Der Schlüssel für gesundes Altern: Menschen sollten nicht zu sehr mit verpassten Chancen hadern, zeigen UKE-Forscher mit ihrer Studie.

Hamburg. "Non, je ne regrette rien" - "Nein, ich bereue nichts", sang die französische Sängerin Edith Piaf. Hamburger Neurowissenschaftler haben nun gezeigt, dass der gelassene Umgang mit verpassten Gelegenheiten eine wichtige Rolle für das gesunde Altern spielt. Dafür beobachteten die Forscher vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Probanden beim Glücksspiel und machten Aufnahmen von deren Gehirn. Fazit: "Wer verpassten Chancen nicht nachtrauert, hält einen Schlüssel für gesundes Altern in der Hand", sagt Studienleiterin Stefanie Brassen, 38, vom Institut für Systemische Neurowissenschaften. Die Studie erscheint im Fachmagazin "Science".

"Bei dem Computerspiel 'Teufelchen' müssen die Spieler nacheinander acht Boxen öffnen. In sieben befindet sich Gold, aus einer Kiste springt ein Cartoon-Teufel heraus. Für jedes gefundene Gold gibt es einen Punkt, erwischt man den Teufel, dann sind die Punkte dieses Durchgangs weg", erklärt Brassen. In einer ersten Studie spielten 21 junge Menschen (Durchschnittsalter 25 Jahre) sowie je 20 ältere gesunde und ältere depressive Probanden (Durchschnittsalter 66 Jahre).

Insgesamt gab es je 80 Durchgänge, jeder Einzelne konnte gestoppt werden, wenn die Spieler ihre Punkte sichern wollten. "In dem Moment, wo ich stoppe, wird mir jedoch gezeigt, wo der Teufel ist. Sitzt er in der achten Kiste, und ich habe bei Kiste drei den Durchgang beendet, sind mir also vier Punkte verloren gegangen, ich habe mich nicht perfekt entschieden", erklärt Brassen. Die Psychologin und ihre Kollegen beobachteten, dass sowohl die jüngeren als auch die älteren depressiven Menschen sich ärgerten und ihr Verhalten bedauerten. "Und sie steigerten in den nächsten Durchgängen signifikant ihr Risikoverhalten. Die gesunden Alten ließen sich jedoch nicht beeinflussen und machten weiter wie zuvor."

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Während der Versuche lagen die Probanden in einer Röhre; es wurden Aufnahmen des Gehirns mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie gemacht. Damit lassen sich Rückschlüsse auf die Aktivität einer Hirnregion ziehen. "Wir haben uns zwei Hirnregionen angeschaut: zum einen das Belohnungssystem und zum anderen einen Teil des Frontalhirns, der eine Rolle bei der Kontrolle von Emotionen übernimmt", sagt Brassen. Es zeigte sich: Bei den Verärgerten mit höherem Risikoverhalten als Folge waren Teile des Belohnungssystem so wenig aktiv, als wenn sie verloren hätten. Das traf auf die jungen und älteren depressiven Teilnehmer zu. "Dabei hatten sie ja eigentlich einen Gewinn eingefahren, wenn auch vielleicht einen niedrigeren", so die Psychologin.

Gesunde ältere Menschen hätten hingegen auf Gewinndurchgänge immer mit einem Signalanstieg im Belohnungssystem reagiert - unabhängig davon, ob sie noch viel mehr hätten gewinnen können. "Wenn jedoch der Teufel hervorsprang und sie keine Punkte gewonnen hatten, dann sah man auch bei ihnen weniger Signal im Belohnungssystem." Aber: Das Frontalhirn war aktiver. Brassen: "Wir gehen davon aus, dass die gesunden Alten zwar schon verstanden haben, dass es noch besser hätte laufen können, sie regulierten den Ärger aber wohl mithilfe des Frontalhirns. Ob sie sich bewusst sagten, 'Das ist nur ein Glücksspiel', oder ob dies unbewusst ablief, können wir nicht exakt sagen." In einer zweiten Studie mit je 15 gesunden und depressiven Älteren konnten die Forscher ihre Ergebnisse bestätigen. "In Interviews zeigte sich: Die Menschen, die nicht auf verpasste Chancen im Experiment mit mehr Risiko reagierten, zeigten auch die größte Gelassenheit im Umgang mit real verpassten Lebenschancen."

Brassen sieht in ihren Ergebnissen eine Gegenrichtung zur "Anti-Aging-Bewegung": "Die älteren Gesunden haben einen Wandel vollzogen, während die älteren depressiven Menschen sich jugendhaft verhalten haben. Aber: Jung aussehen, Fitness, neuer Berufsstart - im Alter stehen einem nicht mehr alle Wege offen." Während man in jungen Jahren nach einer Fehlentscheidung oft eine zweite Chance bekomme, treffe dies auf das Alter nicht zu. "Es ist gesünder, sich daran anzupassen und die Möglichkeiten zu nutzen, die man noch hat, als Dingen nachzuhängen, die nicht mehr infrage kommen", sagt Brassen.

Zudem spreche es für ein gesünderes Altern, wenn man sich die Schuld für Misserfolge nicht immer in die eigenen Schuhe schiebe, sondern die Verantwortung einmal von sich weg weise. In der Verhaltenstherapie spielten solche Theorien schon lange eine Rolle. Nun müsse geklärt werden, ob eine Anpassung im Alter durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen gefördert werden könnte.