Eine Reform der EU-Fischereipolitik steht bevor. Experten erarbeiten hierfür Forderungskataloge. Denn viele Bestände sind stark dezimiert.

Hamburg. Etwa ein Viertel aller im Nordostatlantik gefangenen Fische stammt aus Beständen, die diese Entnahme kaum noch verkraften können. Das zeigte kürzlich eine Untersuchung der europäischen Statistikbehörde EuroStat im Rahmen des Nachhaltigkeitsmonitorings 2011. In dieser Woche tagten nun die EU-Fischereiminister in Brüssel. Sie entschieden unter anderem, dass versehentlich gefangene Fische, für die der Fischer keine Quote hat, nicht mehr tot über Bord geworfen werden dürfen, sondern angelandet werden sollen. Der Beschluss ist Teil der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP), die den Fischfang nachhaltiger gestalten will. Die Debatte wird sich im Laufe des Jahres zuspitzen, denn die neue GFP soll bis Ende 2012/Anfang 2013 fertig erarbeitet sein.

Der Schlüssel zu einer nachhaltigeren EU-Fischereipolitik sei der Abbau der Fangkapazitäten, betont Dr. Iris Menn, Meeresbiologin bei Greenpeace: "Die EU-Fangflotte hat in einigen Fischereibereichen eine zwei- bis zu dreimal höhere Kapazität, als die Bestände vertragen. Sie sind in den EU-Gewässern bereits massiv überfischt. Deshalb weichen die Trawler immer häufiger auf andere Meeresregionen aus, zum Beispiel vor die Küste Westafrikas." Menn ist derzeit auf dem Greenpeace-Schiff "Arctic Sunrise" in den westafrikanischen Gewässern unterwegs, um gegen EU-Industrieschiffe zu protestieren, die im Seegebiet vor Mauretanien fischen. Auf ihrer Anfang März gestarteten Kontrollfahrt haben die Regenbogenkrieger nach eigenen Angaben bereits mehr als zehn EU-Trawler dokumentiert, darunter die unter deutscher Flagge fahrende "Maartje Theadora", ein 141 Meter langes Fabrikschiff, das 9000 Tonnen Fisch aufnehmen kann.

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"Statt die Überkapazitäten abzubauen, werden die überzähligen Schiffe in fremde Gewässer geschickt", kritisiert Iris Menn. "Die dortigen Fischer, die vor Westafrika mit kleinen Pirogen unterwegs sind, haben das Nachsehen." Der Fisch werde größtenteils nach Asien exportiert, stehe den Afrikanern also nicht mehr zur Verfügung. Menn: "Das einzige afrikanische Land, von dem wir wissen, dass ein Teil dieses Fisches dort landet, ist Nigeria."

Etwa ein Fünftel des gesamten Fangs zieht die EU-Flotte aus fremden Gewässern. "Wir brauchen aus Brüssel verbindliche Vorgaben, bis wann und wo Flotten verkleinert werden müssen", fordert Iris Menn. Deutschland habe dies bereits im größeren Stil getan, aber es seien dennoch Hochseetrawler unter deutscher Flagge außerhalb der EU-Gewässer unterwegs, wie die "Maartje Theadora".

Prof. Christopher Zimmermann, stellvertretender Leiter des Instituts für Ostseefischerei in Rostock, hält die Fangaktivitäten vor Westafrika für weniger problematisch: "Länder, die ihre eigenen Gewässer nicht ausreichend befischen, können Abkommen mit anderen Staaten schließen, die die Fischbestände dann nutzen. Das dient dem Ziel, die wertvolle Ressource Fisch für die menschliche Ernährung optimal zu erschließen." Die Statute der EU forderten bei solchen Drittlandsabkommen große finanzielle Beiträge zur Überwachung der Bestände, so Zimmermann. "Wenn dies funktioniert, ist es gut." Das sei allerdings nicht immer der Fall, räumt er ein.

Auch der Fischereiforscher sieht die Überkapazitäten als ein Hauptproblem des Managements der hiesigen Fischbestände. Allein um den jährlichen Effizienzzuwachs durch bessere Technik von drei Prozent auszugleichen, müsste die Flotte entsprechend reduziert werden, sagt Zimmermann. Ein weiteres Problem seien die asymmetrischen Abweichungen der politisch festgelegten Fangquoten von den Empfehlungen der Wissenschaftler.

Er beschreibt sie als "Sägezahnkurve": Immer wenn Bestände sich erholen, wird die Fangquote sehr schnell und deutlich erhöht - dies macht die steile Seite des Sägezahns aus. Ist eine Speisefischart in einem bestimmten Fanggebiet dagegen im Niedergang, reagiere die Politik eher zaghaft und beschließt zum Beispiel, die wissenschaftliche Empfehlung, die Fangmenge zu halbieren, auf zehn Jahre zu strecken. Zudem bedauert Zimmermann: "Wir verwalten einen Datenmangel, operieren mit Schätzungen und Hochrechnungen. So war der Granatbarsch, der in der Tiefsee lebt, bereits überfischt, bevor der Bestand überhaupt wissenschaftlich erfasst werden konnte."

Ein weiterer Zankapfel, die sogenannten Rückwürfe, wurde mit dem Ministerbeschluss in dieser Woche vermeintlich entschärft: Fische (und anderes Meeresgetier), für die der Fischer keine Fangquote hat, werden bislang - mehr tot als lebendig - ungenutzt zurück ins Meer geworfen. Dieser Schwund wird noch nicht einmal bei der Quotenermittlung berücksichtigt. Nun wollen die Minister die Rückwürfe verbieten lassen. Das hält Zimmermann jedoch für den falschen Weg: "Für die zusätzlichen Anlandungen müssten Fischmehlfabriken entstehen, um diese Mengen zu verarbeiten. Es reicht, wenn die Rückwürfe dokumentiert werden müssen und auf die Quote angerechnet werden."

Trotz der bestehenden Probleme brauche kein Fischliebhaber auf die Meerestiere zu verzichten, betont Zimmermann. Es gebe genügend gesunde Bestände, die befischt werden könnten, ohne dass sie nachhaltig Schaden nähmen. Allerdings sei es für die Verbraucher oft schwer, die richtige Wahl zu treffen. Beispiel Kabeljau: In der Nordsee ist er überfischt, in anderen Bereichen des Nordostatlantiks wird er nachhaltig gefangen und ist deshalb ökologisch in Ordnung. Zimmermann: "Allein in der Arktis wird deutlich mehr Kabeljau gefangen als in den anderen zwölf Fanggebieten zusammen."

Orientierungshilfen beim Einkauf bieten zum einen die Fischführer der Umweltverbände Greenpeace und WWF, zum anderen das Öko-Siegel MSC. Da die Situation der einzelnen Bestände sich jedoch durch natürliche Einflüsse von Jahr zu Jahr stark ändern könne, seien die gedruckten Fischführer oft sehr schnell veraltet, gibt Zimmermann zu bedenken. Er empfiehlt die Internetplattform fischbestaende-online.de, die jeweils die neuesten verfügbaren Daten zur Situation der einzelnen Fischarten in den unterschiedlichen Fangregionen präsentiert. Wenn dann an der Ladentheke erfahrenes Fachpersonal bedient, steht dem Genuss von nachhaltig gefangenem Fisch nichts mehr im Wege.