Hamburger Biotechnologen entwickeln Verfahren, mit denen sie Biomasse-Abfälle zu Ethanol vergären

Hamburg. Die europäischen Kraftstoffe sollen weniger klimaschädlich werden. Deshalb müssen die Benzinsorten vom kommenden Jahr an zehn Prozent Ethanol enthalten, das aus Pflanzen gewonnen wird. Doch der Anbau von Energiepflanzen ist höchst umstritten, nicht selten ist die Klimabilanz des Biosprits kaum besser als die der Erdölprodukte. Das gilt vor allem, wenn der zusätzliche Flächenbedarf Wälder verdrängt. Einen Ausweg bieten Bioenergieträger, die aus Abfallstoffen wie Stroh oder aus Holz hergestellt werden. Techniker entwerfen nun in vielen Teilen der Welt die Bio-Raffinerie der Zukunft - ein norddeutscher Forschungsverbund liegt dabei ganz weit vorn, ebenso Kollegen in Skandinavien. Beide Gruppen trafen sich am Freitag zu einer Fachtagung in Harburg.

"Wir nutzen Enzyme und Hefen, um aus Holzresten, Stroh oder Gras Ethanol herzustellen", sagt Prof. Garabed Antranikian, Leiter des Instituts Technische Mikrobiologie an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). "Dieser biologische Verfahrensansatz benötigt deutlich weniger Energie als der seit Langem bekannte chemische Fischer-Tropsch-Prozess, ein konkurrierendes Verfahren, das in verschiedenen Pilotanlagen erprobt wird. Der Einsatz von Enzymen und Mikroorganismen ist dazu sehr umweltfreundlich, es entstehen keine kritischen Abfallstoffe."

Seit vielen Jahren entwickelt Antranikian Verfahren, die chemische Substanzen unter Einsatz von Enzymen und Mikroorganismen erzeugen. Dabei bereiten die Enzyme die Ausgangsstoffe so auf, dass die winzig kleinen Helfer sie gut verarbeiten können. Da in den Reaktionskesseln der Chemieindustrie oft unwirtliche Bedingungen, etwa großer Druck oder hohe Temperaturen, herrschen, sucht der Mikrobiologe an extremen Standorten wie heißen Quellen oder in der Tiefsee nach widerstandsfähigen Organismen, die das Potenzial haben, in verschiedenen Verfahren unterschiedlichste Chemikalien zu erzeugen. Doch im Fall der Bioethanol-Produktion aus Pflanzenabfällen kann er auf längst bekannte Mitarbeiter zurückgreifen: auf Bäcker- oder Weinhefen, die Zucker zu Alkohol vergären. Genau dies geschieht mit der Zellulose. Es entsteht eine alkoholhaltige Flüssigkeit, die anschließend destilliert wird, um Ethanol zu gewinnen.

Der Schlüssel zur alkoholischen Gärung sind Enzyme, die Zellulose zerlegen und die zerkleinerten Moleküle den Hefen schmackhaft machen. Dadurch wird etwa der Einsatz von Holzschnitzeln möglich. Temperaturen von 180 Grad und ein Druck von zehn Bar zerlegen das Holz in seine Grundsubstanzen Lignin, Zellulose und Hemizellulose. Während es für Lignin noch kein technisch ausgereiftes Verfahren auf der Basis von Enzymen gibt, wird die Zellulose bereits vielfältig genutzt. "In Schweden arbeiten Pilotanlagen, die direkt an Zellstofffabriken angeschlossen sind", sagt Dr. Ralf Grote. Er leitet den Forschungsschwerpunkt Biokatalyse21 an der TU-Tochter TuTech, die die Brücke bildet zwischen der Hochschule und der Wirtschaft.

Auf der Harburger Fachtagung stellte Björn Alriksson vom schwedischen Biotech-Unternehmen Processum einen Anlagenverbund vor, der jährlich zwei Millionen Kubikmeter Holz einsetzt, um Energie und Textilfasern (Viskose) zu produzieren. "Dies ist eine riesige Menge", betont er, "aber in unseren Wäldern haben wir einen jährlichen Holzzuwachs von 100 Millionen Kubikmetern. Die Holznutzung zur Herstellung von Chemikalien ist also nachhaltig. Sie geschah übrigens schon um 1945, wurde aber durch den preiswerteren Rohstoff Erdöl verdrängt."

Auch in Belgien, nahe der Stadt Gent, habe sich bereits ein kleines Netz von Bio-Raffinerien gebildet, so Grote. "Anders als Erdöl-Raffinerien werden die Bio-Raffinerien kleine, dezentrale Einheiten bilden", prognostiziert er.

Kollege Antranikian möchte noch viel mehr als aus Zellulose Biosprit produzieren: "Wir können mithilfe von verschiedenen Enzymen und Hefen eine ganze Reihe von Grundstoffen herstellen, die in der chemischen Industrie das Erdöl ersetzen könnten. Es wäre schade, sich nur auf das Ethanol zu konzentrieren." Das wäre dann so, als wenn ein Pianist auf der Klaviertastatur immer nur einen Ton anschlagen würde.

Weltweit reichten die Biomasse-Abfälle aus, um 40 Prozent aller erdölbasierten Chemikalien zu produzieren, sagt Grote. Würde das Potenzial tatsächlich zur Herstellung von Chemikalien genutzt, so gäbe es allerdings keinen Biosprit aus Pflanzenabfällen.

Angesichts der Tatsache, dass heute fast 90 Prozent des Erdöls in den Energiesektor fließen und nur zehn Prozent in die Chemieindustrie, sei es tendenziell sinnvoller, die begrenzt vorhandenen pflanzlichen Reste als chemische Grundstoffe und nicht zur Kraftstoffproduktion zu verwenden, betont Antranikian. So sieht es auch Prof. Birgit Kamm von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus: "Für die regenerative Energiegewinnung gibt es Alternativen, Sie können Sonne, Wind und Wasserkraft nutzen. Die Chemieindustrie braucht aber die Lignozellulose als Ausgangsmaterial", sagte die deutsche Biotechnik-Pionierin auf der Fachtagung.

Deshalb werden Pflanzenreste zukünftig wohl nur einen kleinen Teil der Mineralölkraftstoffe ersetzen können. Zudem fordert auch die Landwirtschaft ihren Anteil: Etwa 30 Prozent der Erntereste sollten auf dem Feld bleiben, um die Böden nachhaltig nutzen zu können, so Grote. Schließlich sollen die Biokraftstoffe der Zukunft nicht wieder als Konkurrenten der Landwirtschaft in Verruf geraten, so wie dies bei den heutigen Pflanzenkraftstoffen aus Raps, Mais oder Zuckerrohr geschehen ist.