Nicht nur die Therapien für die kleinen Patienten entwickeln sich weiter. Ärzte und Psychologen schaffen auch neue Ansätze für die Zeit danach.

Hamburg. Oft fängt es mit ganz allgemeinen Symptomen an: Die Kinder klagen über Kopfschmerzen, leiden unter Übelkeit und Erbrechen und sind ständig müde. Kaum einer denkt daran, dass hinter solchen unspezifischen Beschwerden eine ernsthafte Erkrankung stecken könnte. In vielen Fällen bringen erst Konzentrations- und Sehstörungen oder neurologische Symptome wie Lähmungen oder Sprechstörungen die Ärzte auf die richtige Spur. Wenn bei einem Kind dann ein Hirntumor festgestellt wird, ist das nicht selten der Beginn einer langen Leidenszeit für die Kinder. Und ein schwerer Schicksalsschlag für die Eltern.

"Noch bis vor wenigen Jahrzehnten hatten viele dieser Kinder kaum Überlebenschancen. Diese sind heute dank immer besserer Therapiemethoden deutlich gestiegen", sagt Prof. Stefan Rutkowski, stellvertretender Direktor der Klinik für pädiatrische Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum Eppendorf und Leiter der Studien für die häufigsten bösartigen Hirntumoren. Neue Forschungsergebnisse und Entwicklungen wurden auf der Jahrestagung des bundesweiten Behandlungsnetzwerks für Kinder und Jugendliche mit Hirntumoren (HIT) präsentiert, die am Freitag und Sonnabend in Hamburg stattfand und von der Deutschen Kinderkrebsstiftung und dem UKE veranstaltet wurde.

Für Dr. Uwe Kordes, ebenfalls Hämatoonkologe an der UKE-Kinderklinik, besteht der Fortschritt vor allem daran, dass die unterschiedlichen Bausteine der Therapie besser miteinander kombiniert werden: "Wir können mit den Werkzeugen, die wir zur Verfügung haben, besser und differenzierter umgehen als früher. Das ist auch deshalb möglich geworden, weil weltweit die Eltern bereit sind, Kinder mit Hirntumoren in Studien behandeln zu lassen, die in einem flächendeckenden Netzwerk entwickelt und überprüft werden."

+++Jede achte Frau erkrankt an dem Tumor+++

+++Operation gelückt: Ärzte entfernen 90 Kilogramm Tumor+++

Mehr als 400 Kinder in Deutschland erkranken pro Jahr an einem Hirntumor, und trotz aller Therapiefortschritte sind Hirntumoren, nach Unfällen, immer noch die häufigste Todesursache dieser Altersgruppe. Insgesamt überleben heute 60 bis 70 Prozent der kleinen Patienten ihre Erkrankung, wobei das stark von der Art des Tumors abhängt. Denn es gibt viele unterschiedliche Formen von Hirntumoren.

Der häufigste Hirntumor bei Kindern ist das gutartige pilozytische Astrozytom. Es überleben mehr als 90 Prozent der daran Erkrankten. Der häufigste bösartige Hirntumor ist das Medulloblastom, das vor allem bei Kindern im Vorschulalter auftritt. Die Überlebenschancen bei diesem Tumor schwanken, abhängig vom Alter und der Bildung von Tochtergeschwülsten, zwischen 40 und 90 Prozent. "Viele Kinder können zwar heute von den Hirntumoren geheilt werden, aber um den Preis einer sehr belastenden Therapie: Operation, oft auch Strahlentherapie, Chemotherapie", sagt Rutkowski.

Am Anfang steht in der Regel die Operation: "Dabei kommt es darauf an, so viel wie möglich vom Tumor zu entfernen, ohne neurologische Schäden zu verursachen", sagt der Kinderkrebsspezialist. Nach dem Eingriff hängt die weitere Therapie von der Art des Tumors ab. "Beim pilozytischen Astrozytom kann die Operation allein schon ausreichen. Danach wird engmaschig untersucht, ob es zum erneuten Tumorwachstum kommt", sagt Rutkowski.

Bei allen bösartigen Tumoren folgt auf die Operation eine Nachbehandlung. Manche Tumore reagieren besonders empfindlich auf Bestrahlung, andere auf Chemotherapie oder auf beides. Rutkowski: "Die Chemotherapie wird meistens blockweise verabreicht. Dabei erhalten die Kinder über mehrere Tage eine Kombination von zwei bis vier Medikamenten. Zwischen den einzelnen Blöcken liegt eine Erholungsphase von mehreren Wochen. Eine solche Chemotherapie kann, je nach Art des Tumors, wenige Monate bis zu eineinhalb Jahren dauern. Je nach Alter und individuellem Krankheitsbild muss auch eine vier- bis sechswöchige Bestrahlung erfolgen." Auch dabei können erhebliche Nebenwirkungen auftreten.

Während und nach der Chemotherapie leiden viele Kinder unter Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall und Schleimhautschäden, sodass sie vorübergehend nicht essen und trinken können. "Gefürchteter sind aber Langzeitnebenwirkungen von Chemotherapie und Bestrahlung. Bei Kindern sind das insbesondere Intelligenzminderungen oder andere geistige Defizite, wie zum Beispiel Gedächtnisstörungen, Beeinträchtigungen von Gehör oder Sehvermögen, oder die Schädigung der Hirnanhangsdrüse, sodass wichtige Hormone wie das Wachstumshormon, Geschlechtshormone oder Schilddrüsenhormone künstlich ersetzt werden müssen", sagt Rutkowski. Spätfolgen können auch Zweittumore sein, wie zum Beispiel Leukämie oder andere Hirntumore, und Unfruchtbarkeit.

Nach der Therapie brauchen die Kinder oft viel Hilfe, um wieder den Weg zurück ins normale Leben zu finden. Rutkowski: "Unterstützung finden unsere Patienten dabei schon während der Therapie durch ein psychosoziales Team, in dem Psychologen, Sozialarbeiter, Pädagogen und Seelsorger mitarbeiten. Die Kinder erhalten Mal- und Musiktherapie und Hausunterricht, damit sie in der Schule möglichst in ihrer alten Klasse bleiben können."

Dieses Team wird ebenso wie zwei neue Projekte von der Fördergemeinschaft Kinderkrebs-Zentrum Hamburg unterstützt, die von betroffenen Eltern gegründet wurde. "In einem Forschungsprojekt werden die Kinder nach Ende der Behandlung auf Gedächtnisstörungen, Konzentration, Geschwindigkeit, Aufmerksamkeit und Koordinationsstörungen getestet und erhalten Empfehlungen für sinnvolle Fördermaßnahmen. Und vor acht Monaten hat in einem Pilotprojekt ein Gedächtnistraining in Verbindung mit einer Ergotherapie begonnen", sagt Rutkowski.

Wenn Kinder infolge ihrer Erkrankung Behinderungen zurückbehalten, besteht auch ein großes Risiko für Verhaltensauffälligkeiten. "Nach der Krankheit ist das Leben anders, manchmal wie nach einem schweren Unfall. Die Wiedereingliederung braucht viele unterschiedliche Hilfestellungen", sagt Uwe Kordes. Das Schulsystem sei besonders gefragt und müsse flexibel reagieren: "Wir klären Lehrer und Mitschüler über die Erkrankung auf, beraten die Betroffenen in ihren sozialrechtlichen Ansprüchen, koordinieren Rehamaßnahmen sowie wohnortnahe Therapieangebote. Unsere Nachsorge bemüht sich um die Früherkennung und, soweit möglich, Prävention von spezifischen Folgeerkrankungen."