Vor 50 Jahren zog Konrad Lorenz Gänseküken groß, um ihr Verhalten zu studieren. Heute planen seine Nachfolger Tierbeobachtungen aus dem All

Seewiesen/Radolfzell. Hummeln in Hamburg, Gnus in der Serengeti, Fasane in Bhutan oder Galapagos-Riesenschildkröten auf ihrem Archipel vor der Küste Südamerikas. Sie alle eint, dass Wissenschaftler noch viele Fragen zu diesen Arten haben. Fragen zum Verhalten der Tiere, die bisher nicht beantwortet werden konnten - auch weil das Beobachten der meisten Tiere im Freiland nicht gerade einfach ist; etwa wenn die Tiere fliegen oder schwimmen können, wenn sie unter der Erde oder im Dickicht unterwegs sind oder weitere Wanderungen vollführen, denen der Mensch nicht folgen kann. Was tun?

Konrad Lorenz, einer der Gründungsväter der modernen Verhaltensforschung, prägte einst Gänsejungen auf sich, indem er nach dem Schlupf das erste Lebewesen war, das die Vögel sahen. So konnte der Nobelpreisträger ihr Verhalten aus nächster Nähe untersuchen. Heute, gut 50 Jahre später, gehen Lorenz' Nachfolger eher auf Distanz - und zwar auf eine gewaltige: Das Max-Planck-Institut für Ornithologie, dessen Direktor Lorenz 1961 wurde, ist maßgeblich beteiligt an einem internationalen Projekt, bei dem ab 2014 Tierbeobachtungen über ein neues digitales Beobachtungssystem auf der Internationalen Raumstation möglich sein sollen. "Bisher konnten wir keine großen Datenpakete über die bestehenden Systeme versenden und auch keine allzu kleinen Sender verwenden", sagt Prof. Martin Wikelski, einer der heutigen Geschäftsführenden Direktoren des Instituts.

212 Mitarbeiter in sechs Forschungsgruppen arbeiten in Seewiesen, unweit des Starnberger Sees, und der angeschlossenen Vogelwarte Radolfzell am Bodensee. Wie finden Vögel ihre Partner? Warum können Fledermäuse Wasserflächen nicht von einer Metallplatte unterscheiden? Welche Tiere sind maßgeblich an der Verbreitung von Baumsamen im Regenwald verantwortlich? Diesen und ähnlichen Fragen gehen die Verhaltensforscher nach. Mit modernster Technik, etwa einem Windkanal für Flugversuche, und Tieren, die sie mit GPS-Sendern versehen haben.

So konnten die Forscher etwa zeigen, dass Fettschwalme, eine südamerikanische Vogelart, gar nicht jeden Tag in eine Höhle zurückkehren, wie viele Jahre angenommen. Wikelski: "Die Tiere verbringen hingegen mehrere Tage nacheinander in Bäumen, die bis zu 80 Kilometer von den Bäumen entfernt stehen, in denen sie nachts fressen." So geht auch nicht der Großteil der Samen über Ausscheidungen der Tiere in der Höhle verloren, wie die Forscher glaubten, sondern "wir haben den größten Verbreiter von Pflanzensamen im Amazonasgebiet entdeckt", sagt Wikelski.

Eine Entdeckung mit immenser Bedeutung, was das Nachwachsen des Regenwalds angeht - wenngleich eine Erkenntnis mit regionaler Begrenzung. Das soll sich durch das internationale Projekt zur Tierbeobachtung ändern. "Genau das hätte Konrad Lorenz interessiert: nicht nur, was passiert, wenn die Tiere in einem Gebiet vor einem versammelt sind, sondern auch, wie sie sich verhalten, wenn sie weit weg von ihrer Heimat sind", sagt Wikelski.

Besonders interessant sei hierbei der Vogelzug. Wikelski: "Da befinden wir uns immer noch in der Grundlagenforschung." Neueste Erkenntnisse scheinen auch hier das bisher Angenommene umzuwerfen, so der Ornithologe: "Vögel navigieren mithilfe einer Karte und eines Kompasses, und die Karte in ihrem Hirn entsteht nicht nur aus Landmarken, sondern anscheinend auch maßgeblich über Geruch."

Beobachtungen zum Vogelzug seien aus vielen Gründen für die Menschen äußerst aktuell, sagte der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, zur nachgeholten Feier des 50-jährigen Institutsbestehens. Vom Vogelzug könnten wir etwa lernen, wie sich der Klimawandel auswirkt oder auch, wie sich Krankheiten verbreiten.

Somit bleiben Vögel im Fokus der Max-Planck-Forscher - wenn auch mit weit höherem technischen Aufwand als zu Zeiten der "Tierspsychologie", wie Lorenz sie nannte. Die Nutzung der internationalen Raumfahrt hierfür hätte ihm gefallen. Schrieb er doch: "Die Naturwissenschaft kann nicht nur, sondern muss schlechterdings alles, was es in der Welt gibt, zum Gegenstand ihrer Forschung machen."