Optische Atomuhren könnten die genauesten Zeitmesser der Welt werden. Braunschweiger Physiker arbeiten dabei mit dem Element Ytterbium.

Braunschweig. "Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen", soll Seneca gesagt haben. Der römische Philosoph wäre wohl belustigt, könnte er sehen, wie wahr sein Bonmot noch heute ist. Und er wäre andererseits wahrscheinlich verblüfft darüber, welch enormer Aufwand gegenwärtig betrieben wird, um die Zeit so präzise wie irgend möglich einzuteilen - und sie damit besser zu nutzen.

Forschern der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig gelang es vor Kurzem in einem Experiment, eine sogenannte optische Atomuhr herzustellen, die auf 17 Dezimalstellen hinter dem Komma genau geht. Das entspricht einer theoretischen Abweichung um eine Sekunde in etwa 460 Millionen Jahren. Mit diesem Ergebnis, über das sie in der ersten März-Ausgabe des Fachjournals "Physical Review Letters" berichten, halten die Braunschweiger den Vize-Weltrekord für optische Uhren. Noch präziser, nämlich auf 18 Stellen genau, ließe sich die Zeit mit dem Prototyp einteilen, den ein Team um den Physiker Till Rosenband am National Institute of Standards and Technology (NIST) in Boulder entwickelt hat.

Zum Vergleich: Eine gute Automatikuhr weicht pro Tag um eine Sekunde ab, eine gute Quarzuhr um ein paar Sekunden im Jahr. Den globalen Zeittakt geben längst Atomuhren vor. 13 von ihnen, sogenannte primäre Cäsium-Atomuhren, garantieren die 1972 eingeführte koordinierte Weltzeit, vier davon stehen an der PTB in Braunschweig. Die genauesten dieser Referenzzeitmesser würden in 40 Millionen Jahren um eine Sekunde abweichen. Die nun von den Braunschweiger Physikern erzeugte optische Atomuhr liefe mehr als zehnmal genauer. "Und wir sind da noch längst nicht am Limit", sagt der Leiter der Forschergruppe, Dr. Ekkehard Peik.

Bevor man sich mit den Details dieser wahrhaft kleinteiligen Forschung auseinandersetzt, sollte man sich die Grundlagen der Zeitmessung klarmachen. Im Prinzip besteht jede Uhr aus zwei Teilen: dem Taktgeber und dem Zählwerk. Als Taktgeber fungieren bei der Räderuhr ein Pendel, bei der Automatikuhr ein Gangregler (Unruh) und bei der Quarzuhr ein sogenannter Oszillator. Die Frequenz des Takts wird durch ein Zählwerk gemessen.

Das Besondere einer Atomuhr ist, dass Atome den Takt angeben, genauer: die Elektronen in der Hülle der Atome. Diese Teilchen sitzen auf verschiedenen Schalen, je nachdem, wie viel Energie sie tragen. Man kann sich das auch wie eine Treppe vorstellen. Auf jeder Stufe liegen Bälle. Auf der ersten Stufe solche mit wenig Energie, auf der zweiten solche mit mehr Energie und so weiter. Prinzipiell lässt sich ein einzelnes Elektron auf eine höhere Stufe hieven, wenn man es mit zusätzlicher Energie versorgt, etwa durch Strahlung. Diese muss so groß sein, wie die Treppenstufe hoch ist - ist die Energie zu gering oder zu groß, passiert gar nichts, denn die Elektronen können sich nur auf einer Stufe aufhalten, aber nicht dazwischen.

Das Schöne an diesem Phänomen ist seine Verlässlichkeit: Eine bestimmte Frequenz einer bestimmten Strahlung wird bestimmte Elektronen einer bestimmten Atomart immer dazu bewegen, eine Stufe höher zu "hüpfen". Hat man diese Frequenz, die man auch als Schwingung bezeichnen kann, erst einmal gefunden, kann man sie mithilfe der Elektronen dauerhaft festhalten und sie dauerhaft ausmessen. Legt man dann fest, dass ein bestimmter Abschnitt dieser Schwingung für einen bestimmten Zeitabschnitt steht, kann man die Zeit messen. Dieses Prinzip liegt Atomuhren zugrunde.

Die konventionellen Vertreter dieser Zeitmesser laufen mit Mikrowellen und Cäsium-Atomen. Zunächst werden einige Gramm Cäsium in einem Ofen verdampft und zu einem Atomstrahl gebündelt. In einem sogenannten Hohlraumresonator werden die Atome einem Feld verschiedener Mikrowellen ausgesetzt. Nur bei einer dieser Frequenzen wechseln die Elektronen der Atome ihren Zustand. Diese Frequenz wird festgehalten und ausgezählt. Die Elektronen fungieren also als Taktgeber; die Schwingung der Mikrowellen, genauer: eine bestimmte Periode der Schwingung ist gewissermaßen das Pendel der Uhr. Nach einer Periode von 9 192 631 770 Schwingungen ist eine Sekunde verstrichen - so die Definition, mit der 1967 die Atomzeit als internationaler Standard festgelegt wurde.

Je höher eine Frequenz ist, desto kleiner sind die Abschnitte, in die sich die Zeit unterteilen lässt. Man stelle sich einen Zollstock vor, der nur drei Kerben hat: bei null Meter, einem Meter und bei zwei Meter. Drei Zentimeter abzumessen oder Millimeter, wäre mit diesem Zollstock nicht möglich - es sei denn, man unterteilte ihn in diese Einheiten. Genauso ist es mit einer Uhr: Je kleiner die Abschnitte sind, in die sich eine Sekunde unterteilen lässt, desto kleinere Teile der Sekunde lassen sich messen. Zwar kommt es auch in diesen Dimensionen zu Abweichungen zwischen den einzelnen Einheiten. Doch indem die Sekunde in immer kleinere Teile zerlegt wird, bleibt der summierte Fehler über lange Zeiträume kleiner als bei einer größeren Zeiteinheit. Das macht Atomuhren mit Mikrowellen schon jetzt so genau.

Aber es geht noch genauer. Die optische Atomuhr, an der Ekkehard Peik und seine Kollegen an der PTB in Braunschweig tüfteln, heißt so, weil sie mit sichtbarem Licht arbeitet, genauer: mit blauem Laserlicht. Dessen Wellen schwingen etwa 100 000-mal schneller als Mikrowellen. Als Element nutzen die Physiker nicht Cäsium, sondern Ytterbium, ein Metall der seltenen Erden. Der Grund: Die Elektronen von Ytterbium-Atomen lassen sich nur durch eine bestimmte Frequenz von Laserlicht dazu bringen, ihren Energiezustand zu wechseln und so als Taktgeber zu fungieren. Mit Mikrowellen wäre das nicht möglich. Die US-Konkurrenz um Till Rosenband experimentiert mit Aluminium-Atomen. Welches Element sich am besten als Taktgeber eignet, ist noch nicht ausgemacht.

Beide, Amerikaner und Deutsche, können die Bedingungen für ihre optischen Uhren bisher nur experimentell herstellen, in Apparaturen von der Größe eines Kleiderschranks. Deshalb arbeiten die Physiker darauf hin, die Funktion auch unter einfacheren Bedingungen dauerhaft stabil zu halten und die Geräte zu schrumpfen. In einigen Jahren könnte sie dann marktreif sein: die Uhr, die zehnmal oder sogar 100-mal schneller geht als die derzeit schnellsten Uhren der Welt.

Ob wir die Zeit dann besser nutzen werden, steht allerdings auf einem anderen Blatt.