Die meisten Mieter schliefen, als ihr Zeitungsbote im Hausflur Kinderwagen anzündete. Die Brände im Prenzlauer Berg schockierten.

Berlin. Eigentlich sollte er am frühen Morgen nur die Zeitungen austragen. Aber im Alltag eines 29-jährigen Berliners hatte sich soviel Frust aufgestaut, dass der Mann zum Kriminellen wurde und in Hausfluren Kinderwagen in Flammen setzte. Vor Gericht gestand er seine Taten ein. „Ich schäme mich dafür und kann es nicht erklären“, beteuerte der Angeklagte am Donnerstag. Als Motiv nannte er eine allgemeine Unzufriedenheit. Aussagen in den Ermittlungen zu der Brandserie, er habe aus Hass auf Schwaben in seinem Wohngebiet gehandelt, wollte er so nicht gemacht haben. Als er vor der Polizei gesagt habe, „die ganzen Schwaben kotzen mich an“, sei er unter Druck gesetzt worden.

Am 19. August 2011 hatte die Polizei den Zeitungsboten in der Winsstraße im Szenebezirk Prenzlauer Berg auf frischer Tat ertappt. Bei seinen Touren hatte er in zehn Fällen Kinderwagen und eine Bananenkiste in Fluren von Altbauten um den Kollwitzplatz mit seinem Feuerzeug in Brand gesteckt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Berliner schwere Brandstiftung, Körperverletzung und Sachbeschädigung vor. Drei Kinder atmeten Rauchgas ein und mussten behandelt werden. Eine Frau erlitt eine Brandverletzung am Arm. Die Feuer wurden schnell gelöscht. Der Angeklagte ist „heilfroh, dass nichts Schlimmeres passiert ist“.

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Warum er ausgerechnet Kinderwagen angesteckt hat, kann sich der Zeitungsbote eigenen Angaben nach nicht erklären. „Ich weiß es wirklich nicht“, beteuerte der 29-Jährige. Den Bezirk habe er sich selbst ausgesucht, weil die Leute dort mehr Geld haben und mehr Zeitungen abonnieren. Vor der Polizei hatte der Bote noch gewettert, dass Besserverdiener die verdrängen, die weniger haben. Neidisch sei er nicht gewesen, betonte der Angeklagte jetzt vor Gericht. Sein Leben allgemein sei verpfuscht gewesen. „Es ging immer mehr bergab, ich habe keinen Ausweg gesehen“, beschrieb der Zeitungsbote seine Gefühle. Nachts habe er Zeitungen ausgetragen und am Tag auf dem Bau gejobbt. Geschlafen habe er kaum. Um wach zu bleiben, habe er Drogen genommen. Sein Geld habe er verpulvert - meist für Drogen.

In Prenzlauer Berg, einem nach wie vor angesagten Hauptstadt-Kiez, wurden immer wieder Kinderwagen in Mietshäusern angezündet. Es wurde vermutet, dass Anschläge sich zielgerichtet gegen zugezogene und wohlhabende junge Menschen richten. Durch die Luxussanierung ganzer Straßenzüge fühlen sich Alteingesessene verdrängt. Mit Parolen wie „Schwaben in Prenzlauer Berg – spießig und ohne Sinn für die Berliner Kultur“ machen die Gegner der Umstrukturierung ihrem Zorn Luft.

(dpa/abendblatt.de)