Mit Röntgenstrahlen vom Ringbeschleuniger Doris III haben Forscher in Hamburg ein übermaltes Gemälde des niederländischen Künstlers nachgewiesen.

Hamburg/Otterlo. Die ersten Zweifel kamen 1974 auf. Damals erwarb das Kröller-Müller-Museum im niederländischen Otterlo von einem privaten Sammler das Gemälde „Stillleben mit Wiesenblumen und Rosen“, um einen Verkauf ins Ausland zu verhindern. Denn womöglich, so die Hoffnung, stammt das Werk von Vincent van Gogh. Als „herausragend“ beschrieb die damalige Kuratorin Ellen Joosten das etwa achtzig Zentimeter mal ein Meter große Bild; allerdings meinte sie damit auch, dass der mit Blumen überladene Vordergrund und vor allem das große Format der Neuerwerbung so gar nicht in das Schema anderer Stillleben des niederländischen Malers passten. Und so wurde das Bild vorsichtshalber in der Kategorie „anonym“ ausgestellt – bis jetzt. Nunmehr steht fest: Das Bild ist tatsächlich von van Gogh. Ab heute wird es so der Öffentlichkeit präsentiert.

Durch Röntgenlicht angeregte Elektronen verraten, aus welchen Elementen die verdeckten Farbpigmente bestehen.

Hamburger Forscher haben einen großen Anteil an dieser Enthüllung. Zwar hatte bereits 1998 eine Röntgenaufnahme gezeigt, dass das Blumenstillleben über ein Bild von zwei Ringern gemalt worden war. Aber erst im Oktober 2010 konnte ein internationales Forscherteam am Deutschen Elektronen- Synchrotron (Desy) das mysteriöse Bild mit der neu entwickelten Technik der Makroröntgenfluoreszenzanalyse untersuchen. Die Ergebnisse haben die Wissenschaftler nun in dem Band „Van Gogh Studies 4“ veröffentlicht.

Es ist nicht der erste derartige Coup, der mithilfe von Desy-Technik gelang. 2007 entdeckten Physiker bei einer Analyse in Hamburg Ausschnitte eines Frauenporträts von van Gogh unter seinem Werk „Grasgrond“, das der Maler 1887 in Paris fertigte. Damit machten sie weltweit erstmalig ein Bild detailgetreu sichtbar, das über ein Jahrhundert verborgen gewesen war, ohne das neuere Bild zu beschädigen.

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2007 wie 2010 nutzten die Forscher DORIS III. Dieser 300 Meter lange Ringbeschleuniger erzeugt Röntgenstrahlen, die Materie durchdringen. Wie aber lässt sich mit ihrer Hilfe ein Bild enthüllen, das hinter einem anderen liegt? Um das zu verstehen, muss man im wahrsten Wortsinn klein anfangen. Materie besteht aus Atomen. Ein Atom besteht aus einem Kern mit positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen sowie aus einer Hülle mit negativ geladenen Elektronen. Die Elektronen lassen sich durch das Röntgenlicht anregen, sie tragen kurzzeitig mehr Energie. Anschließend fallen sie in ihren Ursprungszustand zurück, wobei sie Energie als Röntgenlicht abstrahlen. Die Wellenlänge dieses Lichts ist abhängig davon, um welches Element es sich handelt. Das heißt, ein Element ist eindeutig anhand der von ihm abgegebenen Strahlung erkennbar.

Diese Strahlung fingen die Forscher auf. Anhand der Daten stellten sie fest, in welcher Menge bestimmte Elemente auf der Leinwand des Gemäldes vorhanden sind. Weil sie aus chemischen Analysen wussten, in welchen Anteilen diese Elemente, etwa Zink, in Farbmischungen vorhanden waren, die zu Lebzeiten van Goghs verwendet wurden, konnten sie am Computer rekonstruieren, wie das verborgene Bild aussieht.

Den Beweis, dass es sich tatsächlich um ein Gemälde van Goghs handelt, führten die Forscher durch einen Abgleich verschiedener Indizien. Um dies nachzuvollziehen, muss man weit in die Vergangenheit reisen, dorthin, wo die Geschichte des Bildes begann. In Antwerpen schrieb sich van Gogh im Januar 1886 an der Königlichen Kunstakademie ein. In einem Brief an seinen Bruder Theo erzählte der Malernovize, dass seine Lehrer ihn drängten, eine große Leinwand sowie neue Pinsel und Farben zu kaufen. Eine Woche später schrieb er: „Letzte Woche malte ich ein großes Ding mit zwei nackten Oberkörpern – zwei Ringer.“ Die große Leinwand war an der Antwerpener Kunstakademie ein Standardformat für solche Studien. Das allein wäre noch kein Beweis. Die Untersuchungen am Desy enthüllten jedoch, dass die unter dem Stillleben verborgenen Ringer nicht nackt dargestellt werden, so wie es damals an anderen Kunstakademien in Europa üblich war, sondern von der Hüfte abwärts bekleidet – eine Eigenheit der Antwerpener Kunstakademie. Außerdem zeigte die Analyse, dass die für das Ringerbild verwendeten Farbpigmente vollständig denen entsprachen, die van Gogh damals in anderen Gemälden verwendete. Und schließlich offenbarte sich des Meisters typische Pinselführung, die auf den Röntgenbildern von 1998 nicht zu erkennen war.

Aus all diesen Informationen schließen die Forscher, dass van Gogh das Gemälde mitnahm, als er im Februar 1886 aufbrach, um bei seinem Bruder in Paris zu leben und dass er dort einige Monate später über die Ringer das Stillleben malte. Der mit Blumen überladene Vordergrund erschien ihm wohl nötig, damit sich der Untergrund nicht abzeichnete. Obwohl 1998 die einfache Röntgenuntersuchung auf die Ringer hingedeutet hatte, attestierte noch 2003 der niederländische Kunsthistoriker Jos ten Berge, es handele sich nicht um einen van Gogh. Das Kröller-Müller- Museum, das sich damals ten Berges Meinung anschloss, ist über den Irrtum dem Vernehmen nach nicht traurig.

Eine Bildergalerie zur Untersuchung des Gemäldes: www.abendblatt.de/wissen-vangogh