Der Suchmaschinenkonzern Google will mit seinem eigenen sozialen Netzwerk Facebook Konkurrenz machen. Was haben die Nutzer davon?

Hamburg. "Twitter, Facebook, Google+, Google Reader, E-Mail - was tun?", stöhnt einer meiner Facebook-Kontakte, den ich gerade auf Google+ wiedergetroffen habe. Er spricht mir aus der Seele. Wer um alles in der Welt braucht nach E-Mail, SMS, Instant Messaging, Skype und Video-Chat noch einen weiteren Kommunikationskanal? Und gibt es mit Xing, SchülerVZ, Twitter und wie sie alle heißen nicht schon genug soziale Netzwerke? Andererseits: Haben Facebook & Co. nicht schon immer Bedürfnisse befriedigt, die man vorher gar nicht hatte?

Dass sich trotzdem innerhalb von wenigen Tagen Millionen von Nutzern - eine genaue Zahl gibt es noch nicht - bei Google+ angemeldet haben, ist nicht zuletzt einem raffinierten Schachzug zu verdanken. Denn Google öffnete die Pforten zunächst nur einen Spalt weit.

Um dabei zu sein, brauchte man eine Einladung von jemandem, der bereits angemeldet war. Und eingeladen werden wollte jeder. Die Folge: Zeitweilig ging bei Google+ nichts mehr. Einladungen kamen nicht an, dann wurden Benachrichtigungen doppelt und dreifach ausgesandt. Mal konnte man sich ohne Einladung anmelden, dann fiel die Tür plötzlich wieder ins Schloss. Die Festplatte sei voll gewesen, begründeten die Google-Techniker das Chaos mit entwaffnender Einfachheit.

Als es mit meiner Anmeldung schließlich doch klappt, wird mir mitgeteilt, dass ich mich nunmehr zu einem exklusiven Team von Testern zählen darf. Als eingefleischter Facebooker muss ich mich in der trotz vieler Ähnlichkeiten ungewohnten Welt von Google+ erst einmal neu orientieren. Immerhin: Es gibt keine Werbung, weder für netzwerkeigene Nervensägen (wie das Facebook-Browsergame "Farmville"), noch für externe Firmen.

Der erste Weg sollte neue Nutzer über das Zahnrad in der rechten oberen Ecke führen. Dort erfährt man einiges zum Datenschutz und kann grundlegende Einstellungen vornehmen.

Auffälligste Neuerung bei Google+ sind die "Circles" bzw. "Kreise". Dahinter verbergen sich vom Nutzer selbst definierte Gruppen, auf die man seine Kontakte verteilt, etwa in die Kategorien "Freunde", "Bekannte", "Familie" oder "Kollegen". Einzelne Personen können auch mehreren Kreisen zugeordnet werden. Eine solche Differenzierung ist auch bei Facebook möglich. Diese Funktion ist dort aber in den Tiefen der Menüs versteckt und wird von den wenigsten genutzt. Und während man beim Konkurrenten einfach "Return" drückt und jeden Beitrag für alle sichtbar macht, muss man sich bei Google+ entscheiden, ob man die einzelne Statusmeldung, ein Foto oder einen Link "öffentlich" zugänglich macht oder nur einem oder mehreren Kreisen.

Um einen Kontakt zu einem Kreis hinzuzufügen, zieht man ihn einfach per Maus dorthin. Das in der Computerwelt altbekannte "Drag & Drop" mutet nach der umständlichen Nutzerführung bei Facebook geradezu futuristisch an. Meine Kontakte selbst sehen übrigens nicht, welchen Kreisen sie zugeordnet wurden. Und das ist auch gut so, schließlich dürften es die meisten nach Facebook, wo jeder jedermanns "Freund" ist, als Affront auffassen, nur als "Bekannter" oder "Kollege" eingestuft zu werden.

Statt "gefällt mir"-Klicks vergibt man auf Google+ Pluspunkte. Die "+1"-Buttons finden sich auch auf diversen externen Seiten, etwa in den Google-Suchergebnissen. Klickt man sie an, werden die dazugehörigen Inhalte auf Wunsch im eigenen Profil angezeigt. Den von Facebook-Nutzern seit Langem vehement geforderten "Dislike"- bzw. Minus-Button, mit dem man sein Missfallen zum Ausdruck bringen kann, gibt es leider auch bei Google+ nicht. So durchdacht das Prinzip der "Kreise" auch sein mag - hier wirkt der Herausforderer eher wie eine plumpe Kopie des Originals.

Auch mit den "Sparks" kann ich mich noch nicht anfreunden. Diese offenbar redaktionell zusammengestellten und in Interessenbereiche unterteilten Info-Pools verdeutlichen Googles Ambitionen, Google+ nicht nur als Kontaktbörse und Chat-Plattform, sondern auch als digitalen Kiosk zu etablieren. Momentan decken sie aber noch ein viel zu kleines Themenspektrum ab. Zudem wird nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien Google die Informationen und ihre Quellen auswählt. Zwar kann ich selbst Interessenbereiche hinzufügen, deren Inhalte aber nicht selbst zusammenstellen - unbefriedigend.

Dennoch gibt es genau zwei Argumente für mich, Google+ weiter zu nutzen. Sie heißen Google und Android. Als eifriger Nutzer der diversen kostenlosen Google-Dienste finde ich mein soziales Netzwerk jetzt praktischerweise links oben in meinem Browserfenster, direkt neben "Email", "Kalender", "Text & Tabellen" und "Fotos". Außerdem kann ich über eine App für mein Android-Smartphone direkt auf Google+ zugreifen. Zugegeben: Das setzt schon ein hohes Maß an Vertrauen an den Datenschutz des Suchmaschinenkonzerns voraus, der nun wahrscheinlich wirklich alles über mich weiß.

Für die "Video-Hangouts", also die Möglichkeit, mit Freunden in Bild und Ton zu chatten, bin ich jedoch nicht die richtige Zielgruppe. Mir reicht auch weiterhin die Kommunikation über E-Mail und Skype - möglicherweise eine Altersfrage.

Und was, wenn ich mich trotzdem nicht entscheiden kann? Dann kann ich Facebook kurzerhand über eine bereits verfügbare Zusatzsoftware zum Firefox-Browser in Google+ integrieren. In der digitalen Welt gibt es eben für jedes Problem eine App oder ein Plug-in. Zumindest für jene Probleme, die man vorher gar nicht hatte.