Exzellenzserie - Teil 11: Psychologe Nico Bunzeck untersucht, welche Rolle chemische Botenstoffe für das Gedächtnis spielen.

Hamburg. Es gibt Momente im Leben, die sind so beeindruckend, dass der Weg plötzlich völlig klar erscheint. Für Nico Bunzeck kam ein solcher Moment, als er auf einem Monitor ein weißgraues, zerfurchtes Gebilde sah - sein Gehirn. Neun Jahre ist das her. Als Proband für eine Studie hatte er sich in die enge Röhre eines funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRT) gelegt. "Die Aufnahmen haben mich gefesselt", erzählt Bunzeck, 31. Heute ist er promovierter Psychologe und Leiter einer Nachwuchsforschergruppe im Projekt "neurodapt!" der Landesexzellenzinitiative. Seine Faszination für das Gehirn sei sogar noch gewachsen: "Es gibt so viele offene Fragen."

Tatsächlich ist das menschliche Gehirn das komplizierteste Stück Materie, das wir kennen. Ausgerüstet mit 100 Milliarden Nervenzellen, die durch eine Billiarde Synapsen miteinander verknüpft sind, beansprucht es 20 Prozent unseres Sauerstoff- und 15 Prozent unseres Energieverbrauchs, obwohl es mit 1200 bis 1400 Gramm nur rund zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht.

Relativ genau bekannt ist, welche Aufgaben seine verschiedenen Strukturen erfüllen: Das Kleinhirn etwa ist maßgeblich für Bewegungen und Gleichgewicht verantwortlich, der visuelle Kortex in der Großhirnrinde verarbeitet Sehreize, der Hypothalamus im Zwischenhirn steuert unter anderem den Schlaf-Wach-Rhythmus. Und es gibt mehrere Gedächtnissysteme: Für das Wissensgedächtnis beispielsweise, das neue Informationen speichert, ist der Hippokampus verantwortlich, eine Struktur im Schläfenlappen.

Durch neue bildgebende Verfahren können Forscher dem Gehirn heute oberflächlich bei der Arbeit zuschauen: Während ein Proband Bewegungen ausführt, ein Bild betrachtet oder sich neue Informationen merken soll, zeigen die Hightech-Scanner, welche Hirnregion gerade aktiv ist. Wenig erforscht ist allerdings, wie die Hirnregionen zusammenarbeiten, wie ihre Arbeit im Detail, auf zellulärer und molekularer Ebene abläuft - und vor allem: wie sie sich beeinflussen lässt. Letzteres untersucht Nico Bunzeck. Dabei konzentriert er sich auf das Gedächtnis.

Während eines Forschungsaufenthalts in London hatte er 2009 mit Kollegen herausgefunden, dass sich die Geschwindigkeit, mit der wir neue Informationen verarbeiten, steigern lässt - wenn eine Belohnung winkt. Bei den Versuchen sahen die Probanden Bilder auf einem Monitor. Durch Tastendruck mussten sie festlegen, ob die Motive neu oder schon bekannt waren. Richtige Antworten wurden mit 50 Cent belohnt. Das Resultat: Bereits nach 85 Millisekunden erkannten die Probanden neue Informationen - ohne Belohnung dauerte es 200 Millisekunden. Dass Belohnung motivieren kann, ist aus Sicht der Verhaltenspsychologie natürlich ein alter Hut; dass sich Reaktionen des Gehirns durch Motivation beschleunigen lassen, hingegen neu. Und der Geschwindigkeitsunterschied mag zwar gering erscheinen, tatsächlich sind 115 Millisekunden für das Gehirn, dessen Rechenleistung prinzipiell noch die schnellsten Supercomputer übertrifft, eine kleine Ewigkeit.

Aufbauend auf dieser Studie untersucht Nico Bunzeck nun am Institut für Systemische Neurowissenschaften am UKE, welche Rolle sogenannte Neurotransmitter, chemische Botenstoffe wie etwa Dopamin, für die Verarbeitung neuer Informationen spielen. Denn Tests haben gezeigt, dass die Dopamin produzierenden Nervenzellen der Substantia nigra, einer Substanz im Mittelhirn, aktiviert werden, sobald das Gehirn neue Informationen speichert - besonders stark dann, wenn neue Informationen mit einem Belohnungsreiz verbunden sind. Wie genau Dopamin hier wirkt, ist jedoch unklar.

Dabei sei es gerade an dieser Stelle wichtig, Licht ins neuronale Dunkel zu bringen, sagt Bunzeck: "Bei jungen und gesunden Menschen ist das System der Neurotransmitter gut eingestellt. Mit zunehmendem Alter sinkt der Dopaminspiegel jedoch. Vielleicht ist es möglich, eine verminderte Hirnleistung durch die Regulierung des Dopaminspiegels wieder auszugleichen." Derartige therapeutische Ansätze könnten auch bei degenerativen Erkrankungen des Gehirns wie Alzheimer helfen.

Bemerkenswert ist: Ein stark erhöhter Dopaminspiegel, wie er zum Beispiel bei Schizophrenie-Kranken auftritt, kann sich offenbar ähnlich negativ auf die Verarbeitung von neuen Informationen und die Gedächtnisleistung auswirken wie zu niedrige Dopaminwerte. Denn schizophrene Menschen lassen sich leicht von bekannten, "unwichtigen" Reizen ablenken, während gesunde Menschen in der Regel nur auf neue Reize reagieren.

Es kommt offenbar auf die Dosis an: In welcher Konzentration treibt Dopamin das Gehirn optimal an - und wann gerät das sensible System aus der Balance? Das will Nico Bunzeck nun mit neuen Versuchen herausfinden. In einem ersten Schritt wird er Probanden in die Röhre des fMRT schieben und ihnen bekannte und neue Bilder zeigen, wobei ein Teil der Gruppe eine Tablette mit einer Dopamin-Vorstufe schlucken wird. Weil das fMRT zwar äußerst präzise messen kann, wo genau im Gehirn Nervenzellen feuern, aber nur ungenügend, wie schnell sie das tun, wird Bunzeck das Experiment in einem Magnetoenzephalografen (MEG) wiederholen, der die Geschwindigkeit der Hirnaktivität im Millisekundenbereich misst.

Bunzecks Forschungen sind Teil eines interdisziplinären Konzepts: Psychologen arbeiten gemeinsam mit Neurobiologen und Medizinern. Neben dem UKE sind an den Untersuchungen auch die Universität Hamburg, mehrere Max-Planck-Arbeitsgruppen für strukturelle Molekularbiologie, die Universität zu Lübeck und das Neurozentrum der Schön Klinik Hamburg Eilbek beteiligt. "Um Mechanismen des Lernens, der Gedächtnisbildung und damit zusammenhängende Krankheiten zu verstehen, genügt es nicht, Gehirnscanner einzusetzen", sagt neurodapt-Sprecher Prof. Christian Büchel. "Wir müssen Erkenntnisse von der kleinsten Ebene, den molekularen Abläufen im Gehirn, die wir nur im Tierversuch erforschen können, bis hin zur größten Ebene, den sichtbaren Verhaltensweisen zusammenführen." Dafür soll jetzt am UKE ein Professor für "Computational Neuroscience" Computermodelle entwickeln, die das Verhalten von Nervenzellen im Gehirn simulieren können.

Trotzdem werden Fragen offen bleiben. Bunzeck: "Am Gehirn wird noch bis zu meiner Rente geforscht werden. Mindestens."