Wissenschaftler untersuchten Fließgewässer auf die Bedrohung der Wasserversorgung und die biologische Vielfalt.

London. Fast 80 Prozent der Weltbevölkerung lebt im Einzugsbereich von Flüssen, die so stark belastet sind, dass die Wasserversorgung der Anwohner stark gefährdet ist. Das zeigt eine weltweit angelegte Studie zum Zustand der Flüsse, die ein internationales Forscherteam heute in der Zeitschrift "Nature" vorstellt. Relativ detailliert betrachten die Wissenschaftler erstmalig die Bedrohung der Wasserversorgung der Menschen gemeinsam mit den Gefahren für die biologische Vielfalt in den Flüssen.

23 Belastungsfaktoren flossen in die Untersuchung ein. Dazu gehört die Schadstoffbelastung etwa durch Pestizid- und Quecksilber-Einträge, Einflüsse der Landwirtschaft und Fischerei, Flussverbauungen, Wasserentnahmen und Temperaturstress, etwa durch Kühlwassereinleitungen.

Die stärksten Beeinträchtigungen treten in Ballungszentren und allgemein in dicht besiedelten Regionen auf. So schneiden große Teile der USA und Zentralasiens, fast ganz Europa (außer Skandinavien und Nordrussland), der Mittlere Osten und Indien besonders schlecht ab. Hier sind sowohl die Wasserversorgung als auch die biologische Vielfalt stark bedroht.

Bei der Wasserversorgung korrigierten die Autoren das Bild aber um den Faktor technische Maßnahmen. Länder, die sowohl technisch als auch finanziell imstande sind, die Versorgung zu sichern, schneiden dadurch deutlich besser ab, vor allem Westeuropa und die USA. Nur in unbesiedelten Gebieten ist die Welt der Flüsse noch in Ordnung, allerdings leiden selbst entlegene Gebiete wie Alaska oder der Amazonas unter dem Ferntransport von Schadstoffen über die Atmosphäre.

In der Elbe sank die Quecksilber-Belastung um 90 Prozent

In Deutschland zeigt sich ein zweigeteiltes Bild: Die chemische Belastung der Flüsse durch Schadstoffe ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich gesunken, doch sind viele Fließgewässer nach wie vor noch weit von einem naturnahen Zustand entfernt. Sie zwängen sich durch ein Korsett aus steinernen Ufern, oftmals unterbrochen durch Stauwehre.

In Zahlen ausgedrückt: "88 Prozent der deutschen Gewässer befinden sich in einem guten chemischen Zustand", sagt Dr. Andreas Hoffmann vom Fachbereich Binnengewässer beim Umweltbundesamt (UBA) in Dessau. "Die Einleitungen von Schadstoffen sind stark zurückgegangen, gerade auch in der Elbe. Dort sank die Belastung durch Quecksilber um 90 Prozent. Der Schadstoff gelangt heute vor allem über die Luft ins Wasser, die wichtigste Quecksilberquelle sind Kohlekraftwerke." Allerdings gebe es auch noch Altlasten in den Sedimenten, etwa im Bitterfelder Raum, so Hoffmann. "Bei Hochwasser werden diese Schadstoffe dann erneut mobilisiert." Der Eintrag der Nährstoffe Stickstoff und Phosphor sei nach wie vor zu hoch. Auch hier gehe es kaum noch um Einleitungen, sondern um diffuse Quellen aus der Landwirtschaft.

Während die chemische Wasserqualität der deutschen Flüsse auf gutem Wege ist, gibt es beim ökologischen Zustand der Lebensräume großen Nachholbedarf. Nach den Kriterien der europäischen Wasserrahmenrichtlinie sind nicht einmal zehn Prozent der deutschen Gewässer in einem guten oder sehr guten Zustand. Die Elbe sei der letzte große deutsche Fluss, der noch annähernd natürlich fließt, sagt Hoffmann. Allerdings liegt die Tideelbe, also der Flussabschnitt unterhalb des Wehrs Geesthacht, im roten Bereich - "die Fahrwasservertiefungen haben den Lebensraum und die Gemeinschaft der Flussbewohner massiv gestört", urteilt der UBA-Experte.

In der "Nature"-Studie zeigen die Forscher ein Dilemma auf: Länder mit hohem Einkommen investierten viel Geld in die Verbesserung der Wasserversorgung, ohne jedoch die Ursachen zu bekämpfen, stellten sie fest. Dies sei ein Weg, den sich arme Länder gar nicht leisten können.

Die Belastung der Flüsse führt zur Bedrohung vieler Lebensräume

Sie kritisieren: "Das Fehlen von Vorsorgemaßnahmen setzt die biologische Vielfalt aufs Spiel." Weltweit 65 Prozent des über Flüsse ins Meer transportierten Wassers sei stark beeinflusst und die damit verbundenen natürlichen Lebensräume bedroht.