Forscher produzierten bereits Hack aus Zellkulturen und pflanzliche Schnitzel als potenzielle Alternativen zur Massentierhaltung.

Hamburg. Österliche Kräuterbraten oder doch lieber ein vegetarisches Festgericht? Trotz zahlreicher Skandale um die oftmals quälerische und dazu klimaschädliche Massentierhaltung ist vielen Deutschen ihr Appetit auf Fleisch nicht vergangen. Gleichzeitig steigt in den großen Schwellenländern der Fleischkonsum, allen voran in China. Und die Menschheit wächst weiter. Ernährungsexperten warnen, dass sich der in vielen Entwicklungsländern herrschende Mangel an eiweißreicher Nahrung verschärfen und ausbreiten wird. Einen Ausweg könnten Alternativen zum Mastfleisch weisen.

Der niederländische Physiologe Prof. Mark Post (Uni Maastricht) will schon im Oktober einen Burger aus Rinderhack präsentieren, das er in Zellkulturen heranwachsen ließ. Sein Laborfleisch zog er aus Stammzellen, die darauf programmiert sind, Muskelgewebe zu bilden. Zwar wird das Synthetik-Hackbällchen wohl nur die Größe eines Golfballs erreichen und um die 250 000 Euro kosten. Dennoch löste die Ankündigung bereits eine Diskussion darüber aus, ob das Laborfleisch wirklich auf die Teller kommen sollte.

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Das künstliche Muskelgewebe entsprang dem Forschungsbereich Tissue Engineering, dem (medizinisch begründeten) Versuch, künstliches Ersatzgewebe wie Haut, Gefäße, Herzklappen oder Organe herzustellen. Doch selbst in der Medizin, in der die Kosten für ein gewachsenes Gewebe natürlich weitaus höher sein dürften, befinden sich die Verfahren noch in der Entwicklung, es wird intensiv an ihnen geforscht.

Dennoch hoffen Post und weitere Kollegen an den Universitäten Amsterdam und Eindhoven, bereits in fünf Jahren synthetisches Fleisch erzeugen zu können, das für die Wurst oder als Burger taugt. Komplexere Strukturen wie Steaks könnten in etwa zwei Jahrzehnten herstellbar werden, heißt es. Die Zellen wachsen bei 37,5 Grad keimfrei auf und müssen mit schwachen Elektroschocks "trainiert" werden, damit sie den natürlichen Muskelfasern von Schlachttieren nahekommen.

Einen zweiten Ansatz verfolgen Forscher des Fraunhofer Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising. Sie entwickeln pflanzliche Fleischersatzprodukte, wahlweise aus Weizen, Erbsen, Lupinen oder Soja. "Das künstliche Fleisch aus Zellkulturen ist noch Grundlagenforschung. Wir sind dichter an der Marktreife", sagt Florian Wild vom IVV. Anders als der allseits bekannte Fleischersatz aus Soja, werden bei dem Freisinger Verfahren die aus der pflanzlichen Rohmasse konzentrierten Eiweiße nicht unter hohem Druck erhitzt und dann schlagartig abgekühlt, weil dabei nicht die gewünschte fleischtypische Struktur entsteht. Stattdessen kochen die Forscher die Eiweiße mit Wasser auf und lassen die Masse dann ganz langsam erkalten. Mit sinkender Temperatur beginnen die Eiweißmoleküle Ketten zu bilden - es entsteht eine faserige Struktur, die Fleisch sehr ähnelt.

"Die Struktur ist nahe am Hühnerfleisch", sagt Wild, auch die Imitation von Schweinefleisch "müsste gehen". Wenn die Struktur stimmt, sei das Ziel (fast) erreicht. Dem Produkt müsse nur noch das passende Aroma verliehen werden, doch dies sei technisch kein Problem. Das lässt sich an Tütensuppen nachvollziehen, deren Hühner(fett)anteil im einstelligen Prozentbereich liegt und die trotzdem nach Huhn schmecken. Allerdings hat das pflanzliche Fleisch eine gleichmäßige Härte, wie man sie von Schnitzeln kennt. Ein gegrilltes Steak, das außen fest und innen weich ist, lässt sich so nicht herstellen.

Verfahrenstechniker Wild möchte sein Pflanzenfleisch nicht mit Analog-Käse verglichen wissen, der aus mit Wasser und Pflanzenöl vermengtem Milch-, Soja- oder Bakterieneiweiß zusammengerührt wird. Emulgatoren, Aroma- und Farbstoffe, Salz und Geschmacksverstärker verhelfen ihm zu einem käseähnlichen Zustand. Analog-Käse ist ein Billigprodukt, das oft dort zum Einsatz kommt, wo die Bezeichnung "Käse" (und damit der Käse selbst) nicht unbedingt nötig ist, etwa bei "Pizza-Mix"-Gebäck.

Das vegetarische IVV-Fleisch müsse eine ganz neue Produktgruppe werden, meint Wild. Es sollte nicht versteckt, sondern explizit beworben werden: "Es ist schon Hackfleisch auf dem Markt, das mit Sojagranulat angereichert ist. Soja ist preiswerter als Fleisch. Das Produkt wird als besonders gesund ausgelobt und sogar etwas teurer verkauft als normales Hackfleisch." Damit wäre es eher vergleichbar mit Surimi (jap.: zermahlenes Fleisch), der uralten japanischen Tradition, Fisch haltbar zu machen, indem er zermahlen, mit Zucker gegart, geliert und gepresst wird. In Europa wird Surimi meist als Krebsfleisch-Imitat verstanden und hat hier einen eigenen Platz in der asiatischen Küche erhalten.

Fleisch aus der Retorte sei nur einer von mehreren Ansätzen, um dem sich abzeichnenden erhöhten Eiweißmangel zu begegnen, sagt Dr. Gesa Schönberger, Wissenschaftlerin der Dr.-Rainer-Wild-Stiftung für gesunde Ernährung und Mitherausgeberin des Buches "Die Zukunft auf dem Tisch". Sie prognostiziert für die kommenden Jahrzehnte: "Wir werden Fleischersatz bekommen, wenn auch weniger durch Zellkulturen aus dem Labor. Denn wenn wir Fleisch essen, dann ist das nicht nur eine Zellart, sondern eine Kombination aus Muskelfasern, Fett, Sehnen - sie lässt sich nicht so einfach im Labor ziehen, höchstens zur Hackfleischherstellung."

Schönberger denkt eher an ganz andere eiweißhaltige Lebensmittel, etwa Algen. Die Deutschen hätten bereits angefangen, Algen zu essen, in der asiatischen Kost, die im Trend liege. Algen enthalten viel Eiweiß, aber auch Vitamine, Fette und Öle. Algenreaktoren, in denen ölhaltige Mikroalgen zur Treibstoffproduktion heranwachsen, könnten gleichzeitig einen (wenn auch kleinen) Beitrag zum Klimaschutz leisten, wenn die grüne Suppe mit Kohlendioxid gefüttert wird. Ist das Öl nach der Ernte abgetrennt, taugt der Rest als Tierfutter und liefert damit über den Umweg Vieh Eiweiße für die menschliche Ernährung.

Eine weitere Proteinquelle sind Insekten. "Wir sollten dafür offen sein", appelliert Schönberger, in anderen Teilen der Welt gehörten Insekten zur Alltagsnahrung. Bevor Heuschrecke, Käfer und Wurm auf den Teller kommen könnten, müsse allerdings das deutsche Lebensmittelrecht geändert werden. Schönberger: "Es verbietet Dinge, die wir nicht essen würden, wenn wir sie erkennen können, etwa Hühnerfüße. Auch mit Maden haben wir ein kulturelles Problem." Heute ist ein Lebensmittel, das eine Made enthält, ein Fall für eine Reklamation. In Zukunft könnte die Made selbst das Lebensmittel sein.

Ernährungstrends zum Nachlesen: " Die Zukunft auf dem Tisch", VS Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-17643-7, 29,95 Euro