Winterschlaf schützt das Erbgut, fanden Forscher heraus. Der Zwerghamster fällt im Winter für sechs Stunden täglich in eine Kältestarre.

Wien. Es gibt momentan sicher gemütlichere Plätze auf der Erde als die Dsungarei. Die Winter sind streng in dieser zentralasiatischen Beckenlandschaft, die sich über den Nordwesten Chinas bis in die Mongolei und nach Kasachstan erstreckt. Im Januar zeigen die Thermometer in der Hauptstadt Ürümqi im Durchschnitt minus 16 Grad Celsius. Das klingt nach dem richtigen Wetter, um sich mal für ein paar Monate zurückzuziehen und einen ausgiebigen Winterschlaf zu halten. Doch der Dsungarische Zwerghamster denkt gar nicht daran. Nacht für Nacht huscht der kleine Nager über die Schneedecke, um irgendwo noch ein paar Samen vom letzten Sommer einzusammeln.

Tagsüber allerdings muss auch dieser Überlebenskünstler der Kälte Tribut zollen. Er verkriecht sich dann in seinem Bau, senkt seine Körpertemperatur auf etwa 18 Grad ab und fällt für rund sechs Stunden in eine Kältestarre, die Biologen Torpor nennen. Nach diesem Mini-Winterschlaf bringt er sich wieder auf seine Betriebstemperatur von 35 Grad und weiter geht's mit der Samensuche. Die kühle Auszeit hilft den Hamstern, Energie zu sparen. Doch das ist noch nicht alles, haben Wissenschaftler um Thomas Ruf vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde der Veterinärmedizinischen Universität Wien herausgefunden. Offenbar bleiben die coolen Nager auch länger jung.

Dem Zusammenhang zwischen Winterschlaf und Alter sind Ruf und seine Kollegen schon länger auf der Spur. So haben sie kürzlich Daten über die Lebenserwartung von rund 800 Säugetierarten ausgewertet. "Man kann diese Altersangaben zwar nicht direkt miteinander vergleichen", betont der Forscher. So werden größere Tiere generell älter als kleinere und in manchen Säugerfamilien sind Methusalems häufiger als in anderen. Doch wenn man diese Besonderheiten berücksichtigt, zeichnet sich ein klarer Trend ab: Wer sich im Winter eine Auszeit nimmt, wird deutlich älter. "Ein 50 Gramm schwerer Winterschläfer lebt etwa 50 Prozent länger als ein gleich schwerer Nicht-Winterschläfer", sagt Ruf.

+++Dem Schwund des Feldhamsters auf der Spur+++

+++Das Hamster-Syndrom+++

Aber warum eigentlich? Um das herauszufinden, haben die Wiener Forscher den Torpor des Dsungarischen Zwerghamsters unter die Lupe genommen. "Wir hatten die Idee, dass sich ein Blick auf die Chromosomen der Tiere lohnen könnte", erläutert Ruf. Diese kleinen Strukturen im Zellkern bestehen aus dem Erbmaterial DNA und Proteinen. Bei jeder Zellteilung werden sie in komplizierten Prozessen so verdoppelt und verteilt, dass jede Tochterzelle wieder den für die jeweilige Art typischen Chromosomensatz bekommt. Allerdings schaffen es die beteiligten Enzyme dabei nicht, das Erbmaterial bis ganz ans Ende eines Chromosoms zu verdoppeln. Also müsste die DNA eigentlich bei jeder Zellteilung ein bisschen kürzer werden; immer mehr Erbinformationen würden dadurch verloren gehen. Das verhindert die Natur allerdings mit einem Trick, für dessen Entdeckung drei US-amerikanische Forscher 2009 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurden. Demnach besitzen Chromosomen an ihren Enden Schutzkappen aus sich wiederholenden DNA-Sequenzen, die den Verschleiß der Erbinformation verhindern.

Diese sogenannten Telomere aber haben etwas mit der Lebenserwartung zu tun. Denn bei jeder Zellteilung verkürzen sie sich, bis ihr Schutz eines Tages versagt. "Die Länge der Telomere ist deshalb ein Anhaltspunkt dafür, wie lange ein Tier oder Mensch noch zu leben hat", so Ruf. Hat der Winterschlaf vielleicht einen Einfluss auf die Schutzkappen-Länge?

Um diesem Verdacht nachzugehen, haben die Wiener Forscher die Nager in Winterstimmung versetzt, indem sie die Tage im Labor immer kürzer werden ließen. Eine Gruppe Hamster lebte 180 Tage bei kühlen neun Grad, die andere bei gemütlicheren 20 Grad. Bei allen Tieren haben die Forscher registriert, wie oft sie in Torpor fielen und wie tief sie dabei ihre Körpertemperaturen absenkten. Zu Beginn und nach dem Ende des Versuchs musste jeder Hamster ein paar Haare lassen, aus denen sich das Erbgut isolieren ließ. Und siehe da: Je häufiger und tiefer ein Tier in die Kältestarre sank, umso länger waren am Ende seine Telomere. Bei vielen Hamstern waren die Schutzkappen nach dem Versuch sogar in besserem Zustand als vorher.

Eine mögliche Erklärung dafür haben die Forscher auch schon. "Die Telomere verkürzen sich ja nur bei Zellteilungen - und die finden bei Körpertemperaturen unter 20 Grad praktisch nicht mehr statt", sagt Ruf. Während das Tier im Torpor liegt, ist der Verschleiß also gestoppt. In den Wachphasen dagegen geht er zwar weiter. Gleichzeitig ist dann aber ein Enzym namens Telomerase aktiv, das die Schutzkappen wieder verlängert. Mitunter wachsen die Telomere dann sogar schneller, als sie sich wieder abnutzen.

Der Mensch allerdings kann seine Hoffnungen auf einen ähnlich funktionierenden Jungbrunnen wohl begraben. Denn in seinen Zellen ist das Enzym Telomerase kaum aktiv. Die Schutzkappen der Chromosomen können sich daher nur immer weiter verkürzen, aber nie wieder verlängern. "Daran etwas zu ändern wäre auch zu gefährlich", meint Thomas Ruf. Denn die Aktivitäten dieses Enzyms würden auch das Krebsrisiko deutlich erhöhen.

"Außerdem wären wir derzeit auch gar nicht in der Lage, Menschen in Winterschlaf zu versetzen", betont der Experte. Den Organismus vorübergehend auf Sparflamme zu schalten und zugleich Altersprozesse zu bremsen könnte zwar durchaus praktisch sein - beispielsweise für Astronauten, die sich eines Tages auf die lange Reise zum Mars begeben wollen. Doch zu viele ihrer Geheimnisse haben Hamster und Co. bisher noch für sich behalten.