Wissenschaftler prüfen, wie sich das Diabetes-Risiko bei Schichtarbeitern senken lässt. Europaweites Forschungsprojekt gestartet.

Hamburg. Der Taxifahrer, der uns nach einem schönen Abend nach Hause fährt, oder der Polizist, der nachts zu einer Schlägerei gerufen wird - ihnen gemeinsam ist, dass sie zu den mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland gehören, die zwischen 23 und sechs Uhr morgens arbeiten. Das war 2009 nach Daten des Statistischen Bundesamtes jeder zwölfte erwerbstätige Bundesbürger. Aber durch ständige Störungen der inneren Rhythmen wird unsere Gesundheit mehr beeinträchtigt, als bis jetzt bekannt war: Studien zufolge leiden Nacht- und Schichtarbeiter drei- bis fünfmal mehr an Diabetes Typ II als Tagarbeiter. Viele Daten deuten mittlerweile darauf hin, dass das sogenannte metabolische Syndrom - dieses verhängnisvolle Quartett aus Übergewicht, Bluthochdruck, Insulinresistenz und erhöhten Blutfettwerten - auch mit Störungen der körpereigenen Rhythmen zusammenhängen könnte.

In einem europaweiten Forschungsprojekt unter Federführung des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) wollen 14 Forscherteams in fünf Jahren mehr über diese Mechanismen herausfinden. "Wir suchen nach den circadianen, also den im Tagesrhythmus ablaufenden Mechanismen, die an der Regulierung des Zuckerhaushaltes beteiligt sind. Wenn wir die kennen, lassen sich vielleicht Strategien entwickeln, damit trotz Nacht- und Schichtarbeit kein Diabetes entsteht", erklärt Prof. Rainer Böger, Direktor des UKE-Instituts.

Diabetes durch Schicht- und Nachtarbeit? Vieles spricht dafür. Eine Arbeitsgruppe aus Chicago konnte zeigen, dass die Insulin produzierenden Inselzellen der Bauchspeicheldrüse bei Mäusen eine eigene "innere Uhr" enthalten: Sie werden im Tag-Nacht-Rhythmus von sogenannten Clock-Genen gesteuert. Werden diese "Uhren"-Gene experimentell ausgeschaltet, scheiden die Mäuse weniger Insulin aus und entwickeln eine Glukoseintoleranz, eine Störung, bei der die Glukose vom Organismus nicht mehr ausreichend verwertet werden kann. "Offensichtlich gibt es biologische Mechanismen, die über einen ungesunden Lebensstil hinaus Diabetes auslösen können", vermutet Böger.

Tageslicht scheint allen bisherigen Erkenntnissen zufolge eine Schlüsselrolle zu spielen. Erst vor einigen Jahren wurden lichtempfindliche Zellen in den Augen entdeckt, die nur dazu dienen, Lichtimpulse an die "Masterclock" zu senden, eine Ansammlung von etwa 20 000 eng miteinander verknüpften Nervenzellen im Gehirn, gelegen an der Kreuzung der beiden von den Augen kommenden Sehnerven. Von diesem Bereich aus, dem sogenannten suprachiasmatischen Nucleus (SCN), werden die tageszeitlichen Rhythmen im Körper gesteuert - schlafen und wach sein, die Aktivitäten der inneren Organe und die Ausschüttung von Hormonen wie zum Beispiel Insulin.

Melatonin, dem Schlafhormon, kommt offensichtlich eine weitere wichtige steuernde Rolle zu. Wenn nicht mehr ausreichend Licht in die Augen fällt, wird Melatonin im Gehirn ausgeschüttet. Das Hormon macht müde und leitet damit den Schlaf ein. Doch nicht nur das. Melatonin scheint darüber hinaus auch die Rhythmen der Hormonausschüttungen und damit der Funktion einzelnen Organe zu beeinflussen. "Wir wissen noch nicht, ob es nur Melatonin ist, was bei Schicht- und Nachtarbeitern die Balance zwischen äußeren und inneren Rhythmen beeinflusst", sagt Bröger. "Auch körperliche Belastungen wie Sport oder die Häufigkeit von Mahlzeiten können auf den Rhythmus einwirken."

In dem neuen Forschungsprojekt soll nun untersucht werden, welche Marker im Blut auf gestörte circadiane Rhythmen hinweisen - und ob diese sich ändern, wenn sich die Lebensrhythmen ändern. In Hamburg werden zwei Studien durchgeführt. Die eine Untersuchung wird mit Nacht- und Schichtarbeitern durchgeführt, deren innere Uhr durch die Schichtarbeit gestört ist und die hierdurch ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Übergewicht und Diabetes haben. In der anderen Studie werden Kinder von Typ-II-Diabetikern untersucht, die (noch) nicht erkrankt sind. "Kinder von Patienten mit Diabetes Typ II haben ein Risiko von über 50 Prozent, auch an Diabetes zu erkranken", so Böger.

"Wir wollen herausfinden, ob in diesen beiden Gruppen das Erkrankungsrisiko für Diabetes durch gezielte, tageszeitlich abgestimmte Interventionen des Lebensstils gesenkt werden kann." Eine weitere Frage ist, ob durch die gezielten Therapien der Zeitgeber für die innere Uhr verstellt werden kann - damit sich der Körper besser an die Nachtarbeit anpasst und das Risiko für Folgeerkrankungen sinkt.

Die Ärztin Dr. Maike Anderssohn erläutert das Vorhaben: "Wir wollen Schichtarbeiter in mehreren Probandengruppen zwölf Wochen lang mit Lichttherapie und/oder Melatonintabletten behandeln. Nach weiteren zwölf Wochen untersuchen wir anhand der Blutparameter, ob bleibende Veränderungen stattgefunden haben." Ebenfalls eine Licht- und/oder Melatonintherapie erhalten die noch nicht erkrankten Kinder von Diabetikern - in diesem Fall dauert die Studie zwölf Monate.

Für Schichtarbeiter und Arbeitgeber sind die Studienergebnisse gleichermaßen interessant. Schließlich könnten leicht zu praktizierende Maßnahmen gegen Diabetes und metabolisches Syndrom helfen, Leid zu reduzieren und Arbeitskraft zu erhalten.

Nacht- und Schichtarbeiter und Kinder von Eltern mit Typ-II-Diabetes können an der Studie teilnehmen. Tel. im UKE: 7410-51600