Dem Phänomen des Übertrainings will ein Sportwissenschaftler bei einem Radrennen durch Südamerika auf die Spur kommen

Hamburg. Viele Tage lief es gut für den Profi-Radsportler: fünf Etappensiege, das Gelbe Trikot in Reichweite - doch dann der Einbruch. Erst fährt er noch im Mittelfeld mit, dann aber fällt er immer weiter zurück. Seine Leistungen verschlechtern sich, und das, obwohl er täglich intensiv trainiert. Den Sieg der Tour de France kann er abschreiben.

Derartige - exemplarische - Leistungseinbrüche sind keine Seltenheit. Martin Neitzke weiß warum. Der 28-jährige Hamburger studiert Sportwissenschaften an der Technischen Universität in Darmstadt und beschäftigt sich mit diesem Phänomen. "Wenn jemand viel trainiert, aber sich seine Leistung kontinuierlich verschlechtert, spricht man von Übertraining", sagt Neitzke.

Dafür kann es viele Gründe geben. Empfindet ein Sportler das Training oder einen Langzeit-Wettkampf als zu monoton, und werden Geist und Körper keine Abwechslung geboten, kann sich die Leistung des Athleten verschlechtern. Auch innere und äußere Stressfaktoren spielen eine Rolle. Wer von sich selbst oder seiner Umwelt unter Druck gesetzt wird, kann ebenso abbauen.

Diagnosemöglichkeiten, mithilfe derer man den Zustand des Übertrainings feststellen könnte, seien aber immer noch nicht richtig ausgereift, so Neitzke. "Es muss auch Methoden geben, die mit einfachen Mitteln von jedem ambitionierten Hobbysportler durchgeführt werden können", sagt der Sportstudent.

Martin Neitzke hat auch schon eine Idee, wie diese Methoden aussehen könnten. Für seine Magisterarbeit über das Übertraining begibt er sich dafür auf eine Forschungsreise der ganz besonderen Art: Auf dem 132-tägigen Mountainbike-Rennen The Andes Trail in Südamerika will er nicht nur selbst mitfahren, sondern parallel dazu auch die körperliche und psychische Verfassung dreier Mitfahrer dokumentieren. Dazu stattet er sie mit einem Herzfrequenzmessgerät aus und lässt sie täglich einen Fragebogen ausfüllen, in welchem sie Auskunft geben müssen, wie stark sie sich belastet fühlen und wie schnell sie sich erholen können.

"Dieses Rennen ist prädestiniert für meine Studie", sagt Neitzke. "Die äußeren Einflussfaktoren sind für uns alle die gleichen, daher hoffe ich, dass meine drei Probanden möglichst ähnliche Entwicklungsstadien durchlaufen." Bereits 2004 hat Martin Neitzke an der Tour d'Afrique, einem von der Belastung her vergleichbaren Rennen in Afrika, teilgenommen und konnte schon damals Zustände des Übertrainings bei anderen Teilnehmern feststellen.

Nach dem Ende des Anden-Rennens wird Neitzke alle Messungen und Fragebögen wissenschaftlich auswerten. "Es wird spannend sein zu sehen, wie die psychische die physische Belastung bedingt und umgekehrt", sagt der junge Hamburger. Dass er selbst dem Übertraining zum Opfer fällt, befürchtet er nicht: "Ich habe zwar sportlichen Ehrgeiz und will schon auch mein Rennen fahren, aber jeden Tag ist Höchstleistung einfach nicht drin. Dann lasse ich es lieber einen Tag mal ein wenig langsamer angehen und schaue mir die Landschaft an." Gerade bei einem derart langen Rennen sei es wichtig, auf Abwechslung zu achten, sonst kommt es schnell zu Monotonie und damit auch zu Übertraining.

Das Mountainbike-Rennen The Andes Trail startet am 6. August 2010 in der Nähe von Quito in Ecuador direkt am Äquator. Eine kleine internationale Gruppe an Teilnehmern durchquert bis zum 12. Dezember fünf Länder und landet schließlich, nach insgesamt rund 11 000 Kilometern, am "Ende der Welt" in Ushuaia, Argentinien. Die Distanzen der einzelnen Etappen liegen zwischen 60 und 160 Kilometern. Die Teilnehmer erwarten schlechte Straßen, Hitze, einfachste Lebensbedingungen und ziemlich dünne Höhenluft. "Doch wir nehmen gerne alle Strapazen auf uns", sagt Martin Neitzke.

Ist das Rennen zu Ende, stehen neben der Magisterarbeit auch noch einige Abschlussprüfungen an, mit denen Neitzke wahrscheinlich noch bis September nächsten Jahres beschäftigt sein wird. Was danach kommt, ist jedoch noch ungewiss. Der Hamburger kann sich durchaus vorstellen, auf dem Gebiet auch noch zu promovieren.