Kinder lieben es, getragen zu werden, sagt Ingrid Bähr. Besser ist es jedoch, aktiv die Welt zu erkunden, als passiv bewegt zu werden

Schon mit einfachen Mitteln könnten Eltern ihre Kinder an Bewegung heranführen, sagt Prof. Ingrid Bähr. Je früher dies geschehe, desto besser. Ingrid Bähr lehrt als Professorin für Erziehungswissenschaft am Arbeitsbereich Bewegung, Spiel und Sport der Universität Hamburg

Hamburger Abendblatt:

Wie wichtig ist Bewegung für die kindliche Entwicklung?

Prof. Ingrid Bähr:

Kinder haben von Geburt an einen natürlichen Bewegungsdrang. Sie erschließen sich durch Bewegung die Welt. Etwa ab dem zweiten Lebensjahr wollen sie krabbelnd auf Entdeckungsreise gehen. Deshalb sollten sie möglichst wenig Zeit auf Kinderstühlen oder in Laufgittern verbringen, wo sie viel sehen, aber kaum etwas tun können. Je mehr Gelegenheit zur Bewegung sie haben, desto besser lernen sie.

Und wie schaffen Eltern solche Gelegenheiten?

Bähr:

Mit etwas Fantasie lassen sich schon mit einfachen Mitteln zu Hause Spielplätze bauen. Aus Sofa, Tisch und Decke wird eine Höhle, in die Kinder hineinkriechen können; ein Brett, das vom Sofa zum Boden reicht, kann eine Rutsche sein. Und natürlich gibt es draußen viel zu entdecken, auf Spielplätzen, in der Natur. Außerdem bieten etliche Vereine Kurse an, die spielerisch an Bewegung heranführen. Solche zusätzlichen Angebote sind grundsätzlich sicher sinnvoll, aber nicht zwingend nötig, solange ein Kind zu Hause genug Anreize für Bewegung bekommt.

Sind bestimmte Bewegungen besser für die kindliche Entwicklung als andere?

Bähr:

Aktiv die Welt zu erkunden ist besser, als passiv bewegt zu werden. Wenn man ein Kind etwa viel trägt, bleibt das Kind passiv. Oder das Schaukeln: Kinder lieben es, wenn sie angeschubst werden. Und weil es ihnen Spaß macht, sollten sie das auch genießen dürfen. Trotzdem ist das Schaukeln ein passiver Vorgang. Wertvoller für ihre Entwicklung ist es, selber in Bewegung zu kommen.

Wie oft sollten sich Kinder bewegen?

Bähr:

So viel, wie sie wollen. Kinder haben ein sehr gutes Gespür dafür, wann sie müde sind und sich nicht mehr bewegen möchten.

Und wenn sie grundsätzlich wenig Begeisterung für Bewegung zeigen?

Bähr:

Bei einem Kleinkind wäre das sehr ungewöhnlich. Dazu kommt es eigentlich nur, wenn eine Störung vorliegt. Bei älteren Kindern, ab einem Alter von etwa sechs bis acht Jahren, kann das eher vorkommen. Wenn sich solche Kinder nicht gerne bewegen, liegt das oft daran, dass sie keine Vorbilder haben. Das heißt: Wer Kinder in Bewegung bringen will, bewegt sich am besten selbst, zum Beispiel beim Versteckspiel. Normalerweise wollen Kinder das tun, was ihre Bezugspersonen machen.

Wie führt man Kinder an Sport heran?

Bähr:

Viele Vereine bieten die Möglichkeit, an Schnuppertagen mehrere Sportarten auszuprobieren. Wenn Eltern den Eindruck haben, dass da etwas dabei ist, sollten sie ihre Kinder ermutigen, bei solchen Aktionen mitzumachen. Häufig ist es auch so, dass die Eltern selbst eine Sportart ausüben - und die Kinder es ihnen gleichtun wollen.

Aber das geschieht dann nicht aus eigenem Antrieb.

Bähr:

Mag sein, aber ich sehe darin kein Problem, solange Eltern ihren Ehrgeiz nicht auf ihre Kinder projizieren und sie in eine bestimmte Richtung lenken. Kinder identifizieren sich teilweise stärker mit einer Sportart, wenn sie das Training begonnen haben, weil ihre Eltern den Sport betreiben. Es kann ja sehr schön sein, wenn Eltern und Kinder zusammen Sport treiben. Allerdings sollten Eltern es hinnehmen, wenn ihre Kinder die Sportart wechseln wollen ...

... was ja mehrfach vorkommen kann.

Bähr:

Ja, aber das ist normal. Eine andere Frage ist, ob jedes Mal eine neue Sportausrüstung angeschafft werden muss - und ob Eltern sich das leisten können und wollen. Grundsätzlich sollten sie eine gewisse Sprunghaftigkeit aber gelassen sehen und die Suche nach einer neuen Sportart unterstützen.