Experten streiten über die Frage, ob Pestizide, die Kulturpflanzen zusammen mit Wasser absondern, das Bienensterben auslösen können.

Braunschweig. Das rätselhafte Bienensterben ist auch vom Pestizideinsatz verursacht, davon sind zumindest Umweltschützer überzeugt. Hersteller der Wirkstoffe argumentieren, die Risiken seien bei der Zulassung ausreichend untersucht worden. Doch es gibt einen bislang kaum erforschten Weg, auf dem die Honigbienen mit den fraglichen Giften in Kontakt kommen können: über Rückstände im Wasser, das behandelte Pflanzen an den Blatträndern absondern.

Beizmittel von Mais-Saatgut sind besonders bienengiftig

Drei Wirkstoffe der Gruppe der Neonicotinoide stehen schon länger in Verdacht, die Bienenvölker so zu schwächen, dass ihre Zahl von rund einer Million vor zwei Jahrzehnten auf heute 600 000 bis 700 000 sank. Die Substanzen sollen als Beizmittel vor allem Mais-Saatgut vor Schadinsekten bewahren und tragen die sperrigen Namen Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Das Trio ist unter allen Pflanzenschutzmitteln am giftigsten für Bienen. Der erste Stoff hat 2008 am Oberrhein den Tod von Zehntausenden Völkern ausgelöst, durch Staub, der beim Aussäen in die Umwelt gelangte und die Insekten vergiftete. Seine Zulassung ruht derzeit, mit Ausnahme eines Produkts namens Santana, ein Granulat, das Clothianidin enthält.

"Das von vielen Imkern beobachtete massive Bienensterben ist mit hoher Wahrscheinlichkeit durch diese Nervengifte verursacht", so der Deutsche Berufsimker Bund und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Pestizide reicherten sich im Boden an und könnten durch Pflanzen und Tiere wieder aufgenommen werden. Ihr Einsatz müsse verboten werden.

Die Gifte tauchen an Stellen auf, die bei der Zulassung der Wirkstoffe unbeachtet blieben: Auf der Suche nach der Erklärung der Sterbewelle im Jahr 2008 entdeckte der Entomologe (Insektenkundler) Vincenzo Girolami von der Universität Padua in Norditalien, dass Clothianidin auf einem Weg durch die Pflanze ins Freie gerät. Girolami untersuchte die Wassertröpfchen, die viele Pflanzenarten, auch Mais, an ihren Blatträndern abgeben. Dieses sogenannte Guttationswasser von behandelten Maispflanzen enthielt hohe Gehalte des Giftes.

"Die gefundenen Werte waren auf jeden Fall hoch genug, dass sie für die Bienen eine tödliche Dosis darstellen würden, wenn die Insekten das Wasser in ihren Stock eintragen", sagt Dr. Rolf Forster vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), Abteilung Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, in Braunschweig. "Bis zu dieser Studie haben Wissenschaftler diesen Eintragspfad nicht gesondert berücksichtigt, weil er ihnen nicht bekannt war. Deshalb fehlt er bei den Prüfungen, die im Rahmen der Zulassung unternommen worden sind. Dort wurde die Giftigkeit der Wirkstoffe bestimmt, wenn diese über die Nahrung - also mit Pollen oder Nektar - von den Bienen aufgenommen werden oder wenn die Insekten mit ihnen in Kontakt geraten." Allerdings, betont Forster, sei noch ungeklärt, in welchem Maße die Bienen überhaupt Guttationswasser von Kulturpflanzen in ihre Stöcke eintrügen.

Utz Klages, Sprecher der Bayer CropScience, einem der Hersteller der Wirkstoffe, hält diesen Eintragspfad für abwegig: "Für das Bienensterben gibt es eine Vielzahl von Gründen, etwa Krankheiten, Parasitenbefall, Klimawandel. Die Hypothese von einem Zusammenhang von Pflanzenschutzmitteln und Bienensterben ist nicht haltbar."

Aber gerade im Guttationswasser von Maispflanzen fanden sich hohe Gehalte von Clothianidin. Derzeit ist der Wirkstoff zum Beizen für Mais-Saatgut nicht zugelassen; Gleiches gilt für die anderen beiden Substanzen Imidacloprid und Thiamethoxam. Die Maisbauern benötigen sie, um zwei Schädlinge zu bekämpfen, den Westlichen Maiswurzelbohrer und Drahtwürmer. Um die Wurzelbohrer in Schach zu halten, gibt es eine ideale, weil komplett ungiftige Alternative: Ein dreigliedriger Fruchtwechsel gibt dem Käfer, dessen Larve sich in die Wurzeln bohrt, keine Chance zur Massenvermehrung. Doch viele "Maisbetriebe" können die Frucht kaum wechseln, denn sie sind spezialisiert, haben einen Maschinenpark, der nur Mais sät, erntet, verarbeitet. Forster: "Die Mais-Monokulturen, auch solche zur Energiegewinnung, sind mit Sicherheit eine Schwachstelle, die den Befall begünstigt. Hier sollte umgedacht werden."

Neben dem Fruchtwechsel steht zudem ein Wirkstoff der Gruppe der Pyrethroide zur Verfügung, der den Wurzelbohrer tötet, aber nicht von den Pflanzen aufgenommen wird. Aber beide Alternativen haben einen Haken: Sie sind weniger wirksam, wenn es um die Bekämpfung der Drahtwürmer geht. Hier könnte das Kontaktgift Fipronil als mögliche Alternative zu den giftigen drei infrage kommen, so Forster. Aber auch diese Substanz gilt als extrem bienengefährlich.

Neuer nationaler Aktionsplan zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln

Dies zeigt das Dilemma vieler Agrargifte, deren Wirkung ja gerade darauf beruht, dass sie - möglichst gezielt - Insekten oder andere Schädlinge töten. Das führt leicht zu Kollateralschäden in der Umwelt. Der Berufsimker Bund und der BUND fordern deshalb eine allgemeine Reduktion des Pestizideinsatzes um 30 Prozent innerhalb von fünf Jahren. Dies sei im Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, kurz NAP, verbindlich festzuschreiben, fordern sie.

Der NAP werde gerade überarbeitet, so BVL-Experte Forster. "In der derzeitigen Version ist das Ziel vorgesehen, Risiken, die durch die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel für die menschliche Gesundheit und die Umwelt entstehen, weiter zu reduzieren. Es ist zu erwarten, dass auch der Schutz der Honigbiene verbessert wird."

Ausflug für Bienenfreunde: Imkertag im Botanischen Garten, So, 29. August, 12-18 Uhr, Botanischer Garten Klein Flottbek, Ohnhorststr. 18