Nanomaterialien besitzen erstaunliche Eigenschaften, ermöglichen völlig neue Produkte. Über Nebenwirkungen wissen Forscher bisher aber wenig

Hamburg. Die Zwerge sind auf dem Vormarsch, zumindest in der Welt der Technik: Winzige synthetische Strukturen im Nanometerformat werden unser Leben revolutionieren, glauben Forscher. Ein Nanometer (nános heißt griechisch Zwerg) misst ein Millionstel Millimeter, ist gerade einmal so breit wie unsere DNA. Nanopartikel sind so klein, dass wir sie nur unter einem Elektronenmikroskop erkennen - und doch können sie eine große Wirkung entfalten: Sie stecken in der Beschichtung von wasserabweisenden Textilien, helfen als erwärmbare Eisenoxide bei der Bekämpfung von Krebs, sparen Strom in Licht emittierenden Dioden (LED) und bilden die Grundlage für neuartige Datenspeicher.

Längst haben die Winzlinge Einzug in den Alltag gehalten, aber die Öffentlichkeit weiß wenig über sie. Deshalb hat die Akademie der Wissenschaften in Hamburg einen Lehrfilm zum Thema veröffentlicht, den sie jetzt an weiterführende Schulen verteilt. Einen Beitrag zur Aufklärung soll auch der "nanoTruck" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) liefern, der gerade Hamburg besucht.

Nanotechnologie gilt als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Und sie ist in Deutschland zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden: Schätzungsweise 750 Unternehmen mit 63 000 Beschäftigten arbeiten auf diesem Gebiet; bei der Zahl der Patente liegt Deutschland weltweit auf Platz drei. Nach Angaben des BMBF wurden Projekte der Nanotechnologie 2009 mit insgesamt 440 Millionen Euro öffentlich gefördert.

Doch während die Forschung seit Jahren die Potenziale erkundet und die Industrie immer neue Nanoprodukte auf den Markt wirft, herrscht bei manchen Verbrauchern Verunsicherung. So zahlreich die Vorteile der synthetischen Zwerge sein mögen: Könnten sie uns nicht auch schaden? Solche Fragen treiben auch die Hamburger um, wie vor Kurzem eine voll besetzte Veranstaltung "Nanotechnologie in der Gesellschaft" zeigte, zu der die Akademie der Wissenschaften eingeladen hatte.

Dass der Fortschritt durch Nanotechnologie Risiken birgt, liegt daran, dass Stoffe in dieser Winzigkeit völlig andere chemische und physikalische Eigenschaften haben können als die gleichen Substanzen in einem größeren Format. Wirkungen auf den Menschen sind jedoch kaum erforscht; eine Kennzeichnungspflicht oder ein Produktregister gibt es nicht. Trotzdem kommen die winzigen Teilchen in immer größerer Zahl und in sehr unterschiedlichen Anwendungen zum Einsatz. Das erschwert die Transparenz und begünstigt Gerüchte, etwa, dass einigen Lebensmitteln bereits Nanopartikel zugesetzt werden, zum Beispiel Siliziumdioxid, um Ketchup dickflüssiger zu machen.

Tatsächlich könnten während der Produktion Nanopartikel entstehen, sie würden dann aber wieder zusammenbacken, sagt Jürgen Thier-Kundke, Sprecher des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR). "Die deutsche Lebensmittelindustrie hat uns glaubhaft versichert, dass in ihren fertigen Produkten derzeit keine Nanopartikel vorkommen." Ob das tatsächlich stimme, sei nicht überprüfbar: "Es gibt noch keine standardisierten Messverfahren, mit denen wir Nanopartikel nachweisen können." Die Lebensmittelindustrie tut gut daran, auf Nanotechnologie zu verzichten, denn nach einer Umfrage des BfR lehnt der Großteil der Bevölkerung solche Partikel im Essen ab.

Akzeptiert werde Nanotechnologie hingegen, "wenn sie im Alltag nützlich erscheint", sagt Thier-Kundke. Gemeint sind Reinigungsmittel oder Kosmetika, etwa Sonnenschutzcremes, in denen Nano-Titandioxid und Nano-Zinkoxid als UV-Blocker fungieren. Eine Gefahr drohe nicht: "Etliche Studien zeigen, dass diese Partikel nicht durch gesunde Haut in den Körper dringen können." Während solche Anwendungen Vorteile bieten, macht Nanotechnologie in anderen Anwendungen weniger Sinn. Zum Beispiel Silberpartikel, die als sogenannte Biozide in Socken, T-Shirts und Deosprays gegen Schweiß verursachende Bakterien wirken sollen. "Für die Körperhygiene genügt Wasser und Seife", sagt Thier-Kundke. Nano-Silberpartikel seien zwar nicht gesundheitsschädlich, durch die breite Anwendung bestehe jedoch die Gefahr, dass Bakterien resistent werden - zum Nachteil von Anwendungen wie beschichteten Wundverbänden, bei denen Silber sehr wichtig sei.

Bei den meisten Anwendungen sind industriell verarbeitete Nanostoffe fest in Trägermaterialien eingebunden. Von dort können sie nach bisherigem Forschungsstand weder durch die Haut eindringen, noch in die Luft gelangen, wo wir sie einatmen könnten. Bei der Herstellung dieser Produkte, insbesondere dort, wo man Materialschichten aufdampft, können Nanostoffe jedoch frei werden, in die Umwelt gelangen. "Der zunehmende Einsatz synthetischer Nanomaterialien führt zu einem vermehrten Eintrag dieser Materialien in Boden, Wasser und Luft", so das Umweltbundesamt. Nanotechnologie biete zwar "erhebliche Potenziale für ökologische Innovationen", Risiken für den Menschen seien aber ungenügend erforscht, es bestünden "gravierende Wissenslücken".

Zwar haben schon aufwendige Forschungen stattgefunden, etwa im Projekt "Nanocare", das von 2005 bis 2009 die gesundheitsrelevanten Effekte von industriell hergestellten Nanopartikeln testete. Die Wissenschaftler um den Toxikologen Harald Krug kamen zu dem Ergebnis, dass die elf untersuchten Nanopartikel eingeatmet Entzündungen in der Lunge verursachen können, allerdings nur in hoher Konzentration. Zwar gibt es keinen Grund zur Panik im Zusammenhang mit Nanopartikeln in der Luft, aber die Ergebnisse geben auch keinen Anlass zu Entwarnung.

"Wir wissen noch zu wenig über Risiken", sagt Prof. Horst Weller, Direktor des Instituts für Physikalische Chemie an der Universität Hamburg. Der Experte appelliert an das Verantwortungsbewusstsein der Industrie: "Prinzipiell sollten alle Nanopartikel, die im großindustriellen Maßstab zum Einsatz kommen, auf ihre gesundheitliche Wirkung untersucht werden." Ebenso wie das Umweltbundesamt plädiert Weller für eine umfassende Kennzeichnungspflicht und ein Produktregister. "Wir brauchen mehr Transparenz."

Ab 2013 soll eine Kennzeichnung zumindest auf Kosmetika Pflicht werden, hat das EU-Parlament beschlossen. Das ist spät, zeigt aber, dass die Erkenntnisse aus Projekten wie Nanocare ernst genommen werden. Ob für die Erforschung der Risiken genug Geld ausgegeben wird, darf man allerdings bezweifeln: Das BMBF etwa förderte die Nanotechnologie 2009 mit 165 Millionen Euro; davon entfielen rund acht Millionen auf die "Vorsorge".