Die Umweltkatastrophe vor der US-Küste bedroht Dutzende seltener Arten. Präsident Obama verspricht Betroffenen schnelle Hilfe

Der Ölteppich im Golf von Mexiko ist Schätzungen zufolge mittlerweile dreimal größer als zunächst angenommen. Er hat nach Angaben des Wissenschaftlers Hans Graber von der Universität Miami inzwischen eine Ausdehnung von 10 000 Quadratkilometern erreicht - und ist damit fast halb so groß wie die Fläche von Hessen. Damit steuert sowohl in den Tiefen des Meeres als auch an der Wasseroberfläche eine tödliche Gefahr auf Dutzende Tierarten zu.

Die US-Meeresschutzbehörde NOAA hat gestern für weite Teile der von der Umweltkatastrophe bedrohten Küste ein Fischfangverbot erlassen. Es gilt für kommerziellen Fischfang und für Hobbyangler und bleibt mindestens zehn Tage lang in Kraft. Fische, Krebse, Säugetiere und viele Vogelarten leben in dem ökologisch empfindlichen Mündungsgebiet des Mississippi und den Sumpfgebieten von Louisiana. Doch nicht nur heimische Tierarten, sondern auch viele Zugvögel sind nach dem Sinken der Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" und durch das aus den Lecks weiterhin austretende Öl bedroht.

Grafik zum Herunterladen: Ökosystem im Süden der USA von Ölpest bedroht

Besonders gefährdet sind laut Umweltschützern die Großen Tümmler und Pottwale. Pottwale, die die Gewässer südlich und östlich des Mississippi-Deltas als Kinderstube nutzen, hätten die Auswirkungen vermutlich schon zu spüren bekommen, da dieses Gebiet bereits direkt von dem Ölteppich betroffen sei, sagt Michael Jasny, Spezialist für Seetiere. In den küstennahen Gewässern sammeln sich auch gern die Großen Tümmler. Das Öl kann sich auf die Haut der Säugetiere legen und so zum Erstickungstod führen, aber auch beim Einatmen tödlich wirken.

Erst vergiftet das Öl die Fische, dann dringt es ins Landesinnere vor

Doug Rader, Chef-Ozeanologe vom Environmental Defense Fund, sieht ganze Fisch-Generationen im Golf von Mexiko in Gefahr. "Die Oberfläche der See ist wie eine Bundesautobahn für Fischlarven, die mit der Strömung zu weit entfernten Laichgebieten getrieben werden", sagt Rader. "An der Wasseroberfläche ist das Öl am giftigsten, und die Tiere sind am empfindlichsten." Ganze Generationen könnten so ausgelöscht werden. Auch die Laichplätze des bei Freizeitanglern so beliebten Louisiana Redfishs sind in Gefahr.

Doch nicht nur für die Meerestiere wird das Öl zur tödlichen Gefahr. Das Mississippi-Delta mit seinen Feuchtgebieten ist ein beliebter Landeplatz für Vögel aller Art - Singvögel aus den Tropen, Watvögel, Seevögel und Greifvögel. Experten befürchten, dass der Wind das Öl ins Landesinnere treibt, in das verworrene Netz von Nebenflüssen, und dann im Marschland zurückbleibt.

"Die Feuchtgebiete des Mississippi-Deltas sind die wichtigsten Feuchtgebiete auf dem ganzen Kontinent, und zurzeit nisten dort alle Zugvögel", sagt Dean Wilson, Aufseher im Atchafalaya-Sumpf westlich des Deltas. Auch der braune Pelikan, offizieller Vogel des US-Bundesstaates Louisiana, macht auf seiner Reise in wärmere Gefilde gerne einen Zwischenstopp in den Sümpfen und an den Stränden des Mississippi-Deltas. Er war erst im November von der Liste der gefährdeten Tierarten genommen worden. Selbst wenn die Pelikane und andere Vögel nicht direkt mit dem Öl in Berührung kommen, wird sich der giftige Schlick auf Dauer in der Nahrungskette der Tiere festsetzen. Rader fürchtet deshalb "eine der größten Umweltkatastrophen Amerikas".

Nach starker Kritik reiste Präsident Obama gestern in die Region

Starke Winde und hoher Seegang erschweren bis jetzt alle Rettungsversuche. "Mutter Natur ist nicht wirklich freundlich", sagte Heimatschutzministerin Janet Napolitano. Wegen der widrigen Wetterbedingungen könne das Öl derzeit nicht auf dem Meer abgebrannt oder abgeschöpft werden. Flugzeuge, die Chemikalien zur Zersetzung des Öls abwerfen sollten, mussten ebenfalls am Boden bleiben.

US-Präsident Barack Obama machte sich nach Kritik am Krisenmanagement der Regierung gestern selbst ein Bild von der Lage in der Ölpest-Region. Von der Katastrophe betroffen sind die vier US-Bundesstaaten Florida, Louisiana, Alabama und Mississippi. Überall wurde der Notstand ausgerufen. Die Regierung werde tun, "was immer und wie lange es nötig ist, um diese Krise zu beenden", sagte Obama in Louisiana. Der Präsident traf in Venice am Mississippi-Delta mit Vertretern der Küstenwache und anderen Experten zusammen. "Wir haben eine massive und möglicherweise noch nie da gewesene Naturkatastrophe", sagte Obama anschließend. Er bekräftigte, dass der britische Konzern BP für den anhaltenden Ölaustritt verantwortlich sei, und "BP wird die Rechnung dafür bezahlen". Die Ursachen für den Unfall müssten gründlich aufgeklärt werden, aber im Mittelpunkt stehe jetzt "der unermüdliche Versuch", den Ölfluss ins Wasser zu stoppen. "Wir werden nicht ruhen, bis die Lecks geschlossen sind und die Region gesäubert ist", sagte der US-Präsident. Die Kosten für die Maßnahmen zur Eindämmung des Ölaustritts schätzen Experten auf täglich mehr als sechs Millionen US-Dollar.