Exzellenzserie - Teil 4: Mineralogin Kristina Brandt entwickelt neue Verbundwerkstoffe wie zum Beispiel für Zahnersatz.

Hamburg. Kristina Brandt s ganzer Stolz passt in einen Setzkasten von der Größe eines Schuhkartons. Darin liegen Keramikscheiben, säuberlich beschriftet, der Ertrag aus neun Monaten Arbeit. Die meisten Stücke, weiß, glatt, stabil, dokumentieren den Fortschritt. Doch es gibt auch zerbröselte Proben wie Nummer V29 1GPa, die Brandt daran erinnern, dass sie anfangs "ganz schön zittern" musste, ob sie mit ihrem Forschungsansatz richtig liegen würde.

Die 27-Jährige hat Mineralogie studiert; seit September 2009 arbeitet sie als Doktorandin an der TU Hamburg-Harburg im Forschungsprojekt Integrated Materials Systems (IMS) der Landesexzellenzinitiative . Werkstoffwissenschaftler, Elektro- und Maschinenbau-Ingenieure tüfteln hier an Hochleistungsverbundwerkstoffen, die Vorzüge harter und weicher Stoffe vereinen und dadurch sehr leicht und gleichzeitig extrem belastbar sein sollen. Das Spektrum möglicher Anwendungen reicht von Flugzeugtragflächen und Windrädern bis zum Zahnersatz.

Inspiration finden die Forscher in der Natur. Zahnschmelz beispielsweise besteht hauptsächlich aus einem harten anorganischen Material, dem Phosphat Hydroxylapatit. Anorganisch bedeutet, dass die Moleküle in der Regel keinen Kohlenstoff enthalten. Die Verbindungen zwischen den harten Bausteinen des Zahnschmelzes bilden allerdings weiche Proteine - organische Stoffe. Erst dieser Verbund macht Zähne so erstaunlich robust. Perfekt ist das Material dennoch nicht: Säure kann den Schmelz aufweichen, starke Stöße können ihn zersplittern lassen. Was aber, wenn es gelänge, ein Material zu konstruieren, das die Härte des natürlichen Vorbilds bietet und zusätzlich eine hohe "Schadenstoleranz" aufweist? Ein faszinierender Gedanke, findet Kristina Brandt, gibt sich aber demütig: "Es ist schwer, die Natur zu kopieren."

Das gilt auch für ihre Forschung. Aus einer Studie wusste sie, dass sich Titandioxid, ein harter anorganischer Rohstoff aus der Gruppe der Keramiken, mit weichen organischen Polymeren verbinden lässt. Forscher hatten diese Kombination für eine Wandfarbe genutzt. Grundsätzlich, so Brandts These, sollte sie sich aber auch eignen, um einen sehr harten und zugleich steifen Verbundwerkstoff herzustellen. Ein Dutzend Versuche und etliche zerbröselte Stücke später produzierte sie tatsächlich die erste harte Probe aus Keramik-Polymer-Verbund. "Da war ich sehr erleichtert", erzählt sie und lacht. Die Probe war halbwegs stabil, aber noch weit entfernt von einem Hochleistungsmaterial, das industriell einsetzbar wäre, zum Beispiel als Zahnersatz.

Ihre Arbeit ähnelt der einer Köchin auf der Suche nach dem perfekten Rezept

Deshalb tüftelt Brandt jetzt an der Mischung. Man muss sich das vorstellen wie die Suche nach einem optimalen Rezept: Die Köchin mischt verschiedene Zutaten, variiert die Pulvermengen, erhitzt den Brei, lässt ihn abkühlen, schneidet Stücke zurecht und kostet, bis es schmeckt. Kristina Brandts Küche besteht allerdings aus mehreren Laborräumen und ihre Vorgehensweise ist natürlich erheblich komplexer.

Sie beginnt ihre Versuche an einer sogenannten Planetenkugelmühle. Dieses Gerät enthält Töpfe mit Hunderten von Kugeln, die das Titandioxidpulver unter Zugabe von Wasser in mikroskopisch kleine Partikel zermahlen. Das weiße Gemisch füllt Brandt anschließend in ein Glasgefäß, gibt eine spezielle Seife dazu und dann Acrylglas-Monomere. Monomere sind Kunststoffmoleküle, die sich zu Ketten - Polymeren - zusammenschließen können. Die Polymere bilden den weichen organischen Bestandteil, der mit dem harten anorganischen Titandioxid interagiert.

Aber erst die Seife, die jedes Titandioxidpartikel umschließt, ermöglicht es den Monomeren, an die Partikel anzudocken. Brandt mischt der Rezeptur nun einen sogenannten Initiator bei und erhitzt das Gemisch. Dadurch startet sie die Polymerisation: Die Monomere schließen sich zu Ketten zusammen und bilden eine Hülle um die Titandioxidpartikel.

Diese Mischung füllt Brandt anschließend in eine Zentrifuge, die Wasser und Seife von den polymerisierten Partikeln trennt. Dann lässt sie das Partikelgemisch in einem Ofen zu Pulver trocknen und presst es in einer weiteren Maschine unter hohem Druck zusammen. Dabei bilden die Polymere Brücken zwischen den Partikeln - so wie im Zahnschmelz die weichen Proteine zwischen den harten Phosphatteilchen. Zwei bis drei Tage dauert es, bis Brandt eine neue Scheibe in den Händen hält. Und die muss anschließend noch zur Qualitätskontrolle, wo Ingenieure das gute Stück auf Härte, Druckfestigkeit und Elastizität testen. Manchmal ist es auch ein schlechtes Stück.

So viel harte Keramik wie möglich soll ihr Material enthalten und möglichst wenig weiche Polymere, aber nicht zu wenig, denn dann wird das Material nicht nur hart, sondern auch spröde. "Jedes Mal, wenn ich eine härtere, steifere Probe produziert habe, spornt mich das an", sagt sie und zeigt eines ihrer besten Stücke aus dem Setzkasten.

Im Projekt wird auf interdisziplinäre Zusammenarbeit gesetzt

Werkstoffwissenschaftler wie sie profitieren im Projekt IMS nicht nur von der finanziellen Unterstützung durch die Landesexzellenzinitiative, sondern auch von der Expertise ihrer Forscherkollegen vom GKSS-Forschungszentrum, vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) und von der Universität Hamburg, die ebenfalls an den Untersuchungen beteiligt sind. "Die interdisziplinäre Zusammenarbeit hat sich enorm positiv ausgewirkt", sagt Gerold Schneider, IMS-Sprecher und Professor für Werkstoffwissenschaften.

Kristina Brandts Arbeit gehört zu einem von drei Forschungsbereichen des Projekts. Im zweiten Bereich gehen Forscher der Frage nach, wie Verbundwerkstoffe aus Glas- oder Kohlenstofffasern länger halten - und dadurch weniger Müll verursachen. Solche Materialien kommen etwa im Flugzeugbau zum Einsatz, allerdings können bereits kleine Risse ihre Lebensdauer erheblich verkürzen. Das ließe sich vermeiden, so hoffen die Forscher, wenn sie dem Kunststoff winzige, extrem belastbare Kohlenstoffnanoröhrchen beigeben. Im dritten Bereich werden optische Schichten entwickelt, die Wärmestrahlung reflektieren und dadurch die Lebensdauer von Turbinenschaufeln in Gasturbinen erhöhen sollen.

Kristina Brandts Setzkasten ist fast voll, bald wird sie einen neuen füllen. Ihr Ziel ist, dem Gemisch aus Polymeren und Keramikpartikeln später noch Metallpartikel hinzuzufügen - für ein Material, das noch härter, noch robuster sein wird. Und vielleicht besser als das Vorbild aus der Natur.