Lärmschutzexperten trafen sich in Hamburg. Sie wollen Straßen leiser machen, aber auch Klangakzente setzen

Hamburg. "Städte bestehen nur noch aus Passagen. Es gibt kaum noch Räume, wo man sich aufhalten mag, der Verkehrslärm erstickt alles." Der Züricher "Klangarchitekt" Andres Bosshard plädiert dafür, Städte nicht nur mit den Augen, sondern auch mit den Ohren zu planen: "Wir hören die Städte nicht mehr, wir hören nur Fahrzeuge. Dabei hat jeder Straßenzug, jede Fassade ihren eigenen Klangraum, ähnlich wie man es von Kirchen kennt." Bosshard, Dozent an der Züricher Hochschule für Künste, will keine stummen Städte. Aber sie sollten so leise sein, dass man beim Spaziergang die eigenen Schritte hören oder sich ungezwungen mit anderen Menschen unterhalten kann.

"Wir erzeugen den Lärm selbst - und wir leiden darunter", sagte Bosshard auf der Jahrestagung des Hamburger Ingenieurbüros Lärmkontor, zu der 150 Experten jetzt den Stand der Lärmbekämpfung in Europa diskutierten. Anlässlich des Titels Europäische Umwelthauptstadt (Green Capital) hatte Lärmkontor gezielt ausländische Kollegen nach Hamburg gelockt; sie kamen aus 27 Ländern.

"Es war die einzige Veranstaltung zum Thema Lärm im Hamburger Green-Capital-Kalender", kritisiert Christian Popp, Geschäftsführer von Lärmkontor. Ansonsten lobt er die Stadt: "Hamburg hat einen guten Lärmaktionsplan und beteiligt die Öffentlichkeit vorbildlich. Es ist alles vorbereitet für eine leisere Stadt. Doch muss sich nach dem Regierungswechsel erst noch zeigen, ob das Ziel weiterhin so konsequent verfolgt wird wie unter Schwarz-Grün."

Im Vergleich zu anderen Städten schneidet Hamburg in Sachen Lärmbelastung recht gut ab. So liegt der Anteil der Bewohner, die nachts einem Lärmpegel von 50 Dezibel - dB(A) - und mehr ausgesetzt sind, bei 13 Prozent. In der Vorgänger-Umwelthauptstadt Stockholm sind es 20 Prozent, in Kopenhagen 32, in Bristol sogar 78 Prozent. Einen Großteil der nächtlichen Störungen verursacht der Straßenverkehr. 144 000 Hamburger (acht Prozent der Bevölkerung) müssen durch ihn nachts sogar Lärmpegel von 55 dB(A) erdulden (Schienenverkehr: 33 000, Fluglärm: 1100, Industrie/Hafen: 1600). Bei diesem Wert wird die Stadt aktiv, um die Belastung zu senken.

"Werden 55 dB(A) in den Nachtstunden, also im Zeitraum von 22 bis sechs Uhr, erreicht oder überschritten, so ist mit Bluthochdruck und Schlafstörungen zu rechnen", sagt Matthias Hintzsche, Lärmschutzexperte vom Umweltbundesamt. "Bei diesem Geräuschpegel ist die Gesundheit der Anwohner gefährdet. Die Weltgesundheitsorganisation geht sogar davon aus, dass bereits 40 Dezibel Bluthochdruck verursachen können."

Besser ist es, Lärm gar nicht erst entstehen zu lassen

Hamburg sei dabei, wichtige Lärmschutz-Maßnahmen umzusetzen, sagt Christian Popp und nennt die Verlagerung der Wilhelmsburger Reichsstraße, den 3,5 Kilometer langen Deckel für die Autobahn 7 und die Lärmschutzwände an der Güterumgehungsbahn. Letztere und der Einbau von Schallschutzfenstern sind passive Maßnahmen, vom Bayerischen Verwaltungsgericht als "Lärmkäfighaltung" bezeichnet. Besser sei es, Lärm an seiner Quelle zu bekämpfen, ihn nicht erst entstehen zu lassen, so Hintzsche. Mögliche Maßnahmen seien Geschwindigkeitssenkung, leisere Fahrbahnbeläge, Förderung des Fahrradverkehrs und öffentlichen Personennahverkehrs, Ortsumgehungen, Lenkung des Schwerverkehrs.

Diese und viele weitere Maßnahmen stehen in Aktionsplänen, die die Umgebungslärm-Richtlinie der EU von ihren Mitgliedern fordert. "Bereits vor zwei Jahren endete die Abgabefrist, aber es haben immer noch nicht alle Staaten ihre Pläne vorgelegt", meldet Balázs Gergely von der EU-Kommission. Lärmschutz habe bei den Mitgliedstaaten keine Priorität, bedauert er. Dabei seien in der EU viele Millionen Menschen schädlichen Lärmbelastungen ausgesetzt.

Gastgeber Popp betont: "Sinnvoll angewendet, finanziert sich der Lärmschutz selbst." Dabei denkt der gelernte Bauingenieur weniger an vermiedene Gesundheitsschäden als vielmehr an die Wertminderung von Immobilien. Popp: "Nach einer Untersuchung in Dänemark reduziert jedes Dezibel den Hauswert um 1,2 Prozent. Bei 70 DB(A) ist mit einer Wertminderung von 25 Prozent zu rechnen. Entsprechend geringer fällt die Grunderwerbssteuer aus, wenn das Haus verkauft wird."

Wenn in der Stadt ohnehin Fahrbahndecken erneuert werden, sollte generell offenporiger Asphalt zum Zuge kommen, der den Lärm mindere, rät Popp. "Preiswerte Varianten sind für etwa einen Euro pro Quadratmeter zu haben; da liegen die Mehrkosten im Bereich der Markttoleranzen."

In Florenz werden Fußwege durch besonders leise Straßenzüge geführt

Kollege Sergio Luzzi, der den Lärmaktionsplan der Stadt Florenz miterarbeitete, sagt, klassische Lärmschutz-Maßnahmen seien in alten Stadtkernen nur beschränkt möglich. Er ging einen anderen Weg, entwickelte zum Beispiel Fußwege, die durch besonders leise Straßenzüge führen, und grüne Plätze, die mit angenehmen Klangfarben, etwa Brunnenplätschern und Spielgeräten, als Gegenpol zum stressigen Verkehrslärm wirken.

Diese Form der akustischen Gestaltung des Stadtlebens entspricht dem Ansatz von Klangarchitekt Andres Bosshard. Er bietet in Zürich Hörspaziergänge an, um den Einwohnern ihre Stadt über die Ohren nahezubringen. Dabei treffen sie auf erstaunliche Phänomene: "Am Limmatplatz wurden sechs Kioske aufgestellt, Glas-Stahl-Zylinder von sechs bis zwölf Metern Durchmesser. Sie streuen die tiefen Frequenzen des Lkw-Lärms und machen den Platz zu einem ganz speziellen Klangraum. Die Kioske wirken unbeabsichtigt wie ein Stimminstrument für den Platz. So etwas könnte man auch gezielt installieren."