Die ersten Gänseblümchen blühen, Amseln beginnen zu brüten, und Graugänse wissen nicht, wohin: Die Natur steht teilweise kopf.

Hamburg/Offenbach. Das milde Wetter treibt manch seltsame Blüten. Gänseblümchen zum Beispiel, die vereinzelt Hamburger Rasen zieren. Meisen sind in Balzstimmung. Doch ihr Gesang, der in den ersten beiden Tagen des neuen Jahres vielerorts zu hören war, wird jetzt übertönt vom Wind, der teils orkanartig um die Häuser pfeift, ein Begleiter des Sturmtiefs "Ulli".

Meteorologisch startet das Jahr, wie 2011 aufgehört hat: Eine Luftmassengrenze über dem Atlantik, wo kalte Luft im Norden auf wärmere Luft im Süden trifft, liegt in Höhe Mitteleuropas und damit nördlicher als im Winter üblich. In dieser sogenannten Frontalzone bilden sich kräftige Tiefdruckgebiete in Serie. Sie ziehen nacheinander westwärts und tragen feuchte Meeresluft nach Deutschland. Ein Tief dreht sich gegen den Uhrzeigersinn. Deshalb strömt vor ihm wärmere Luft aus südwestlicher Richtung ins Land, an seiner Rückseite bringt es dagegen kühle Luft aus Norden - die Meteorologen sprechen von einer Kaltfront.

Haselblüte und Pfifferlinge: Jahresbeginn zu warm

Wann kommt der Winter?

Wie im Dezember ist die wechselhafte Witterung von Stürmen begleitet. "Bis Donnerstag haben wir praktisch Dauerorkan", sagt Rüdiger Hartig, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst in Hamburg. Zu Jahresbeginn gab es zuvor zwei frühlingshafte Tage. Am Neujahrstag registrierte die Messstation in Fuhlsbüttel den Rekordwert von 12,5 Grad. So warm war es noch nie an einem 1. Januar seit 1879 (bis zu diesem Jahr reichen die regelmäßigen Temperaturaufzeichnungen zurück). Da die warmen Luftmassen in der Nacht zum 2. Januar auftraten, gilt der Rekordwert auch für diesen Tag. Die bisherigen Höchstmarken hielten der 1.1.1960 mit 11,0 Grad und der 2.1.1988 mit 12,2 Grad.

Die frühlingshaften Temperaturen bringen die Vogelwelt in Schwung. "Dass Meisen und Kleiber im Januar ihre Reviere abstecken und balzen, ist normal, das Verhalten wird durch die länger werdenden Tage ausgelöst", sagt der Hamburger Ornithologe Alexander Mitschke. "Aber die Meisen haben zum Teil schon mit dem Nestbau begonnen, und einzelne Amseln oder Ringeltauben brüten." Dieses Verhalten spiegele die Varianz innerhalb der Arten wider, so Mitschke: "Wem es gelingt, zeitig Jungvögel durchzubekommen, ist im Vorteil. Er schafft dann eine Brut mehr als die konkurrierenden Artgenossen."

Tausende Gänse, die derzeit die Elbmarsch bevölkern, sind durch die milde Witterung eher verwirrt. Mitschke: "Derzeit sind vor allem Blässgänse hier. Die kleine Version der Graugans brütet in Sibirien und überwintert am Niederrhein. Wenn die Witterung es zulässt, versuchen die Tiere, sich einen Vorteil zu verschaffen und ziehen möglichst weit in Richtung ihrer Brutgebiete. Denn wer dort zuerst ankommt, hat einen Vorteil. Eigentlich ziehen die Gänse erst Ende Februar/Anfang März zurück und brauchen dann zwei bis drei Monate. Doch im Moment pendeln sie aufgrund der milden Temperaturen in Ost-West-Richtung hin und her, wissen nicht so recht, wie weit sie sich nach Nordosten vorwagen können."

Zu den arktischen Pendlern, die etwa auf Höhe der (tief hängenden) Wolken mal 100, mal 200 Kilometer west- oder ostwärts fliegen, gesellen sich die städtischen Graugänse. Viele von ihnen haben ihren Zug Richtung Spanien noch nicht angetreten, weil das gute Futterangebot sie in der Region hielt. Ihre Rufe sind derzeit vielerorts hörbar, wenn sie in den Morgen- und Abendstunden in niedriger Flughöhe zwischen den Schlafplätzen (unter anderem auf der Außenalster) und den grünen Wiesen (zum Beispiel der Wedeler Marsch) hin- und herwechseln.

So unangenehm die stürmisch-nasse Wetterlage auch für die Wildtiere sein mag, sie ist immer noch besser als starker Frost. Er kostet Reh und Hase, Gans und Meise viel Energie, um die Körpertemperatur halten zu können. Gleichzeitig nimmt das Nahrungsangebot ab, speziell für Wildtiere, die sich ihr Futter am Boden suchen.

Auch die Winterschläfer profitierten von der Witterung, sagt Dr. Andreas Kinser von der Deutschen Wildtierstiftung in Hamburg. "Sie schlafen bei diesen Temperaturen durch und haben einen geringeren Energiebedarf. Erst wenn mehrere Tage mehr als 15 Grad herrschen würden, bestünde die Gefahr, dass ihr Stoffwechsel hochfährt und sie viel Energie verlieren."

Während Pilzfans in Brandenburg zur Jahreswende Pfifferlinge sammelten, stehen die Skiliftbetreiber in den deutschen Mittelgebirgen auf der wetterbedingten Verliererseite, ebenso die Winzer, die um ihren Eiswein fürchten. Auch Allergiker haben potenziell Probleme, da die Haselnusssträucher bereits blühen. Doch ihnen hilft der Regen, der die ersten Pollen gleich wieder aus der Luft wäscht.