Hamburger Forscher untersuchen die Strukturen von auf dem Meer schwimmenden Gletscherausläufern, um Schmelzprozesse zu verstehen

Hamburg. Eis ist steinhart? Weit gefehlt. Die Gletscher der Antarktis sind immer in Bewegung. Noch bei minus 17 Grad kann man sich dieses Eis beinahe wie Honig auf einem Brot vorstellen: als träge, aber durchaus bewegliche Masse. Und genau wie Honig fließt auch Eis bei höheren Temperaturen etwas schneller. Muss man also bei einer globalen Temperaturerhöhung fürchten, dass Gletscher rascher Richtung Meer fließen?

In unserem Untersuchungsgebiet, dem antarktischen Fimbulisen, strömt das Eis vom höher gelegenen Land rund 250 Kilometer weit hinaus auf den Ozean. Hier bildet es massive Eisplatten, die mehrere Hundert Meter dick werden können. Dieses sogenannte Schelfeis bleibt fest mit dem Gletschereis an Land verbunden, schwimmt aber auf dem Ozean und bewegt sich sogar mit den Gezeiten auf und ab. An den Kanten brechen von Zeit zu Zeit Eisberge ab: Das Eis kalbt.

Um zu verstehen, ob sich durch den Klimawandel das Schelfeis insgesamt zurückzieht, untersuchen wir in der Arbeitsgruppe Glaziologie am KlimaCampus, welche Bedingungen das Eis schnell oder langsam machen.

Das Fimbulisen ist wohl das kälteste Schelfeis der Welt. Trotzdem fließt es mit 700 Metern pro Jahr auffallend schnell - was es aufgrund seiner geringen Temperatur eigentlich nicht dürfte. Was macht das Eis so rasant? Auf Satellitenbildern fallen ganz unterschiedliche Strukturen auf: Neben leicht zerfurchten Gebieten liegen Flächen mit massiven Rissen. Unklar war bislang, wie der mächtige Eiskörper unter der Oberfläche aussieht. Setzen sich die Strukturen und Risse fort? Wird das Eis dadurch weicher und fließt schneller?

Unser Team nutzte Daten, die zwölf Jahre lang durch Radarflüge des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts gewonnen wurden. Dies war ein wissenschaftlicher Glücksfall, denn die Informationslage ist normalerweise recht spärlich. Die Radarstrahlen durchdringen das Eis und liefern genaue Angaben über die innere Struktur. Zum Beispiel fanden wir für ein bestimmtes Furchenmuster heraus, dass es zwar oberflächlich aus Wellen bestand, aber tiefer im Eis dennoch keine Risse auftraten.

Insgesamt identifizierten wir 26 verschiedene Oberflächen, von denen wir jetzt die innere Struktur kennen. Im nächsten Schritt wurde in einem Rechenmodell jeder Zone ein bestimmter Faktor für die Weichheit zugeordnet. Eine knifflige Sache, da sich benachbarte, aber auch entfernte Flächen gegenseitig beeinflussen. Dennoch gelang es uns, das reale Fließen des Gletschers nachzubilden. Das ist ein Indiz dafür, dass wir die innere Stabilität des Eises richtig eingeschätzt haben. Die Erkenntnisse lassen sich direkt auf andere Eisflächen übertragen.

Von der inneren Stabilität der Schelfeise hängt ihre Rückhaltekraft für das Landeis ab. Steigen die Temperaturen, rinnt Schmelzwasser in die Eisfurchen und erzeugt großen Druck. Das Schelfeis bricht schneller, zieht sich zurück und Landeis kann "nachrücken" - die Folge: Der Meeresspiegel steigt.