Der menschliche Körper verträgt deutlich stärkeren Frost, als wir glauben. Das Temperaturempfinden hängt auch von Stimmungen ab.

Hamburg. Minus 15 Grad. Schon die schiere Zahl macht irgendwie kalt. Zumindest der Sonnabend wird noch sehr frostig bleiben, bevor Hoch "Dieter" allmählich die Luft ausgeht. Allerorts sind Eispartys angesagt. Wer Spaß daran hat, muss die Kälte nicht fürchten, denn der Körper kann mit frostigen Temperaturen umgehen.

Und das gilt nicht nur dann, wenn er in Dutzende von Thermojacken, -hosen und -hemden eingepackt ist. So können Patienten in der Kältekammer in trockener Luft minutenlang bei minus 120 Grad sitzen. In der Badehose. Der Sinn dahinter: Die Kälte lindert noch für etwa eine Stunde die Schmerzen - und in dieser Zeit lassen sich sonst schmerzende Gelenke vom Krankengymnasten besser bewegen.

Aber auch bei gesunden Menschen bewirkt Kälte Erstaunliches. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Kältekammer scheint der Körper zu besseren Ausdauerleistungen in der Lage. Bei Sportlern wurde eine Steigerung von bis zu zehn Prozent beobachtet, nachdem sie nur zweieinhalb Minuten in einer Kältekammer waren - das ist das genaue Gegenteil des eigentlich empfohlenen Aufwärmens vor einem Wettkampf. Der Grund für die leistungssteigernde Wirkung könnte sein, dass der frierende Körper die Hautdurchblutung drosselt und dadurch den Muskeln mehr Blut zur Verfügung steht.

Bei Kälte ziehen sich die Blutgefäße der Haut zusammen, um den Wärmeverlust zu begrenzen. Vor allem die Extremitäten fühlen sich kalt an, die Beweglichkeit der Finger kann reduziert sein. Die Muskeln beginnen zu zittern, um "im Leerlauf" Wärme zu produzieren wie eine Standheizung im Auto. Die Schweißbildung wird minimiert, denn verdunstender Schweiß kostet Wärme.

Das "Fell" wird aufgestellt - da der Mensch aber kein Fell mehr hat, bildet sich nur eine Gänsehaut, und die Härchen stellen sich auf.

Dass der Körper überhaupt friert, hängt mit einem kleinen Thermometer im Gehirn, genauer im sogenannten Hypothalamus, zusammen. Hier reagieren wärmeempfindliche Zellen auf Wärme und kälteempfindliche (übrigens sehr viel weniger) auf Kälte. Sobald die Temperatur im Kern des Körpers um über ein halbes Grad vom Idealwert von 37 Grad abweicht, schwitzen oder zittern wir. Nur bei Fieber ist dieser Normwert verstellt.

Allerdings kann diese "Wohlfühlzone" auch bei gesunden Menschen durchaus verschoben sein: Aborigines in Australien etwa haben eine um mehrere Grad nach unten ausgeweitete Wohlfühlzone - sie frieren bei nächtlicher Kälte sehr viel später als ein Mitteleuropäer. Ein bisschen ist diese Kältetoleranz sogar trainierbar. Wobei ein durchschnittlicher Mitteleuropäer zwischen Zentralheizung und Thermokleidung ohnehin keine richtige Kälte mehr erlebt.

Auf das bisschen Kälte, das wir unserem Körper noch zumuten, reagieren wir sehr verschieden. So gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen sind durch eine im Durchschnitt dickere Fettschicht besser isoliert. Umgekehrt haben Männer den Vorteil der relativ größeren Muskelmasse, die nicht nur zittern kann, sondern auch im Ruhezustand, gleichsam im Leerlauf, Wärme produziert. Damit haben Männer es etwas leichter, die gewünschten 37 Grad Körperkerntemperatur zu halten. Wobei es auch auf die Körperform ankommt: Über die Oberfläche geht Wärme verloren. Je weniger Oberfläche der Körper in Relation zum Volumen hat, desto weniger Wärme verliert er. Theoretisch ideal wäre die Kugelform ...

Obwohl der Körper einen extremen Aufwand treibt und sehr viel Energie verbraucht, um seine innere Temperatur auf 37 Grad zu halten, ist gar nicht genau klar, warum er das tut. Zwar funktioniert der Stoffwechsel bei 37 Grad besser als bei vielleicht 17 Grad. Aber das gilt natürlich auch für Tiere. Dennoch haben zum Beispiel Säugetiere ganz unterschiedliche optimale Temperaturen: Ein Schnabeligel hält konstante 30 Grad, eine Fledermaus 31 Grad. Am anderen Ende der Skala beträgt die Körpertemperatur von Katzen 39, die von Spitzmäusen 42 Grad. Vögel sind sogar noch wärmer: Das Rotkehlchen hat eine Körpertemperatur von 44,6 Grad. Warum? Wir wissen es nicht und bleiben bei 37 Grad.

Bekannt ist aber, dass Gefühle eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie Temperaturen wahrgenommen werden. So hat man in einem sehr eleganten Experiment die Teilnehmer einfach nur aufgefordert, sich an zwei verschiedene Situationen zu erinnern: Die einen sollten sich eine Situation vor Augen führen, in der sie sich extrem ausgegrenzt gefühlt hatten. Die anderen eine, in der sie sich besonders integriert und geborgen fühlten. Anschließend sollten beide Gruppen die Raumtemperatur schätzen. Und tatsächlich: Die "Integrierten" empfanden den Raum als wärmer, als er wirklich war, die "Isolierten" als kälter. Einsamkeit fühlt sich offensichtlich wirklich kalt an.

In einem anderen Experiment erzeugten die Forscher bei einigen Teilnehmern das Gefühl, in einem Computerspiel von dem Rest der Gruppe geschnitten zu werden. Bei den anderen Teilnehmern nicht. Anschließend konnten sich alle ein Getränk aussuchen. Die integrierten Teilnehmer entschieden sich häufiger für ein kaltes, die ausgegrenzten für ein heißes Getränk. Sie mussten die gefühlte Kälte offenbar kompensieren.

Das funktioniert auch umgekehrt: Wer in der Kälte stehend einen heißen Glühwein in Händen hält, findet sein Gegenüber sympathischer als mit kalten Händen. Ein starkes Argument für einen gemeinsamen Spaziergang mit gefüllter Thermoskanne, vielleicht aber besser ohne Alkohol.