Exzellenzserie - Teil 5: Gentechnikerin Nicole Fischer beobachtet, wie sich Erreger in den Wirtszellen verhalten

Hamburg. Für ihre Gegner hegt Dr. Nicole Fischer nicht nur Respekt, sondern auch eine gewisse Faszination: "Viren sind so clever darin, den Wirt auszunutzen, sie haben so viele Strategien entwickelt, sich zu verstecken und das Immunsystem auszutricksen - das ist schon erstaunlich."

Erstaunlich insofern, weil Viren auf den ersten Blick primitive Organismen zu sein scheinen: Sie besitzen keinen Stoffwechsel, sie können keine Energie umwandeln und keine Proteine herstellen, sie können sich deshalb auch nicht alleine reproduzieren wie "echte" Lebewesen. Viren bestehen nur aus Nukleinsäuren, teilweise noch umgeben von einer Hülle aus Fetten und Eiweißen.

Und doch behaupten sie sich seit dem Beginn der Evolution, weil sie die Fähigkeit besitzen, ihre Erbsubstanz in fremde Zellen einzuschleusen und deren Stoffwechsel für ihre Vermehrung zu nutzen. Sie sind hoch spezialisiert, und Hunderte ihrer Art - die sogenannten humanpathogenen Viren - werden dem Menschen gefährlich, weil sie Erkrankungen wie Aids, Grippe, Hepatitis oder Krebs auslösen können.

Nicole Fischer will den Tricks der winzigen Eindringlinge auf die Schliche kommen. Die 40-jährige Virologin hat Biologie studiert, mit dem Schwerpunkt Gentechnik. Nach der Promotion arbeitete sie sechs Jahre an der University of California in San Francisco, wo sie mit neuartigen Analyseverfahren nach unbekannten Viren suchte. 2006 wurde sie gemeinsam mit Kollegen tatsächlich fündig: In Zellen von Prostatatumoren entdeckte sie XMRV, ein neues Virus, das seitdem - gemäß seines Fundortes - im Verdacht steht, Krebs auszulösen.

Ob das tatsächlich stimmt und was sich dagegen machen lässt, untersucht Fischer jetzt am UKE als Leiterin einer Nachwuchsforschergruppe, die zur "Hamburg School for Structure and Dynamics in Infection" (SDI) der Landesexzellenzinitiative gehört. Insgesamt zwölf solcher Doktorandengruppen sind an dem Großprojekt beteiligt, das sich neben Viren auch diversen anderen Krankheitserregern wie Bakterien und Parasiten widmet. Im Mittelpunkt steht immer das komplizierte Wechselspiel zwischen Erreger und Wirt, das in den erstaunlichsten Varianten stattfindet.

Zum Beispiel Tuberkulose-Bakterien: Diese Erreger lassen sich zunächst zwar von Fresszellen des Immunsystems verschlingen, stoppen dann aber deren Verdauungsprozess und vermehren sich in den Fresszellen. Wie sie das anstellen - unklar. Oder eben XMRV: Wahrscheinlich tragen viele Menschen dieses Virus in sich; den meisten passiert jedoch nichts. Ist das Immunsystem des Körpers intakt, bildet es Antikörper gegen XMRV. Doch unter bestimmten Bedingungen scheint der Eindringling Tumore zu verursachen - aber wie? "Das Erbgut vieler Viren ist entschlüsselt, wir können sogar problemlos Viren-Genome künstlich herstellen, wir wissen aber nur wenig darüber, welche Faktoren regeln, wie sich das Virus in der Wirtszelle verhält", sagt Fischer. Bevor die Forscherin das analysieren kann, muss sie das Virus zunächst aufwendig züchten.

Das geschieht am Campus Forschung am UKE. Ein Labor im zweiten Stock, durch tiefe Fenster scheint die Sonne herein. Fischer trägt einen weißen Kittel und blaue Handschuhe, sie hält eine handtellergroße Platte ins Licht. Darin befinden sich Bakterien, in denen sich Genabschnitte von XMRV vermehren. Der Laie mag das verblüffend finden, für Virenforscher ist es völlig normal: Ein Bakterium dient als kostengünstiger Brutkasten, weil es die viralen Genabschnitte nicht als potenziell bedrohliche Elemente erkennt und sie an seinem Stoffwechsel teilhaben lässt.

Haben sich die viralen DNA-Abschnitte ausreichend vermehrt, löst Fischer sie aus den Bakterien heraus und ergänzt sie mit gentechnischen Methoden zu vollständigen Erbgutsträngen. Dieser Viren-DNA fügt sie fluoreszierende Stoffe hinzu und baut sie anschließend in Zellkulturen ein, wo sich die Viren vermehren. Normalerweise sind die Winzlinge nur unter einem Elektronenmikroskop erkennbar, aber die integrierten Stoffe machen sie auch unter einem einfachen Fluoreszenzmikroskop als grüne Punkte sichtbar. Wie viele Viren in einer Zellkultur herangewachsen sind, analysiert die Forscherin mithilfe eines sogenannten PCR-Geräts. Das ist wichtig für die folgenden Experimente: Womöglich verursacht erst eine bestimmte Konzentration von XMRV Tumore, vermutet Fischer.

Was nach einer Infektion mit dem Virus in Zellen passiert, untersucht Fischer mit ihrer Forschergruppe an Mäusen. Wie das genau abläuft, möchte sie nicht zeigen. Viele Menschen sehen Tierversuche kritisch, in der biotechnologischen und medizinischen Forschung sind die Tests jedoch üblich und nach Meinung der Deutschen Forschungsgesellschaft derzeit nicht ersetzbar. Auch Nicole Fischer sagt: "Ohne geht es leider nicht."

Sie führt aus dem Labor heraus und den Gang hinunter. Zwei Türen weiter befindet sich das wohl spektakulärste Forschungsinstrument der Etage, ein 300 000 Euro teures sogenanntes Spinning-Disk-Mikroskop. Es erfasst eine infizierte Zelle nicht als Ganzes, sondern tastet sie Punkt für Punkt ab, das allerdings äußerst schnell und hochpräzise. Dadurch kann es Schnitte durch die Zelle abbilden, was Nicole Fischer hilft zu lokalisieren, wo genau sich das Virus versteckt und wie es sich in der Zelle bewegt.

An den Forschungen des Projekts SDI sind neben dem UKE auch das Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie, das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und das Deutsche Elektronen-Synchroton (Desy) beteiligt. Diese Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Biologie, Medizin und Physik mache das Projekt einzigartig, sagt SDI-Sprecher Professor Martin Aepfelbacher.

Besonders stolz sei er auf die Zusammenarbeit mit Desy. Dort könnten Physiker mit speziellen Geräten sogar die dreidimensionale Struktur von Erregern wie XMRV abbilden. Die äußere Form, also etwa die Hülle, eines Virus genau zu bestimmen, sei deshalb so wichtig, weil auf dieser Grundlage sogenannte Inhibitoren entwickeln werden könnten, Hemmstoffe, die das Virus blockieren. Und vielleicht sogar Medikamente, die es eliminieren - ohne der Wirtszelle zu schaden.

Davon träumt auch Nicole Fischer. Sie schließt die Tür zum Mikroskop-Raum und tritt wieder auf den Gang. "Irgendwann werden wir schlauer sein als die Viren."