Bremerhavener Wissenschaftler wollen in der Arktis ein Observatorium mit Internetanschluss einrichten, um Folgen des Klimawandels zu erforschen.

Hamburg. Noch ist es eine technische Vision, ein 120 Millionen Euro teurer Plan, beschrieben in einem Antrag, den das Bundesforschungsministerium demnächst begutachten wird. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven wollen in der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen auf dem Meeresgrund ein Netz aus Beobachtungsstationen installieren, die per Kabel mit Stromnetzen an Land und mit dem Internet verbunden sind. Per Liveschaltung in die Tiefsee - für deutsche Meeresforscher würde eine neue Ära beginnen. "Wir könnten permanent Daten auslesen und die Sensoren über viele Jahre ohne größere Wartungen betreiben", sagte AWI-Direktorin Prof. Karin Lochte, die das Projekt FRAM Observatorium gestern in Hamburg vorstellte.

Zusammen mit weiteren norddeutschen Spitzenforschern warb Lochte auf der Veranstaltung "Wissenschaft trifft Wirtschaft" für ein stärkeres Engagement der deutschen Industrie bei der Erkundung der Tiefsee. "Neue Messsysteme könnten sowohl der Forschung als auch der Wirtschaft nützen", sagte Lochte. Organisiert hatten das Treffen die Gesellschaft für Maritime Technik und das Maritime Cluster Norddeutschland, ein Netzwerk von Meerestechnik-Firmen.

+++ Ruf der Tiefsee +++

Bisher suchten Meeresforscher und Unternehmer nicht gerade den Schulterschluss. In den 70er-Jahren hatten einzelne deutsche Firmen nach Metallvorkommen im Pazifischen Ozean geforscht, das Vorhaben aber bald aufgegeben. In Meerestechnik investierten fortan hauptsächlich ausländische Unternehmen. Doch mittlerweile ist die Suche nach alternativen Quellen für Metalle wie Kupfer, Zink, Blei, Silber, Gold und Seltenen Erden wieder in den Vordergrund gerückt.

Deutsche Meeresforscher wiederum waren lange nicht auf Hilfe aus der Wirtschaft angewiesen, doch die Unterstützung ihrer Projekte durch den Staat ist unsicher, und deshalb lassen sich teure Projekte wie das FRAM Observatorium künftig wohl nur durch Kooperationen mit Unternehmen realisieren. "Ohne technische Unterstützung kommen wir an vielen Stellen nicht mehr weiter", sagte Prof. Peter Herzig, Direktor des Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel.

Konkret hieße das: Die Forschung bliebe mühselig und langwierig. Denn bisher können viele Meeresforscher die Tiefsee nur häppchenweise erkunden. Bereits seit 1997 betreiben die AWI-Wissenschaftler in der Arktis den "Hausgarten". So nennen sie 18 Messstationen, die in 1000 bis 5500 Meter Tiefe zwischen Spitzbergen und Grönland verankert sind, beschwert mit Gewichten. Die Sensoren messen unter anderem Strömung, Temperatur und Sauerstoffgehalt des Wassers. Mit diesen Daten wollen die Forscher herausfinden, wie sich die Framstraße infolge des Klimawandels verändert.

Der Seeweg bildet eine Schlüsselregion, weil über ihn warmes Wasser aus dem Atlantischen Ozean in die Arktis gelangt. Da das sommerliche Eis in der Arktis seit drei Jahrzehnten zurückgeht, könnte künftig mehr warmes Wasser dorthin gelangen. Sogar im Winter zeigen sich deutliche Veränderungen - im Januar 2012 schrumpfte das Arktis-Eis auf den viertniedrigsten Stand seit Beginn der Satellitenbeobachtung.

Die AWI-Forscher können die Messungen ihrer Stationen aber nicht permanent abrufen, geschweige denn den Meeresgrund mit Kameras live beobachten oder mit Mikrofonen belauschen, weil der "Hausgarten" nicht mit dem Festland verbunden ist. Die Sensoren laufen mit Batterien - jeweils ein Jahr lang. Immer im Sommer reisen die Bremerhavener an. Auf ein vom Schiff ausgesandtes akustisches Signal hin trennen sich die Verankerungsleinen von den Gewichten an den Sensoren, sodann steigen die Geräte an die Oberfläche, wo sie von Forscherhand gereinigt, ausgelesen, mit neuen Batterien versorgt und dann wieder versenkt werden. "Leider kommt es auch vor, dass Sensoren nicht funktionieren. Dann gibt es Datenlücken", erzählte Karin Lochte. Deshalb wäre es ein enormer Fortschritt, wenn die Messgeräte dauerhaft Strom bekämen - und eine ständige Verbindung ins Internet.

In einem ersten Schritt wollen die Bremerhavener Forscher nun ab 2013 den "Hausgarten" um einige Sensoren erweitern und Teile des Observatoriums mit einer Boje verkabeln, die über einen Satellitensender verfügt. Das macht aber nur dort Sinn, wo sich kein Eis bildet. Entscheidet sich das Bundesforschungsministerium für eine Förderung des geplanten FRAM-Observatoriums, würden die Bremerhavener Wissenschaftler das Sensornetz in der Arktis weiter ausbauen und per Glasfaserkabel (mit integrierter Stromleitung) mit dem Festland verbinden. FRAM wäre das weltweit einzige polare Tiefseeobservatorium mit Internetanschluss.

Einen internetgesteuerten Tiefseeroboter gibt es schon. "Wally", wie das Gerät heißt, absolviert seine Einsätze vor der kanadischen Küste in 900 Meter Tiefe. Entwickelt haben ihn Forscher des OceanLab der Bremer Jacobs University für das kanadische Observatorium Neptune. Auch ein deutsches Unternehmen war beteiligt: Die Bremer Firma Titanium Solutions stellte Titanteile bereit, die widerstandsfähig gegen Korrosion sind. Auf ein ähnliches Engagement aus der Industrie hoffen nun auch andere deutsche Meeresforscher wie Karin Lochte. Im Gegenzug könnten die Wissenschaftler den Partnern aus der Industrie etwa dabei helfen, Rohstoffquellen zu erschließen - und zu untersuchen, wie sich diese umweltschonend abbauen lassen.