Badeurlauber freuen sich selten über ihre Bekanntschaft. Dabei sind Quallen vielgestaltig, spezialisiert und dienen sogar dem Klimaschutz

Kiel. Eine Schar von Leuchtquallen, 25 Quadratkilometer in der Fläche, treibt auf eine nordirische Lachsfarm zu. Die schleimigen Nesseltiere färben das Meer rot. In den Netzkäfigen der Farm sind mehr als 100 000 Lachse den giftigen Nesselkapseln wehrlos ausgeliefert - ein Ausweichen ist unmöglich. Nach sieben Stunden lebt kein einziger Lachs mehr.

Quallen: eigentümliche Wesen aus bis zu 99 Prozent Wasser, die seit mehr als 650 Millionen Jahren wie an Fallschirmen durchs Wasser gleiten. Wenn sie in Massen vor Stränden auftauchen, graust es Touristen. Bei einigen exotischen Arten zu Recht, denn sie können sogar Menschen töten. Doch ihre Bewegungen durchmischen die Weltmeere und wirken damit sogar der Klimaerwärmung entgegen, fanden Forscher unlängst heraus.

Ungewöhnlich an dem Vorfall bei der Northern Salmon Farm ist nicht nur das Ereignis als solches. Fischzuchtanlagen sind bisher nur durch giftige Algen geschädigt worden. Hinzu kommt jedoch auch, dass Massen von Leuchtquallen eher in wärmeren Meeren wie dem Mittelmeer auftreten. Womöglich spielt hier der Klimawandel eine Rolle, durch den sich auch nördliche Gewässer erwärmen.

Die Anmut der Quallen

Quallen überfallen Fischzuchten allerdings nicht. Es sei "wichtig herauszustellen, dass Quallen ihre Beutetiere nicht zielgerichtet angreifen", sagt der Meeresbiologe Professor Ulrich Sommer vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel. Sie seien vielmehr den Meeresströmungen ausgesetzt und gehören somit zum sogenannten Zooplankton, einer riesigen Tiergruppe unterschiedlichster Größe, die im Meerwasser treibt. Mit ihren teils extrem giftigen Nesseln betäuben und töten sie Fische, Wasserflöhe oder Garnelen, die sie anschließend in ihre Mundöffnung ziehen.

Im Englischen heißen die seltsamen, in mehr als 300 Arten vorkommenden Tiere ohne Herz, Hirn und Blut völlig unzutreffend "Gelee-Fische", im Französischen weitaus korrekter "Gelee des Meeres". Quallen können in Maßen aktiv schwimmen, indem sie nach dem Rückstoßprinzip ihren schirmartigen Körper zusammenziehen und dabei Wasser nach schräg unten herausdrücken.

Wie zwei kalifornische Forscher 2009 herausgefunden haben, durchmischen Quallen dabei die Weltmeere besonders effektiv und tragen so dazu bei, dass kälteres Tiefenwasser beständig zur Meeresoberfläche gelangt. Dort ersetzt es Wasser, das sich an der warmen Luft aufgewärmt und mit dem Klimagas Kohlendioxid angereichert hat. Auf diese Weise helfen die Gallertwesen in doppelter Hinsicht dabei, die Erdatmosphäre abzukühlen.

Vor allem aber sind Quallen Meister der chemischen Kriegsführung - und Artilleristen höchster Güte: Statt Kanonen bedienen sie sich ihrer Nesselkapseln, die nur etwa ein Hundertstel Millimeter breit sind.

Wann immer ein mögliches Beutetier, ein Angreifer oder auch ein planschender Mensch mit den - bei manchen Arten 50 Meter langen - Tentakeln in Kontakt kommt, zeigt die Natur eine ihrer eindrucksvollsten Leistungen. In jeder Nesselkapsel lauert ein mit winzigen Bohrzähnen versehener Schlauch, der um seine eigene Achse gewickelt ist. Am Ende der fadendünnen Harpune sitzt eine Art Injektionsnadel. Trifft nun eines der Sinneshärchen an einer Tentakel auf einen Widerstand, steigt der Innendruck der Nesselkapsel auf ungeheure 150 Bar an, also das 70- bis 80-Fache des Luftdrucks im Autoreifen. Fast zeitgleich springt der Deckel der Kapsel auf, worauf der mikroskopisch kleine Giftfaden hervorschnellt, um sein spitzes Ende in die Haut des Opfers zu bohren. Dann entlädt das Bio-Geschoss sein Gift. Der komplette Vorgang dauert nur wenige Millisekunden.

Dummerweise ist die Chance, einen Fangarm zu berühren, ungleich höher als jene, auf den eigentlichen Quallenkörper zu treffen. "Wenn eine Feuerqualle von einem Meter Durchmesser ihre 30 Meter langen Tentakel in einem Winkel von 45 Grad abspreizt und damit zehn Meter weit schwimmt, kann sie über 7000 Kubikmeter Wasser durchforsten", hat der Meeresbiologe Thomas Heeger im Meeres-Fachblatt "Mare" vorgerechnet.

Die im Atlantik und in Nord- und Ostsee häufig auftretende Ohrenqualle (Aurelia aurita) hingegen ist für Schwimmer ungefährlich - ihre Nesseln können die menschliche Haut nicht durchdringen. Allenfalls in den Augen kann es bei Kontakt mit den Tentakeln der Tiere zu Reizungen kommen.

Große Pein hingegen verursacht der ungeschützte Kontakt mit einer Nesselqualle oder einer Gelben Haarqualle (Cyanea capillata), die beide an der Nordsee-Küste häufig sind. Nicht umsonst heißt die Haarqualle auch Feuerqualle; ein weniger bekannter Name ist "arktische Löwenmähne". Als Meduse, also erwachsenes Tier, ist sie die größte bekannte Qualle überhaupt und wird zwei bis drei Meter groß - die bis zu 30 Meter langen Fangarme nicht mitgerechnet. Die Nesselfäden von Quallen können übrigens selbst dann noch ihre spiralig aufgewickelten Giftpfeile in die Haut schießen, wenn die Tentakeln von Schiffsschrauben abgetrennt wurden und alleine in der See treiben.

So gravitätisch eine im Wasser treibende Qualle wirkt, so jämmerlich sieht sie aus, wenn sie gestrandet ist. Hitze und Trockenheit bewirken, dass sich die Tiere buchstäblich in Luft auflösen. Denn während der Mensch etwa zu zwei Dritteln aus Wasser besteht, sind es bei Quallen bis zu 99 Prozent.

Während die kleinste bekannte Qualle, Halammohydra, kaum einen Millimeter groß ist und in Sandlücken des Nordsee-Strandes lebt, kann die Furchenqualle (Versuriga anadyomene) so schwer wie ein stattlicher Mann werden. Ein Leichtgewicht aber ist sie verglichen mit der Nomura-Qualle (Stomolophus nomurai) vor Japans Küsten: Bei einem Körperdurchmesser von bis zu zwei Metern und fünf Meter langen Fangarmen kann die Riesin bis zu vier Zentner wiegen - zum Leidwesen der Fischer. Verfängt sich der quallige Brocken nämlich in ihren Netzen, bringt sie diese nicht selten zum Zerreißen, nachdem sie bereits den Fang im Netz zerquetscht hat.