Nicht nur, dass Europäer immer größer werden. Neue Studien zeigen auch, dass sich die Größe auf Gehaltsverhandlungen auswirkt.

Hamburg. Napoleon konnte mit nur 1,69 Meter Körpergröße ganz Europa durcheinanderwirbeln. Auch wenn er zu seiner Zeit sicherlich die meisten seiner Soldaten überragte, die durchschnittlich nur 1,64 Meter groß waren, heute haben Führungspersönlichkeiten meist beeindruckendere Staturen: Deutsche Führungskräfte sind nach einer fortlaufenden Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Schnitt 1,82 Meter groß. Der Grund dafür ist wachsender Wohlstand. Bessere Ernährung, eine gute medizinischen Versorgung und ein hohes Bildungsniveau führen dazu, dass Menschen größer werden als ihre Eltern. Das hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf den Anzug- oder Schuhkauf. Wie neuere Untersuchungen belegen, könnten sich zusätzliche Zentimeter ganz handfest bei der nächsten Gehaltsverhandlung auswirken.

Fabian Spanhel, Diplom-Volkswirt an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat auf Basis des Mikrozensus von 2005 untersucht, wie die Körpergröße die Berufswahl und letztendlich das Einkommen beeinflusst. "Es gibt einen messbaren Lohnunterschied zwischen klein und groß gewachsenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern", so Spanhel in seiner Untersuchung. Jeder zusätzliche Zentimeter zahle sich für Männer mit einer Erhöhung des Nettostundenlohns von 0,74 Prozent aus, für Frauen mit 0,63 Prozent. Das bedeute, dass bei gleicher Arbeitszeit und gleichem Alter Männer mit einer Körpergröße von 1,92 Meter statistisch gesehen einen um 26,7 Prozent höheren Nettostundenlohn erzielen als 1,63 Meter große Männer, hat Spanhel berechnet.

"Allerdings reicht es nicht, beim Vorstellungsgespräch Plateauschuhe zu tragen", sagt Prof. Guido Heineck vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Zwar bestehen zwischen Körpergröße und Einkommen Zusammenhänge, doch seien diese komplexer, als es zunächst den Anschein hat: "Allein durch die Körpergröße kann nur ein sehr kleiner Teil der Einkommensunterschiede erklärt werden", sagt Heineck. In manchen Berufen kann man sich vorstellen, dass eine größere Statur Vorteile hat, in den meisten Fällen wird die reine Körpergröße jedoch nicht die Entscheidung für einen Bewerber beeinflussen. "Es könnte sein, dass diese Menschen schon in der Pubertät groß gewachsen waren und zum Beispiel in Sportmannschaften Führungsrollen übernommen haben. Es sind dann diese Kompetenzen, die sich später im Einkommen niederschlagen, nicht die Körpergröße an sich." In einer neuen Untersuchung an deutschen Viertklässlern zeigte sich, dass große Jungen bessere soziale Fähigkeiten hatten und häufiger eine Gymnasiumsempfehlung bekamen als kleine.

Die Körpergröße ist ein Wohlstandsindikator. Wer mehr verdient, versorgt in der Regel auch seine Kinder besser, die dann ihr genetisches Potenzial besser entwickeln und ausschöpfen können. Je besser es Menschen in der Kindheit geht, desto eher überragen sie ihre Eltern. In Europa ist dieser Trend seit mehr als 100 Jahren ungebrochen: Nach Daten des European Household Community Panels, einer multinationalen Langzeitstudie des statistischen Amtes der Europäischen Union, nimmt die Körpergröße der Europäer im Schnitt um mehr als einen Zentimeter pro Jahrzehnt zu, allein im 20. Jahrhundert um elf Zentimeter auf jetzt 1,78 Meter. Erstaunlich jedoch, dass dieser Trend für das reichste Land der Erde seit den 1970er-Jahren nicht mehr gilt.

Die US-Amerikaner waren einmal die größten Menschen auf der Erde. Um 1850 überragten sie die Niederländer um stolze 6,5 Zentimeter. Jetzt haben sich die Verhältnisse umgedreht: Amerikanische Männer müssen nun im Schnitt etwa fünf Zentimeter zu den Niederländern aufblicken. 20-jährige Niederländer sind mit durchschnittlich 1,84 Meter heute die größten Menschen der Erde.

Welche Umstände könnten dazu geführt haben, dass Amerikaner offensichtlich im Körperwachstum den Europäern hinterherhinken? Experten wie John Komlos von der Ludwig-Maximilians-Universität nehmen an, dass die Körpergröße ein sehr empfindlicher Indikator für die Lebensbedingungen einer Bevölkerung ist - und den Wohlstand möglicherweise besser anzeigt als wirtschaftliche Messgrößen wie das Pro-Kopf-Einkommen. Komlos hat die Daten des National Health and Nutrition Examination Surveys ausgewertet, einer Serie von Studien, die seit 1960 in den USA zur Erfassung des Gesundheits- und Ernährungsstatus der Bevölkerung durchgeführt werden. Dabei hat der Professor für Wirtschaftsgeschichte nicht nur die Verschiebung der Körpergrößen zwischen Amerikanern und Europäern festgestellt, sondern zeigt auch erhebliche Unterschiede innerhalb der amerikanischen Bevölkerung auf.

"Bei den weißen Amerikanern stagniert das Längenwachstum. Sie werden in Beziehung zu den Europäern relativ kleiner. Anders ist das bei den schwarzen amerikanischen Frauen, die werden auch objektiv kleiner", so Komlos. Junge schwarze Amerikanerinnen sind etwa 1,4 Zentimeter kleiner als ihre Mütter und 1,95 Zentimeter kleiner als ihre weißen gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen - aus Sicht der Bevölkerungsforscher ein deutlicher Hinweis auf schlechter werdende soziale Bedingungen gerade in dieser Gesellschaftsgruppe.

Das Längenwachstum gilt als ein Zeichen für wachsenden Wohlstand einer Bevölkerung, für das Wachstum in die Breite gilt das nur eingeschränkt. Generell nimmt der Body Mass Index (BMI) weltweit zu, allein zwischen 1980 und 2008 um 0,4 kg/m². Das hat für Länder, in denen Mangelernährung herrschte, natürlich positive Folgen für den Ernährungszustand und die Gesundheit der Menschen. In den hoch entwickelten Industrieländern wird der steigende Körperumfang jedoch zu einem gesundheitlichen Problem - was sich auch in den Einkommen niederschlägt. "Starkes Übergewicht geht in der Regel auch mit gesundheitlichen Problemen einher, sodass die volle Leistung im Beruf nicht mehr erbracht werden kann", berichtet Heineck.

Männer haben im Schnitt mit einem leichten Übergewicht von zehn Prozent das höchste Einkommen, bei Frauen spielen die gesellschaftlichen Normen des Schlankseins eine wichtige Rolle. Sehr gut verdienende Frauen sind meistens sehr schlank. Allerdings ist noch nicht geklärt, ob Männer wegen eines leichten Übergewichts besser verdienen - oder ob Führungskräfte wegen der vielen Geschäftsessen zunehmen.