Bei der Herstellung verschlingen manche Produkte viel Wasser. Der Handel damit verhindert Kriege, sagt ein Forscher

London. Wer eine einzige spanische Tomate isst, hat dem unter Trockenheit leidenden iberischen Anbaugebiet saftige 13 Liter Wasser entzogen. Es floss in die Bewässerung, zum kleineren Teil auch in die Herstellung der eingesetzten Produktionsmittel (etwa Dünger und Pflanzenschutz). Dieses Wasser, das sich nicht im Produkt findet und doch mit ihm eng verbunden ist, heißt auch virtuelles Wasser. Der englische Geograf Prof. Tony Allan prägte den Begriff. Der emeritierte Professor der Universität London ist am 13. August zu Gast beim Internationalen Sommerfestival Hamburg auf Kampnagel (s. unten). Er geht noch weiter: Der Handel mit virtuellem Wasser kann Kriege um Wasserressourcen verhindern.

"In den 60er-Jahren sagten Friedensforscher für die kommenden Jahrzehnte Wasserkrisen, ja Kriege um die Ressource voraus", sagt Allan. "Ende der 80er-Jahre waren die Konflikte noch nicht ausgebrochen. Warum? Die Erklärung ist der Handel mit virtuellem Wasser. Wasserarme Länder, etwa Ägypten, steigerten ihren Lebensmittelimport deutlich. Jedes eingeführte Gut verlagert den Wasserbedarf für seine Produktion in das Exportland." Auch in Textilien, technischen Geräten und anderen industriellen Gütern steckt virtuelles Wasser, bei ihrer Produktion wird ebenfalls Wasser benötigt. Aber die Lebensmittel stellen den Löwenanteil - 80 Prozent des virtuellen Wasserhandels sind mit der Ernährung verbunden. "15 Prozent des über Lebensmittel gehandelten Wassers erhalten den Frieden", behauptet Allan und bezieht sich dabei vor allem auf den Mittleren Osten.

Über den Handel mit virtuellem Wasser können Ressourcen umverteilt werden

Der Handel mit virtuellem Wasser sei, so Allan, ein wichtiges Instrument zur gerechteren Verteilung der Leben spendenden Ressource: Länder, die unter Trockenheit leiden, könnten auf dem Weg der Lebensmittelimporte der Wasserkrise entgegenwirken. "Ingenieure können keine Infrastrukturen für einen globalen Handel mit realem Wasser bauen, das etwa aus Südamerika nach Afrika transportiert wird. Der Umweg über das virtuelle Wasser ist ein eleganter, effektiver Weg, um die Ressource umzuverteilen und damit ihre Verfügbarkeit besser auszubalancieren."

Etwa 70 Prozent des weltweiten Wasserkonsums fließt in die Landwirtschaft. Würde durch Importlebensmittel in neuralgischen Gebieten der Wasserbedarf sinken, könnte dies dort die Versorgungssicherheit mit Trinkwasser steigern. Gerade hat die Uno-Vollversammlung den Anspruch auf sauberes, trinkbares Wasser zum Grundrecht erklärt; es wurde am 28. Juli in einer Resolution festgeschrieben. Beobachter werten dies als Signal, dass der Kampf gegen die Wasserknappheit verstärkt werden soll. Nach Uno-Erhebungen haben 884 Millionen Menschen keinen oder nur einen unzureichenden Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Allans virtueller Wasserhandel wäre also gerade für wasserarme Entwicklungsländer ein potenzieller Lösungsansatz. Doch Kritiker wenden ein, dass sich diese Länder dann von Lebensmittelimporten abhängig machten. Dieses Problem sieht auch Allan. Der Handel mit virtuellem Wasser könne nur dann friedenssichernd wirken, wenn er fair sei. Und mit dem fairen Handel hadere die Welt seit Jahrzehnten, etwa wenn es um die Rechte von Arbeitern gehe. "Wir müssen den Wert des virtuellen Wassers in den Handel einbeziehen", sagt Allan. "Das ist nicht einfach."

Heute fließt virtuelles Wasser noch allzu oft in die verkehrte Richtung: von trockenen Ländern in die Industrienationen. "Deutschland deckt seinen aktuellen Wasserverbrauch nur zur Hälfte aus eigenen Ressourcen", heißt es im Bericht "Der Wasser-Fußabdruck Deutschlands", den die Umweltstiftung WWF 2009 veröffentlichte. Demnach "verbraucht" jeder Bundesbürger 5280 Liter Wasser am Tag. Allein 3900 sind mit unserer Ernährung verbunden. Gut die Hälfte, 2053 Liter, floss in die Produktion von importierten Lebensmitteln, der große Rest wurde in der hiesigen Landwirtschaft eingesetzt.

Die größte virtuelle Wassermenge bezieht Deutschland aus Brasilien, so die WWF-Studie. Allein an dem eingeführten brasilianischen Kaffee "hängen" jährlich etwa 2,65 Kubikkilometer (km{+3}) Wasser und damit fast das Volumen des Starnberger Sees (knapp 3 km{+3}) - umgerechnet auf eine Tasse sind es 140 Liter. Weitere 1,9 km{+3} verstecken sich in Soja, das vor allem zu Futtermitteln verarbeitet wird, 0,4 km{+3} sind mit Fleischimporten verbunden. "Fleisch ist das Monster", betont Tony Allan. So steht es auch in der WWF-Studie: Ein Kilogramm Rindfleisch hinterlässt im Erzeugerland einen "Wasser-Fußabdruck" von 15 500 Liter.

Der Report rechnet vor: "In der Regel dauert es drei Jahre, bis ein Rind schlachtreif ist und etwa 200 Kilogramm knochenloses Fleisch liefert. In diesem Zeitraum hat jedes Tier fast 1300 Kilo Getreide und 7200 Kilo Heu oder Silage gefressen. Dazu kommen etwa 24 Kubikmeter an Trinkwasser und weitere sieben Kubikmeter Wasser für die Reinigung der Ställe und anderes. In jedem Kilogramm Rindfleisch stecken 6,5 Kilogramm Getreide, 36 Kilogramm Raufutter und 155 Liter Wasser - allein für die Produktion des Futters werden 15 300 Liter Wasser benötigt."

Rindfleisch " schluckt" sehr viel Wasser. Allan rät zur vegetarischen Ernährung

Die Rinder seien die Schlimmsten, so Allan. "Von Natur sind sie ausgestattet, um Gras zu fressen. Wir geben ihnen Getreide, das sie viel schlechter verwerten können als beispielsweise Schweine." Die Produktion von einem Kilo Schafsfleisch schlucke halb so viel Wasser wie ein Kilo Rindfleisch; beim Geflügel sei es ein Viertel. Noch wassersparender wäre der Umstieg auf eine vegetarische Ernährung, rät der Brite, dies vermeide etwa die Hälfte des mit der Ernährung verbundenen Verbrauchs.