent ausgebildeten Geruchssinn, was wegen sich verändernder Duftfahnen zu Zickzackflügen führt.

Heftig umherschwirrende Wespen sind also nicht unbedingt aggressiv, sondern versuchen ihr Ziel zu finden. Mit Nelken gespickte Zitronen mag die Wespe nicht, auch einer speziellen Lavendelart weicht sie eher aus. Sie ist wesentlich schneller als wir - 33 km/h legt sie vor - und nimmt die Bewegungen eines Menschen als Zeitlupe wahr. Die Hand, die nach ihr schlägt, sieht sie demnach schon fast vor dem Ausholen und weicht aus, bevor es brenzlig wird. Schlagen und hektische Bewegungen machen sie aggressiv. Auf An- oder Wegpusten reagiert sie wie auf eine Wetterveränderung recht schlecht gelaunt. Wenn sie aber Wind von einer erschlagenen Artgenossin bekommt, stürzt unsere "Feindin" sich solidarisch ins Feld. Eine recht soziale, dem menschlichen Verhalten ähnliche Regung, die man der Art, die etwa 120 Millionen Jahre alt ist, respektvoll zugestehen sollte.

Nur die zwölf Staaten bildenden Wespen (von 750 Arten) verfügen über Stachel, die imstande sind, durch menschliche Haut zu dringen. Nur die Gemeine Wespe und die Deutsche Wespe gehören hierzulande zu den "gefährlichen" Wespen für Allergiker und bei Stichen im Bereich der Luftröhre. Ansonsten sind sie eigentlich nicht gefährlich, auch wenn ein Wespenstich hundsgemein wehtut. Zum Vergleich: Das Gift der viel gelobten Biene ist zehnmal wirksamer als das der Wespe. Überhaupt ist der Lobgesang auf die Biene nicht fair! Nur weil das Bienchen, typisch deutsch, weil ach so fleißig, über Wald und Heide fliegt, um uns manche volle Wabe zu bauen, sticht sie die Wespe noch lange nicht aus.

Die ist nämlich in Zeiten von Terror in der globalisierten Welt fast schon ein Heilsbringer. Im US-Bundesstaat Georgia ist es Forschern im vergangenen Jahrzehnt gelungen, einen Wespen-Sprengstoffdetektor zu entwickeln, genannt WaspHound, in dem Wespen wie Spürhunde imstande sind, TNT zum Beispiel in Koffern oder in Kleidung zu entdecken. Die Wespen sind ungemein gelehrig. Sie lernen nach drei Trainingsversuchen, also innerhalb weniger Minuten, Alarm zu schlagen, wenn sich im Sprengstoff die chemische Substanz 2,4-DNT befindet. Sobald sie den Zielduft wahrnehmen, fliegen sie in dem Wespensensor, der aus einem fünf Zentimeter breiten PVC-Rohr besteht, aufgeregt umher. Eine Minikamera übermittelt die Bewegungen an einen Computer - der Alarm geht nach maximal 30 Sekunden los.

Nicht alltagstauglich? So ganz stimmt das nicht. Denn den Lerneifer der Wespe kann sich der Mensch auch zu Hause zunutze machen, wenn er Wespen loswerden will. Man muss sie nur darauf trainieren, zu einer bestimmten Futterquelle zu fliegen; zum Beispiel zu einem mit Zuckerwasser gefüllten Teller am Rand der Terrasse, fern der Kuchentafel. Allerdings sollte das Training schon einen oder zwei Tage vor dem Kaffeeklatsch und nicht erst in letzter Minute beginnen.

Wer nun aber partout kein Verständnis aufbringen kann und den Streifenwesen keine Chance zum Stechen lassen will, muss zu härteren Waffen greifen. Gift empfiehlt sich nicht, das ist auch der eigenen Gesundheit weniger zuträglich. Wer die typisch graubraun gefalteten Wespennester im Garten, am Schuppen, auf dem Balkon oder auf dem Dachboden entdeckt, sollte einen Imker rufen. Der kennt sich aus und siedelt die Tiere um.

Im Garten gibt es noch etwas Wirksameres: Hornissen. Sie verabscheuen Kuchen, Marmelade und all das süße Zeug, das auf der Kaffeetafel im Garten lockt. Sie sind eher dämmerungsaktiv. Und ihr Stich ist erst in tausendfacher Menge tödlich. Die Mär davon, dass drei Hornissenstiche einen Menschen und sieben ein Pferd umbringen, ist veraltet und widerlegt. Hornisse sind recht unaufgeregt und lassen jeden in Ruhe, der sie nicht stört. Aber: Sie killen Wespen und Fliegen, manchmal sogar martialisch im Flug. Und das an jedem Tag.