Elektronische Zigaretten werden immer beliebter, doch Wissenschaftler warnen. Bewiesen ist die “gesunde“ Zigarette noch nicht.

Hamburg. Beflügelt durch das Rauchverbot in Restaurants und öffentlichen Gebäuden, greifen immer mehr Nikotinsüchtige zur elektronischen Zigarette. Der Hamburger E-Zigaretten-Großhändler Werner Wolff geht in Deutschland von mehr als 50 000 E-Rauchern aus. Er schwört auf die täuschend echt aussehende Plastikzigarette: "Seit ich die Dinger benutze, rauche ich keinen Tabak mehr. Das ist nicht nur gesünder, sondern auch für meine Mitmenschen verträglicher." Die wissenschaftliche Antwort auf die Frage, ob sich mit den Nikotin-Verdampfern tatsächlich weniger risikoreich rauchen lässt, liegt jedoch noch im Nebel.

Seit rund drei Jahren vertreibt Wolff die aus China importierten Produkte übers Internet. Von der Pfeife bis zum schwarzen Hightech-Dampfer im Zigarrenformat ist alles zu haben. Das Prinzip dahinter ist einfach: Bei jedem Zug verdampft ein akkubetriebenes Brennelement flüssiges Nikotinkonzentrat. Um die Illusion perfekt wirken zu lassen, illuminiert eine Leuchtdiode die Zigarettenspitze. Bis zu 300 Züge bietet eine Kapsel, was 25 echten Kippen entsprechen soll. Der Raucher inhaliert Nikotindampf.

Da kein Tabak verbrennt, sollen Anbietern zufolge keine Schadstoffe entstehen. Einige Internet-Händler bewerben die E-Zigarette gar als "gesunde Alternative zum Rauchen", die den "Ausweg aus der Nikotinsucht" erleichtere. Wissenschaftliche Begründungen gibt es dafür nicht. Sicher ist vielmehr, dass Nikotin schnell süchtig macht - auch das in den Kartuschen. Konsumenten von E-Zigaretten berichten von Schwindelgefühlen und Übelkeit.

Die Elektro-Kippen seien zu wenig erforscht, sagen Kritiker. So ist unklar, was dem Nikotinkonzentrat zusätzlich beigemischt ist. Einheitliche Regelungen fehlen bislang. Was in den Nikotin-Depots wirklich drin steckt, wissen meist nur die Hersteller. Fragen nach der genauen Zusammensetzung des auch Liquid genannten Konzentrats bleiben in aller Regel mit dem Verweis auf das Betriebsgeheimnis unbeantwortet. Auch Großhändler Wolff schweigt sich über seine Rezeptur aus, die er in einem Labor in der Hansestadt herstellen lässt: "Unsere Kapseln gibt es in mehreren Nikotinkonzentrationen und Geschmacksrichtungen wie etwa Apfel, Vanille oder Schokolade. Da ist nichts Giftiges drin."

Die US-Kontrollbehörde FDA wies dagegen in zahlreichen Proben giftige Substanzen nach, darunter auch krebserregende Nitrosamine. Gegen eine hohe Qualität der E-Zigaretten spricht der FDA zufolge auch der unterschiedliche Nikotingehalt einzelner Kapseln. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weist schon länger auf die Gefahren bei der Inhalation von Nikotin hin. "Nikotin ist ein Nervengift und kann Bluthochdruck sowie Genschäden verursachen. Zur Nikotin-Entwöhnung ist die E-Zigarette definitiv nicht geeignet. Das Gegenteil ist eher der Fall", sagt BfR-Experte Dr. Frank Henkler.

Hingegen machen sich einige US-Forscher für die E-Kippe stark. Der Nikotindampf biete eine gesündere Alternative zum herkömmlichen Tabakqualm, so das Fazit von Zachary Cahn von der University of California und Michael Siegel von der Boston University School of Public Health. Das geringere Gesundheitsrisiko sei höher einzustufen als offene Fragen.

Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) enthält der Rauch einer normalen Zigarette 4800 Schadstoffe - 90 davon hoch krebserregend. Auch wenn E-Zigaretten tatsächlich weniger schädlich sein sollten, plädiert die DKFZ-Expertin Martina Pötschke-Langer für ein Verbot der Elektrovariante: Auf ein weiteres Suchtmittel könne man verzichten. Tatsächlich erwägt die EU-Kommission eine strenge Prüfung, an deren Ende ein Verbot stehen könnte. Eine Entscheidung soll es nicht vor 2012 geben.

Einige Länder setzen sich für die Einstufung als Arzneimittel ein - in Österreich ist das der Fall; auch das BfR empfahl bereits, die E-Zigarette als Arznei- oder Medizinprodukt einzustufen. Damit wäre ihr Verkauf in Deutschland zunächst verboten, da es sich um ein ungeprüftes Produkt handeln würde.

Derzeit können sich E-Raucher über Online-Shops eindecken - und tun dies seit dem Rauchverbot in deutschen Gaststätten vermehrt. Nach Händlerangaben liegen die Kosten um bis zu 40 Prozent niedriger als beim Genuss einer Schachtel herkömmlicher Zigaretten am Tag. Ganz neu ist die E-Zigarette nicht. Seit Jahren forschen Tabakkonzerne an einem rauchfreien Ersatz. Die US-Firma Reynolds testete etwa 1996 in Deutschland die Marke "Hi.Q". Der Glimmstängel erhitzte den Tabak anstatt ihn zu verbrennen und setzte damit Nikotin und Geschmacksstoffe frei. Das als "rücksichtsvolle Zigarette" beworbene Produkt floppte jedoch.

2004 brachte die chinesische Firma Ruyan die erste E-Zigarette auf den Markt. In der Volksrepublik als Ausstiegstherapie für Raucher bejubelt, wurde die Erfindung zum Kassenschlager. Zwei Jahre später ging das Unternehmen mit seiner Erfindung auch in Europa an den Start. Die Tabakbranche hält sich bislang zurück. "Das Thema spielt derzeit keine Rolle", sagt Peter Königsfeld vom Deutschen Zigarettenverband. Es fehlten gesetzliche Vorgaben und einheitliche Standards.