Teil 7: Sport. Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen der körperlichen Fitness und der geistigen Entwicklung von Kindern.

Draußen auf dem Schulhof schultern seine Klassenkameraden ihre Rucksäcke und machen sich auf den Heimweg, in der Turnhalle macht sich Theo bereit, dem Gast vom Abendblatt eine sportliche Lektion zu erteilen. 13 Uhr, gerade ist die letzte Unterrichtsstunde an der Adolph-Schönfelder-Schule in Barmbek zu Ende gegangen. Theo kommt mit knallgelben Turnschuhen aus der Umkleide. Müde? "Nö", sagt der Neunjährige und grinst uns fröhlich an. Am Nachmittag wird er in seinem Verein, dem THC Horn Hamm, 90 Minuten Hockey spielen. Vorher aber bleibt ihm nochetwas Zeit, uns von einer Ecke in dieandere zu hetzen - beim Tischtennis.

Zwei Sportarten sind dem Viertklässler nicht genug: Neben Hockey und Tischtennis spielt er Tennis und Basketball. "Ich brauche das, um die Kraft herauszulassen, die ich in mir habe", drückt Theo aus, was ihn antreibt. Es sei zwar auch Ehrgeiz dabei, die Lust, sich mit anderen zu messen: "Ich will gewinnen." Aber am meisten zähle dies: "Wenn ich mich viel bewege, geht es mir einfach gut." Sagt's und platziert einen Schmetterball in der linken Ecke. Punkt für ihn.

Dass Bewegung gut ist für Kinder, dass sie die Durchblutung fördert, das Herz trainiert, die Muskeln kräftigt und die Motorik schult, ist schon lange bekannt. Trotzdem zeigt sich in Studien immer wieder, dass viele Kinder nicht mal ansatzweise so aktiv sind wie Theo; vielen mangelt es an Bewegung. Jedes fünfte Kind in Deutschland hat Übergewicht - und damit ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.

Der Staat setzt dem bisher wenig entgegen, auch in Hamburg: Von den 395 Schulen der Stadt haben nur 37 einen sportlichen Schwerpunkt, 15 davon sind als "Bewegte Schule" ausgezeichnet worden, so auch Theos Lehreinrichtung. Drei Sportstunden pro Woche sind an der Adolph-Schönfelder-Schule Pflicht. So viel Sport ist zwar prinzipiell an allen Hamburger Schulen vorgesehen, doch längst nicht alle halten sich daran

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Einen Ansporn, künftig auf breiter Front für mehr körperliche Ertüchtigung zu sorgen, könnten neue wissenschaftliche Erkenntnisse liefern: Demnach spielt Bewegung nicht nur für die Fitness, sondern auch für die geistige Entwicklung von Kindern eine wichtige Rolle. Noch steht die Forschung dazu erst am Anfang; doch es gibt bereitsetliche Indizien, dass Bewegung das Gehirn leistungsfähiger macht.

Bei Versuchen mit Mäusen stellten Forscher fest, dass die Tiere durch ein regelmäßiges Lauftraining neue Nervenzellen (Neuronen) im Hippocampus bildeten. Das ist eine Struktur im Schläfenlappen des Gehirns, die für die Speicherung neuer Informationen notwendig ist - und damit besonders wichtig für das Lernen und das Gedächtnis. Auch die Zahl der Kontaktstellen(Synapsen) zwischen den Neuronen erhöhte sich bei den Tieren infolge des Trainings. Beim Menschen sind diese Effekte bisher nicht nachgewiesen worden. Allerdings konnten Forscher zeigen, dass bei körperlicher Anstrengung im Blut die Konzentration von BDNF steigt. Dieses Protein kommt im Hippocampus sowie in der Großhirnrinde und im Vorderhirn vor, es schützt Neuronen und Synapsen gegen schädliche Stoffe - und es fördert das Wachstum neuer Gehirnzellen.

Ob durch Training wirklich neue Nervenzellen entstehen, ist zwar unklar. Etliche Studien mit Erwachsenen lassen einen solchen Zusammenhang jedoch vermuten. So begleitete etwa ein Forscherteam um die Psychologinnen Brigitte Röder und Kirsten Hötting sowie den Sportmediziner Klaus-Michael Braumann ein halbes Jahr lang zwei Gruppen von Erwachsenen, deren Teilnehmer zwischen 40 und 55 Jahre alt waren. Die erste Gruppe absolvierte ein Ausdauertraining. Die Tests ergaben: Das Gedächtnis der Teilnehmer war schon nach einem halben Jahr leistungsfähiger als vor dem Training. Und: Je größer der Fortschritt bei der Ausdauerleistung war, desto größer waren auch die Verbesserungen in der Gedächtnisleistung. Die zweite Gruppe absolvierte koordinative Übungen, etwa Gymnastik. Nach einem halben Jahr zeigten sich bei den Teilnehmern Verbesserungen in der Aufmerksamkeitsleistung.

Es gebe zwar bisher nur vergleichsweise wenige methodisch gut gemachte Untersuchungen mit Kindern, sagt Kirsten Hötting. "Aber es ist wahrscheinlich, dass es hier zu ähnlichen Effekten kommt." Eine Studie habe etwa gezeigt, dass Schüler sich nach einem Sporttraining besser auf wichtige Inhalte konzentrieren können. Wie es dazu kommt? Hötting: "Nehmen wir eine Sportart wie Basketball. Als Spieler muss man die Situation überblicken, Entscheidungen treffen, an wen man abspielt - und dabei seine Bewegungen koordinieren. Das sind alles Handlungen, die prinzipiell auch in vielen anderen Lebensbereichen eine wichtige Rolle spielen." Macht Bewegung also Kinder schlau? "Es deutet zumindest vieles darauf hin, dass durch Bewegung zahlreiche Hirnfunktionen in Gang gesetzt werden", sagt Klaus-Michael Braumann.

Wie verschiedene Hirnregionen zusammenarbeiten, wissen Forscher erst ansatzweise, denn unser Denkorgan ist ein extrem komplexes Gebilde. Deshalb können sie auch nicht mit Sicherheit sagen, ob die geistige Entwicklung durch bestimmte Bewegungsabläufe oder bestimmte Sportarten besser gefördert wird als durch andere. "Doch wenn man sich anschaut, wie viele unterschiedliche Aufgaben das Gehirn bewältigen muss, liegt der Schluss nahe, dass Bewegung möglichst abwechslungsreich sein sollte, um das Gehirn optimal zu trainieren", sagt Braumann. Entscheidend sei wahrscheinlich nicht, wie intensiv sich ein Kind bewege. "Es muss nicht unbedingt Sport treiben, um sich fit zu halten und das Gehirn zu trainieren", sagt der Sportmediziner.

Auf einige Kinder könne der Wettkampf beim Sport abschreckend oder demotivierend wirken. Wichtiger sei vielmehr, die Bewegungsangebote für Kinder so zu gestalten, dass möglichst viele verschiedene koordinative Abläufe vorkommen. "Mal Fußball spielen, dann mit dem Rad fahren, an einem anderen Tag vielleicht auf dem Spielplatz klettern oder balancieren - das bringt dem Gehirn mehr, als zum Beispiel fünfmal pro Woche einen Hürdenlauf zu trainieren."

Der Sportmediziner plädiert dafür, schon Kleinkindern zu vermitteln, dass regelmäßige Bewegung so selbstverständlich sein sollte wie das Zähneputzen. Wer früh erlebt, wie viel Spaß körperliche Ertüchtigung machen kann, wird wahrscheinlich auch als Erwachsener oft aktiv sein - zum Wohle seines Gehirns. Theo, der sportliche Viertklässler von der Adolph-Schönfelder-Schule, hat die Vorzüge von Bewegung schon mit vier Jahren entdeckt. Heute sitze er zwar auch mal vor dem Fernseher und schaue sich Sportsendungen an, erzählt der Neunjährige. "Aber das tue ich nur selten. Am liebsten mache ich selbst Sport."

Die weiteren Folgen

4.2. Sport und geistige Entwicklung

6.2. Spielen und seine Bedeutung

7.2. Kopfschmerzen

8.2. Ernährung

9.2. Augenkrankheiten

10.2. Unfälle

11.2. Gesundheitsgipfel