Beim Abriss des Atommeilers Stade zerteilen die Arbeiter jetzt den Reaktorbehälter

Stade. Menschen ist hier der Zutritt streng verboten. Deshalb setzt ein ferngesteuerter Roboterarm das Schweißgerät an und schneidet ein erstes Stahlsegment aus dem strahlenden Reaktordruckbehälter. Es ist ein bedeutsamer Schnitt, denn mit ihm beginnt der anspruchsvollste Teil der Abrissarbeiten im Kernkraftwerk Stade, die vor fünf Jahren begannen.

Gut 30 Jahre lang hat der Meiler an der Unterelbe Strom produziert, entsprechend hoch ist die radioaktive Belastung der Kraftwerksteile rund um den Reaktorkern. Michael Bächler, Technischer Leiter für den Rückbau bei E.on, rechnet damit, dass die Operation am Kraftwerksherzen, das in 251 Einzelteile zerlegt wird, drei Monate in Anspruch nimmt. Ringförmig wird der gut acht Meter hohe Zylinder mit einem Durchmesser von vier Metern allmählich zerkleinert. Dabei dreht sich der Druckbehälter am fest montierten Roboterarm vorbei. Bächler: "Zunächst schneiden wir größere Teile im Format von etwa 1,20 mal 1,70 Meter heraus. Denn im oberen Bereich ist der Druckbehälter weniger stark kontaminiert, sodass wir die bis zu drei Tonnen schweren einzelnen Segmente in Spezialcontainern einlagern können. Zur Behältermitte hin werden wir nur noch 40 mal 90 Zentimeter große Teile abtrennen können. Denn sie müssen in stärker ummantelten, sogenannten Mosaikbehältern verpackt werden, die weniger Raum bieten."

Sämtliche Abfälle werden im Schacht Konrad eingelagert

Sorgfältig verstaut kann der strahlende Müll anschließend an die Luft gesetzt und abtransportiert werden. Der Behälter hat eine "vernachlässigbare Wärmeentwicklung" und erfüllt damit das Kriterium, um im Endlager Konrad in Salzgitter einzufahren. Das ehemalige Erzbergwerk soll 2014 als Atommülllager in Betrieb gehen. Es wird die Endstation für sämtliche radioaktiven Abfälle, die beim Rückbau in Stade anfallen. Sie machen etwa vier Prozent der Gesamtmasse des KKW-Abrisses aus.

Die Abbaustelle des Reaktorherzens ist eine zehn mal zehn Meter große Halle, die hermetisch abgeriegelt ist. Früher lagerten hier in einem Becken die Brennelemente. An einer Wand sind auf zwei vertikalen Schienen die beiden Roboterarme montiert. Hinzu kommen ein ferngesteuerter Kran und Kameras, mit denen sich der Behälterabbau nach Art einer Salamitaktik beobachten lässt.

Ein halbes Dutzend Mitarbeiter steuern von einem Kontrollraum aus die Schweißarbeiten, den Kran, der das abgeschnittene Stahlteil beiseitestellt, und die Kameras. Insgesamt arbeiten 140 E.on-Beschäftigte auf der Rückbaustelle am Elbsaum. Dazu kommen noch 250 bis 300 Arbeiter von Fremdfirmen, schätzt Bächler.

Im April hatte die Crew gerade die Halbzeit der heißen Phase gefeiert, in der die am stärksten belasteten Komponenten demontiert werden. Die Arbeiten am ehemaligen Primärkreislauf, durch den einst das im Reaktorbehälter erhitzte Wasser strömte, sind von 2008 bis 2012 geplant und bereits die dritte Rückbauphase.

Die Vorbereitungen dieser Abbauphase brauchten zwei Jahre

Nachdem im Jahr 2005 sämtliche Brennelemente entfernt waren, zerlegten die Arbeiter zunächst etwa zwei Jahre lang unbelastete Anlagenteile wie Frischdampf- und Speisewassersysteme, Notstromdiesel, Turbine und Generator sowie kontaminierte Komponenten, die nicht mehr gebraucht wurden.

In Phase zwei wurden die vier 16 Meter hohen Dampferzeuger ausgebaut. Hier war die Schnittstelle zwischen dem radioaktiven und dem nicht radioaktiven Bereich: Das verstrahlte heiße Wasser erhitzte dort das Wasser eines zweiten Kreislaufes. Bei nachlassendem Druck wurde dieses zu Dampf, der die Turbine antrieb.

Abbauphase drei startete 2008. "Wir brauchten zwei Jahre für die Vorbereitungen, einschließlich aller behördlichen Prüfungen", sagt Bächler. Diese wurden mit dem TÜV-Nord verhandelt, der im staatlichen Auftrag den Rückbau technisch überwacht. Der Einbau der Roboterarme, der Drehmechanik, auf dem der Reaktorbehälter steht, und anderer Gerätschaften dauerte sieben Monate. Zwei weitere Monate benötigte das Leerräumen des Reaktorherzstücks: Im Zylinder befanden sich Einbauten, die die Brennelemente in Stellung brachten, Gesamtgewicht 85 Tonnen - um die stark strahlenden Bauteile zu entfernen, wurden 130 Tonnen Werkzeuge gebraucht.

Die bisherige Demontage war zeitaufwendiger als geplant

Bislang sei alles glatt gelaufen, berichtet der Stader Betriebsleiter, bis auf kleinere Vorkommnisse: "Einige Schrauben waren wider Erwarten festgeschweißt, so dass wir sie nicht abfräsen konnten. Wir mussten die Schraubenköpfe zurückbrennen", erzählt Bächler. Zudem sei der Abbau aufwendiger gewesen als geplant: "Wir mussten statt der einkalkulierten Zehn-Stunden-Tage auch 24-Stunden-Schichten fahren, um im Zeitplan zu bleiben."

Auch seien etwas mehr radioaktive Abfälle angefallen als zunächst erwartet. Bächler: "Laut Plan wollten wir unser Zwischenlager zu 75 Prozent auslasten, jetzt werden es 80 Prozent." Die größte Herausforderung sei jedoch nicht der Umgang mit Radioaktivität, sondern die Komplexität des Abbauprozesses, die Abstimmung der verschiedenen Arbeiten.

Wenn Ende August auch das Herzstück des Kernkraftwerks zerkleinert und abtransportiert sein wird, gehen noch weitere vier Jahre ins Land, bis das charakteristische Kuppelgebäude aus dem Atomrecht entlassen und abgerissen werden kann. Denn zuvor müssen noch sämtliche Einrichtungen demontiert werden, die für den Rückbau gebraucht wurden - von der Lüftungsanlage über Kran und Kontrollraum bis zur Stromversorgung und Abwasseraufbereitung.

2015, so lautet nach wie vor das 2002 gesetzte Ziel, soll die übrig gebliebene charakteristische Kraftwerkshülle beseitigt werden und an ihrer Stelle die sprichwörtliche grüne Wiese wachsen.