Das physikalische Weltbild steht auf dem Prüfstand, nachdem Forscher erstmals Anti-Wasserstoff-Atome kurzfristig speichern konnten

Hamburg/Genf. Warum gibt es uns? Warum gibt es Sterne, Planeten, das Weltall, den Menschen? Warum verlöschte nicht alles im Moment des Urknalls? Mit trickreichen Experimenten suchen Physiker darauf eine Antwort. "Jetzt sind wir ihr einen großen Schritt nähergekommen", sagt Prof. Joachim Mnich, Forschungsdirektor bei Desy. Weil es Physikern am europäischen Kernforschungszentrum Cern gelungen ist, künstlich hergestellte Antimaterie länger zu speichern, ist der Weg frei, um sie zu erforschen. Das Experiment sei ein wichtiger Erfolg, unterstreicht auch Prof. Rolf Heuer, Generaldirektor des Cern bei Genf, das bekannter für seinen Teilchenbeschleuniger LHC ist. Auf den Prüfstand gerät zugleich unser physikalisches Weltbild.

Antimaterie ist eine Art Spiegelbild unserer Materie. Berühren sich die beiden, löschen sie sich gegenseitig in einem Energieblitz aus - Antimaterie und Materie vernichten sich gegenseitig. Dabei wird die Materie vollständig in Energie umgewandelt. "Das", erläutert Mnich, "hätte eigentlich auch gleich nach dem Urknall vor etwa 13,7 Milliarden Jahren passieren sollen. Denn wir gehen davon aus, dass ursprünglich Materie und Antimaterie zu gleichen Teilen entstanden sind. Doch zu unserem Glück entstand ein klitzekleiner Überschuss an Materie, sonst gäbe es uns nicht, sondern nur Licht im Universum. Aber wie kam es dazu? Das ist immer noch eines der größten Rätsel. Um das zu lösen, sind diese Experimente so wichtig, denn in der Natur konnten wir Antimaterie bislang nicht finden."

Dabei ist Antimaterie keine unbekannte Welt. Bereits 1931 hatte der britische Physiker Paul Dirac die Existenz dieser Welt vorausgesagt. Denn nur so ließe sich Einsteins spezielle Relativitätstheorie mit der Quantentheorie versöhnen. Nur zwei Jahre später entdeckte der Astroforscher Carl Anderson bei seinen Beobachtungen, dass es Antimaterie geben musste. Heute werden die Antiteilchen des Elektrons, die Positronen, in der Medizin genutzt. Die Arbeit mit diesen hochenergetischen Antiteilchen ist also längst Alltag. Doch an ihnen kann man die Spiegelwelt nicht erforschen - sie sind zu schnell.

1995 wurde am Cern erstmals Anti-Wasserstoff hergestellt. Nun ist es den Wissenschaftlern des ALPHA-Projekts gelungen, wie sie in der Fachzeitschrift "Nature" berichten, nicht nur Anti-Wasserstoff herzustellen, sondern auch noch 38 dieser fragilen Atome kurzfristig in einer Art Falle zu speichern.

"Es ist sehr kompliziert, Anti-Wasserstoff herzustellen und dann auch noch im Zaum zu halten", betont Joachim Mnich. Einfach sei es, die beiden Bestandteile des Anti-Wasserstoffs, das Anti-Proton und das Anti-Elektron (Positron) zu gewinnen. Damit sie miteinander zu Anti-Wasserstoff reagieren, müssen sie dann aber verlangsamt werden. Dazu werden die Anti-Protonen in einem Speicherring auf einen halben Grad über den Nullpunkt abgekühlt. Erst danach treffen sie auf die Positronen und reagieren - im Hochvakuum und von elektrischen Feldern eingesperrt - zu Anti-Wasserstoff. Das war den Cern-Forschern bereits 2002 brillant gelungen. Nun toppten sie ihre eigenen Leistungen und sperrten Anti-Wasserstoff für mehr als eine Zehntel Sekunde in einer Art Falle ein. Das sei für einen Teilchenphysiker eine halbe Ewigkeit und reiche aus, um mehr über sie zu erfahren, sagt Joachim Mnich.

Es sei ein Durchbruch, der es erlauben werde, das Standardmodell der Physik zu überprüfen, erläutert Prof. Jeffrey Hangst. Der Däne ist Sprecher der Forschergruppe, deren Mitglieder aus neun Ländern kommen. Das Standardmodell beschreibt die Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen miteinander. Eine Annahme ist, dass Wasserstoff und Anti-Wasserstoff Energie in gleicher Weise abgeben. Mit Laserspektroskopie wollen die Wissenschaftler daher herausfinden, ob Anti-Wasserstoff und Wasserstoff die gleichen Spektrallinien haben.

Ob das Standardmodell der Physik Bestand hat? Das wisse niemand, sagt Hangst vorsichtig. "Physik ist eine beobachtende Wissenschaft und niemand kann sich sicher sein, etwas zu wissen, so lange er es nicht gemessen hat. Dieser Durchbruch wird uns jedenfalls erlauben, das Standardmodell sehr genau zu überprüfen." Wenn dabei nur kleinste Unterschiede zwischen den Spiegelwelten auftauchen, dann muss eine der erfolgreichsten Theorien der Physik, die Quantenfeldtheorie, überarbeitet werden. Dann steht das physikalische Weltbild auf dem Prüfstand.

Doch das wird voraussichtlich nicht vor 2013 geschehen. "Für dieses Jahr haben wir unsere Arbeit beendet. In 2011 werden wir das Experiment für sechs Monate laufen lassen. Da der gegenwärtige Zeitplan des Cern vorsieht, dass 2012 alle Beschleuniger abgeschaltet werden, werden wir das Jahr nutzen, um neue Experimente zu konstruieren", sagt Jeffrey Hangst.

Vielleicht werden wir auch schon in den kommenden Tagen Neues aus der Welt der Antiteilchen hören. Ein zweites Team am Cern hat gerade eine neue Technik entwickelt, um Anti-Wasserstoff herzustellen. In der Anlage bei Genf öffnen sich in rasanter Geschwindigkeit neue Türen in die Welt der Antimaterie. Man darf gespannt sein, was der Blick in den Spiegel zeigen wird.

Das Alpha-Experiment am Cern

Quelle: Cern