Der Ersatzstoff Stevia liefert viel mehr Süße und soll weniger schädlich sein. Nahrungsmittelindustrie versucht auch, Salzgehalt zu reduzieren.

Berlin. Und ewig lockt die süße Verführung: Ob in Form von Schokolade, Kuchen oder im Kaffee - auf Zucker mögen nur die wenigsten verzichten. Das liegt daran, dass der Mensch eine angeborene Vorliebe für Süßgeschmack hat. Wer jedoch zu viel Zucker zu sich nimmt, erhöht sein Risiko für Fettstoffwechselstörungen, Leberschäden und Übergewicht. Ähnlich verhält es sich mit Salz: Im Übermaß verzehrt, kann es für Bluthochdruck sorgen. Die Industrie hat sich lange vor diesem Problem gedrückt. Noch immer sind etliche "Zuckerbomben" im Handel. Doch unter dem zunehmenden Druck von Verbraucherschützern und Politikern arbeiten Lebensmittelkonzerne nun daran, den Zucker- und Salzgehalt ihrer Produkte zu reduzieren.

Wie aber macht man Süßes weniger süß oder Salziges weniger salzig, ohne den Geschmack zu verlieren - und dem Konsumenten den Appetit zu verderben? Schon länger etabliert ist die Methode, Zucker durch Süßstoffe zu ersetzen. Soll ein Produkt süß schmecken, das Süßungsmittel aber keine Kalorien enthalten, verwenden Hersteller zum Beispiel Saccharin, Acesulfam, Aspartam und Sucralose. Im Vergleich zu Zucker besteht hier auch kein Kariesrisiko, da Süßstoffe von Bakterien im Mund nicht zersetzt werden.

+++Experten: Lebensmittel waren nie so sicher+++

+++Natürlicher Zuckerersatz Stevia zugelassen+++

Der jüngste, seit Dezember 2011 in der EU zugelassene Süßstoff heißt Stevia. Er wird aus der gleichnamigen Pflanze gewonnen. Die natürliche Alternative kann bis zu 400-mal süßer schmecken als Zucker. Die Industrie will Stevia in Softdrinks, Joghurt, Müsli und Schokolade einsetzen. So hat der Getränkekonzern Coca-Cola nach eigenen Angaben in den USA und in Frankreich bereits Getränke mit Stevia eingeführt und forscht für Deutschland am Einsatz des Stoffs, der keine Kalorien hat. Nach Einschätzung des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie wird Stevia jedoch nicht komplett Zucker ersetzen, sondern hauptsächlich in Produkten verarbeitet werden, die weniger Zucker enthalten.

Warum das Sinn macht, erläutert Lebensmittelchemiker Dr. Thomas Hofmann von der Technischen Universität München: "In Gegenwart von geringeren Zuckerkonstellationen können die Inhaltsstoffe der Stevia-Pflanze den Süßgeschmack von Zucker verstärken." Dabei genügten geringe Mengen Stevia, um die für Süßgeschmack zuständigen Zellen der Zunge zu aktivieren und die Qualität des Geschmacks zu verbessern. Auch sogenannte Süßgeschmacksverstärker könnten in Gegenwart kleiner Mengen Zuckers den Süßgeschmack intensivieren, sagt Hoffmann: "So kann der Zuckeranteil eines Getränks von zwölf auf zwei Prozent reduziert werden, wobei der Süßgeschmack beibehalten wird." Allerdings könnten zu hohe Süßstoffkonzentrationen auf der Zunge auch Rezeptoren für Bittergeschmack aktivieren.

Auch die Schokoladenindustrie sucht nach Wegen, mit weniger Zucker auszukommen. So bietet etwa Barry Callebaut, der weltweit größte Schokoladenproduzent, auch zuckerreduzierte Waren an. "Angeregt durch das zunehmende Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher, haben wir im vergangenen Jahrzehnt alternative Schokoladenprodukte entwickelt", sagt ein Sprecher. Bei zuckerreduzierten Produkten werde mittlerweile auch Stevia verarbeitet, was es möglich mache, den Zuckeranteil in diesen Produkten um 95 Prozent zu reduzieren.

Ersatzstoffe wie Stevia zu verarbeiten ist eine Möglichkeit, mit weniger Zucker oder Salz den Geschmack zu erhalten. Ein weiterer Ansatz besteht darin, dem Gehirn durch Tricks ein süßes oder salziges Geschmackserlebnis vorzugaukeln. An solchen Methoden arbeitet etwa das niederländische Forschungsinstitut Nizo. Kerstin Burseg, Geschmacksforscherin bei Nizo, untersucht, wie sich sogenannte Kontrasteffekte erzielen lassen. Die Idee ist, Zucker oder Salz einzusparen, indem in einem Lebensmittel an bestimmten Stellen geringe Zucker- oder Salzmengen untergebracht werden, die durch geschickte Platzierung aber nicht den Geschmack beeinträchtigen.

"Man ignoriert die Schicht des Lebensmittels mit niedrigen Konzentrationen, weil man auf die Teile mit der höheren Konzentration achtet", erläutert Kerstin Burseg. Es sei bereits Brot im Handel, in dem durch verschieden starke Salzschichten 30 Prozent weniger Salz enthalten sei als in herkömmlichen Broten. Kontrasteffekte würden auch mit Blick auf zuckerhaltige Lebensmittel erforscht; erste Produkte dieser Art seien bereits auf dem Markt.

Eine weitere Methode, süßen oder salzigen Geschmack zu verstärken, besteht darin, spezielle Duftstoffe einzusetzen. Ein differenzierter Geschmack kommt nämlich über das Riechen zustande. Die Zunge kann nur die Grundgeschmacksrichtungen unterscheiden. Während wir Nahrungsmittel kauen oder schlucken, steigen Geruchsmoleküle bis zur Riechschleimhaut über den oberen Nasenmuscheln auf. Dort sitzen Rezeptoren, an denen die Moleküle andocken und dadurch den Riechnerv aktivieren. Erst durch diesen Geruchssinn können wir etwa einen süßen Apfel von einer süßen Birne unterscheiden. Ergänze man Zucker durch süße Aromen, werde ein Lebensmittel süßer wahrgenommen, erläutert Nizo-Forscherin Burseg. Bis zu 20 Prozent Zucker ließen sich so einsparen. Kombiniere man Ersatzstoffe, Kontrasteffekte und Aromen, lasse sich der Zuckergehalt sogar um bis zu 45 Prozent reduzieren.

Und der Verbraucher? Obwohl die Etiketten auf Lebensmitteln häufig nur unzureichend über den Zucker- oder Salzgehalt informieren, hat jeder es zumindest teilweise selbst in der Hand, sich gesund zu ernähren, also etwa nur wenig Süßes zu verzehren. "Auf die Menge kommt es an", sagt Dr. Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährung.