Wie Touristen die Fauna und Flora der Antarktis beeinflussen, untersuchen deutsche Wissenschaftler im Auftrag des Umweltbundesamtes.

Görlitz. 100 Jahre nach Roald Amundsens Wanderung zum Südpol in die Antarktis zu reisen ist keine Seltenheit mehr: Rund 40 000 Besucher strömen jährlich von Kreuzfahrtschiffen aus ins ewige Eis, und eine steigende Anzahl von Forschern aus aller Welt ist ständig vor Ort. Formen all diese Menschen die Biodiversität der Antarktis um? Wissenschaftler des Senckenberg-Forschungsinstituts in Görlitz untersuchen im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA), wie sich Veränderungen der Artenvielfalt frühzeitig messen lassen. Die Analyse der Bodenlebewesen der Antarktis soll dabei Aufschluss geben, ob der Aufenthalt von Menschen die Vielfalt des Lebens auf dem sechsten Kontinent beeinflusst.

Längst ist die Antarktis nicht mehr allein das Land der Entdecker und Abenteurer, der Wissenschaftler und Klimaforscher. Mehr Menschen als je zuvor hinterlassen hier ihre Fußspuren. Unwirtlich wirkt das ewige Eis mit Polarnacht und -tag nur aus menschlicher Sicht; für viele Lebewesen ist die 13,2 Millionen Quadratkilometer große Antarktis ein Zuhause.

Welche Bodenorganismen es zum Beispiel in diesem Lebensraum gibt, ist bereits verhältnismäßig gut untersucht: "Antarktische Böden sind nicht sehr artenreich. Die Bodenorganismen, die dort vorkommen, sind gut bekannt, zum Teil sogar besser als die in Mitteleuropa", sagt David J. Russell, Leiter der Sektion Mesofauna am Senckenberg-Forschungsinstitut in Görlitz.

Russell und seine Kollegen untersuchen millimetergroße Tiere wie Milben und Springschwänze (Mesofauna), noch kleinere Bodentiere wie etwa Fadenwürmer und Bärtierchen (Mikrofauna) sowie die Bodenvegetation (Moose und Flechten). Die Winzlinge sind die Indikatoren, an denen die Wissenschaftler nachweisen, was mit antarktischen Lebensräumen passiert, wenn der Mensch sie "betritt".

Im Auftrag des UBA untersuchen Senckenbergs Bodenzoologen und Botaniker im Forschungsinstitut in Görlitz zwei Jahre lang Bodenproben aus der Antarktis, die sie direkt von dort erhalten. Und sie erkunden auch persönlich - jetzt im antarktischen Sommer - die Bedingungen vor Ort. "Wir haben hier eines der seltenen Projekte, bei denen wir Umweltparameter und Klimadaten analysieren und die gesamte Lebensgemeinschaft betrachten können, nicht nur einzelne Tiergruppen", freut sich Russell. Insbesondere interessiert die Forscher die Verschleppung von Bodenlebewesen zwischen Untersuchungsstellen innerhalb der Antarktis, aber auch zwischen Mikrohabitaten innerhalb der jeweiligen Standorte. Was unterm Schuh kleben bleibt, fällt nämlich ein paar Meter weiter vielleicht wieder ab. Und ein paar Meter sind Strecken, die die winzigen Organismen niemals aus eigener Kraft zurücklegen könnten.

Antarktische Bodengemeinschaften sind einfach strukturiert und sehr empfindlich. Besonders im Sommer existieren sehr viele Mikrohabitate nahe beieinander, die jeweils eine eigene Artenzusammensetzung beherbergen können: Unter großen Steinen, an Schmelzbächen oder auf Flächen, auf denen Pinguine watscheln, lebt jeweils eine eigene Welt im Boden. Die typische, etablierte Fauna hat sich über Jahrtausende an die extremen Bedingungen angepasst. Russell: "Wir können relativ gut vorhersagen, welche Arten wo zu erwarten. Dort, wo es eine lange Geschichte menschlicher Aktivitäten gibt, kommen auch invasive Arten vor."

Auf Landschaftsebene aber nimmt die Vielfalt überall da ab, wo Menschen sind. Das ist eine der Kernhypothesen, denen das Görlitzer Team nachgeht: Der Mensch verwischt mit seinen Schuhsohlen die Verteilung der Arten und verringert damit das, was Ökologen als *-Biodiversität bezeichnen, nämlich die Menge unterschiedlicher Lebensgemeinschaften, die in einem Gebiet vorkommen und gemeinsam die gesamte Biodiversität darstellen.

Die *-Biodiversität ist umso größer, je unterschiedlicher die Artspektren und Mengenverhältnisse in den einzelnen Mikrohabitaten sind. Sie geht gegen null, wenn überall die gleichen Tiere und Pflanzen leben. Vereinheitlichung des Artenspektrums bedeutet eine Verarmung der Vielfalt auf Landschaftsebene. "Wir wollen herausfinden, wie man solche Auswirkungen frühzeitig erkennen kann", sagt Senckenberg-Biologe Russell.

Am Ende des Projekts wird eine Empfehlung stehen, wie die Kriterien zum Betreten der Antarktis modifiziert werden können, um die empfindlichen Lebensgemeinschaften besser zu schützen. Schon jetzt ist zumindest für Kreuzfahrtschiffe und deren Gäste der Besuch in der Antarktis reglementiert. Aber reicht das? Diese Frage war Anlass für das UBA, gemeinsam mit den Bodenspezialisten des Senckenberg-Forschungsinstituts dieses Projekt zu initiieren Nicht zuletzt, weil ein Großteil der Antarktis-Touristen Deutsche sind.

Die Bundesrepublik Deutschland kommt damit auch Verpflichtungen aus dem 1998 in Kraft getretenen Madrider Protokoll nach. Dieses von 34 Ländern ratifizierte Übereinkommen legt die internationalen Bemühungen zum Schutz der Antarktis fest. Es ist eine Ergänzung zum Antarktis-Vertrag von 1959, der die friedliche Nutzung der Antarktis regelt und der Polarforschung vor anderen Interessen Vorrang gewährt. Dem Antarktis-Vertrag ist die Bundesrepublik 1979 beigetreten und beteiligt sich seitdem intensiv an der Erforschung der Antarktis.

Die den Vertrag ergänzenden Umweltschutzvereinbarungen des Madrider Protokolls sehen unter anderem vor, mindestens 50 Jahre lang keinerlei Bodenschätze zu gewinnen und alle menschlichen Aktivitäten vorab einer strengen Umweltprüfung zu unterziehen. Diese Aufgabe obliegt in Deutschland dem Umweltbundesamt, das auf Antrag entsprechende Genehmigungen erteilt. Das UBA ist aber auch bestrebt, mit der Initiierung derartiger Forschungsprojekte aktuellen Fragen des Umweltschutzes in der Antarktis nachzugehen und praktische Maßnahmen zum Schutz der einzigartigen antarktischen Ökosysteme zu entwickeln.