Ein Detektor, der heute mit der “Endeavour“ zur ISS startet, soll die Beschaffenheit des Universums klären. Sogar Obama will live dabei sein.

Hamburg. Sogar Barack Obama hat seinen Besuch angekündigt. Der US-Präsident will mit seiner Familie live dabei sein, wenn heute der Spaceshuttle "Endeavour" am Kennedy-Raumfahrtzentrum in Florida ein letztes Mal abheben soll (15.47 Uhr Ortszeit). Auch Stefan Schael will dort den Start beobachten und dabei einen Blick auf Obama erhaschen. Doch mit seinen Gedanken wird der Physikprofessor wohl im Frachtraum des Shuttles sein, denn dort befindet sich ein kostbares Instrument, das nach zehn Jahren Entwicklung endlich ins All kommt: das Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS).

500 Forscher und Ingenieure aus 16 Ländern haben das einzigartige Gerät konstruiert; Entwicklung und Bau kosteten 1,5 Milliarden Euro. Stefan Schael, Inhaber des Lehrstuhls für Experimentalphysik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, koordiniert die deutschen Beiträge. Mit dem AMS soll eine neue Ära beginnen, denn es könnte helfen, die großen Rätsel der Astrophysik zu lösen: Existiert neben der bekannten Materie im Kosmos auch Antimaterie? Und woraus besteht die mysteriöse dunkle Materie, die Galaxien wie die Milchstraße zusammenhält? Es geht um nicht weniger als die Entstehung und Beschaffenheit des Universums.

Zunächst muss das AMS aber die extremen Schubkräfte beim Start überstehen und die Internationale Raumstation ISS in 400 Kilometer Höhe intakt erreichen. Schon zwei Stunden nach dem Start wird Schaels Team vom Houston Space Center in Texas aus per Funk erste Funktionen des AMS testen. "Hoffentlich bekomme ich dann einen Anruf, dass alles in Ordnung ist", sagt Schael. Er will den nächsten Flug nehmen, um rechtzeitig in Houston zu sein, wenn das AMS im Weltraum eine weitere Prozedur überstehen muss: die Montage auf der ISS. Dazu wird der Roboterarm des Shuttles das sieben Tonnen schwere und vier Meter hohe Gerät aus dem Frachtraum heben und an den Roboterarm der ISS übergeben.

Das AMS ist eine Art Kamera für Strahlung aus dem Universum, allerdings registriert es kein Licht auf verschiedenen Wellenlängen, sondern geladene kosmische Teilchen. Zum Verständnis muss man sich klarmachen, wie die kosmische Teilchenstrahlung zusammengesetzt ist. Da gibt es einmal Photonen, aus denen Licht besteht, sowie Neutrinos. Beide sind elektrisch neutrale Teilchen, sie besitzen keine Masse, können deshalb die Erdatmosphäre durchdringen und so nahezu unbeeinflusst zur Erde gelangen. Photonen fangen Forscher mit optischen Teleskopen auf, Neutrinos mit Detektoren wie dem "IceCube" am Südpol.

Zum größeren Teil besteht die kosmische Strahlung aber aus Wasserstoff- und Heliumkernen bzw. aus deren Bestandteilen: Protonen und Elektronen. Diese elektrisch geladenen Teilchen haben eine Masse, deshalb werden sie schon in der Erdatmosphäre absorbiert. Das Gleiche passiert mit seltenen kosmischen Partikeln wie etwa Kohlenstoffkernen. Diese Teilchen-Familie lässt sich deshalb nur im Weltraum registrieren. "Mit dem Alpha-Magnet-Spektrometer ist das nun viel genauer möglich als je zuvor", sagt Stefan Schael.

Das Herzstück des Instruments ist ein sogenannter Silizium-Spurdetektor, der von einem ringförmigen Magneten umgeben ist. Fliegt ein geladenes Teilchen durch das Instrument, zwingt der Magnet es auf eine kreisförmige Flugbahn, deren Punkte der Spurdetektor misst - auf ein Zehntel eines Haardurchmessers genau. 2000 Teilchen pro Sekunde kann das AMS so "fotografieren". Aus den Daten bestimmen Forscher die elektrische Ladung, die Energie und die Masse der Teilchen.

Hier kommen Antimaterie und dunkle Materie ins Spiel. Das Universum, wie wir es beobachten, besteht aus Materie, also aus Atomen, deren Kerne aus Protonen und Neutronen aufgebaut sind, die von Elektronen umkreist werden. Zu jedem dieser Teilchen gibt es ein Antiteilchen. Es verfügt über die gleiche Masse, weist aber eine entgegengesetzte elektrische Ladung auf. Auf der Erde gibt es Antimaterie schon: Antiteilchen des Elektrons, die Positronen, lassen sich künstlich erzeugen und werden schon länger in der medizinischen Diagnostik genutzt. Forschern am Cern in Genf gelang es schon mehrfach, Anti-Wasserstoffkerne herzustellen - wenn auch nur für Bruchteile von Sekunden. Schwere Antiteilchen wie etwa Anti-Helium-Kerne konnten im Universum aber noch nicht nachgewiesen werden - sie müssten nach dem Urknall-Modell aber entstanden sein.

Dieser Theorie zufolge entstand vor etwa 13,7 Milliarden Jahren in gleichem Maße Materie und Antimaterie. Da sie sich aber gegenseitig auslöschen, sollte anschließend nur Licht übrig geblieben sein. Tatsächlich existiert Materie, etwa in Form der Planeten, allerdings lassen sich mit ihr nur vier Prozent des Universums erklären. Was also ist mit der Antimaterie passiert? "Es könnte im Universum Bereiche aus Antimaterie geben, die von den Bereichen mit Materie getrennt sind", sagt Stefan Schael. Wenn Sterne aus solchen Galaxien am Ende ihres Lebens in einer Supernova explodierten, könnten die Antiteilchen stark beschleunigt werden, bis zu uns fliegen - und dem Spektrometer in die Falle gehen. "Würden wir mit dem AMS nur einen einzigen Anti-Kohlenstoff-Atomkern messen, wäre das ein Hinweis, dass unser Universum symmetrisch ist und nach dem Urknall eine räumliche Trennung zwischen Materie und Antimaterie stattfand."

Ebenfalls noch ungeklärt ist die Natur der dunklen Materie. Obwohl Galaxien zu ihren Rändern hin immer schneller rotieren und deshalb eigentlich auseinanderfliegen müssten, scheint sie eine Art Sternenkitt zusammenzuhalten. Diese Masse, die immerhin 23 Prozent des Universums ausmachen soll, leuchtet nicht und reflektiert kein Licht; sie gibt sich nur durch ihre anziehende Wirkung zu erkennen. Der gängigsten Theorie zufolge besteht sie aus unbekannten Elementarteilchen. Wenn diese wechselwirken, entstehen geladene Teilchen wie Positronen und Anti-Protonen, die das AMS in der kosmischen Strahlung aufspüren könnte - was ein indirekter Nachweis für dunkle Materie wäre. Gelänge dies, könnten Forscher am Cern die Eigenschaften der unbekannten Elementarteilchen besser bestimmen.

Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders. "Die eigentliche Faszination dieses Projekts", sagt Stefan Schael, "liegt in der Möglichkeit, dass wir etwas völlig Unerwartetes finden."

Quelle: www.ams02.org