Wunderkind, Philosoph, Humanist. Der Universalgelehrte Philipp Melanchthon reformierte die Bildung in Deutschland und gilt neben Martin Luther als Wegbereiter der Reformation. Thomas Frankenfeld erinnert zum 450. Todestag Philipp Melanchthons an das Leben des großen Reformators und geistigen Vaters der heutigen Gymnasien.

Er war ein winziges Männlein, gerade einmal 1,50 Meter groß, und so zerbrechlich zart gebaut, als könne ihn der nächste Windstoß davontragen. Er litt zeitlebens unter einem nervösen Magen - Symptom ständiger Überlastung - sowie einem leichten Sprachfehler. Er zog es daher vor, leise zu reden. Doch das Echo seiner Worte hallt bis heute in der Welt gewaltig nach. Auch 450 Jahre nach seinem Tod, dem 19. April 1560.

Er reformierte die Bildung in Deutschland. Philipp Melanchthon gilt als Vater einer evangelisch geprägten Bildung an Schulen und Hochschulen. Die von ihm entwickelte höhere Lateinschule ist Vorläufer des Gymnasiums. Noch immer gehen heute wesentliche Bildungsinhalte an den Schulen auf ihn zurück.

Geboren wurde er am 16. Februar 1497 im kurpfälzischen Bretten als Philipp Schwartzerdt, doch berühmt wurde er unter seinem Ehrennamen Melanchthon - der griechischen Umsetzung seines deutschen Namens.

Melanchthon, Sohn eines Waffen- und Rüstungsschmiedes und einer Bürgermeistertochter, ist vor allem bekannt als Reformator und enger Mitarbeiter seines Freundes Martin Luther, dessen Bibelübersetzung er ins Deutsche anregte, die er auch redigierte, und an der er selber sogar Anteil hatte.

Die beiden schätzten einander sehr - und waren doch von der äußerlichen Gestalt und der psychischen Struktur her denkbar unterschiedlich. Der bäuerisch derbe und feiste Luther ärgerte sich oft über die bedächtige Vorsicht seines zierlichen Mitstreiters, Melanchthon wiederum waren die polternden Ausbrüche und unsystematische Arbeit Luthers ein Graus.

Der 14 Jahre ältere Luther aber sorgte rührend für seinen stets kränkelnden Freund, besorgte dem einsamen Gelehrten sogar gegen dessen anfänglichen Widerstand eine Frau, mit der er vier Kinder hatte, und die er schließlich so lieben lernte, dass er ihr bei ihrem Tod 1557 ins Grab folgen wollte.

Nach Martin Luthers Tod im Februar 1546 fiel Melanchthon, der sich häufig auf Reichstagen und bei Religionsgesprächen als geschickter Verhandlungsführer aufseiten der Protestanten bewährt hatte, die natürliche Führungsrolle der Reformation zu. Doch er verprellte das eigene Lager mit Zugeständnissen an die Katholiken, und seine Bemühungen um die Einheit der Kirche blieben letztlich vergebens.

Während Luthers Ruhm als Reformator den Melanchthons überstrahlt, gilt dieser wiederum als einer der größten Humanisten seiner Zeit. Fast ehrfürchtig hatte Luther über den Universalgelehrten gesagt: "Ich sage es frei heraus: Er versteht mehr als ich ... In meinem ganzen Lehramt achte ich nichts höher als den Rat von Philipp. Das Urteil dieses einen Mannes und seine Autorität stehen mir höher als alle schmutzigen Ecke." Letzteres bezog sich auf den berüchtigten päpstlichen Theologen Dr. Johannes Eck, mit dem sich Luther erhitzte Debatten über den umstrittenen Ablasshandel und andere religiöse Fragen lieferte. Es war Melanchthon, der Luther mit so scharfsinnigen Argumenten versorgte, dass es Eck die Sprache verschlug. Als Melanchthon seinem Freund wieder einmal ein besonders stichhaltiges Argument zuflüsterte, bellte Eck ihn wütend an: "Schweig, Philipp, kümmere dich um deine Studien und störe mich nicht!"

Und wie sich Melanchthon um seine Studien kümmerte! Als Junge hatte er die Lateinschule in Pforzheim besucht, sich als überragend begabt gezeigt und nebenher Griechisch gelernt. Mit zwölf Jahren besuchte er bereits die Universität Heidelberg, befasste sich dort erstmals mit Unterrichts- und Bildungsmethoden und studierte später in Tübingen noch Astronomie, Arithmetik, Geometrie und Musik.

Melanchthon erwarb diverse akademische Grade. Als er 15 Jahre alt war, verweigerten ihm die neidischen Professoren noch die Zulassung zum Magister - er holte die Prüfung zwei Jahre später nach. Immer wieder befasste er sich mit neuen Lernmethoden - und wandte sie als junger Griechischlehrer von Privatschülern gleich selber an.

Es war jene Epoche, die man später die Renaissance nannte - das Wort bezeichnet die Wiedergeburt des antiken Geistes in Kunst und Philosophie. Das mittelalterliche theozentrische Weltbild wurde abgelöst durch ein anthropozentrisches - der Mensch und seine Bildungsmöglichkeiten rückten in den Mittelpunkt.

Ab 1518 wirkte Philipp Melanchthon in Luthers Stadt Wittenberg, und bald wurde die dortige Universität, zu deren Rektor er aufstieg, zu einer der angesehensten in ganz Europa. Bis zu 2000 Studenten drängten sich in seinen Seminaren, bei denen er aus dem Fundus seines gewaltigen Wissens schöpfte.

Schon Erasmus von Rotterdam, Leuchtfeuer humanistischer Gelehrsamkeit, hatte 1516 staunend über ihn geschwärmt: "Welche Hoffnung gewährt dieser junge Mann ... Welcher Scharfsinn der Erfindung, welche Reinheit der Sprache, welche Belesenheit!"

Melanchthon machte sich große Sorgen um den Bildungsstand in Deutschland - mit Recht, wie eine von ihm 1527 betriebene Kirchenvisitation als Bestandsaufnahme ergab. Sie zeigte eine beschämende Unwissenheit des Volkes und auch der Geistlichen.

Schon bei seiner Antrittsrede in Wittenberg hatte der Gelehrte unmissverständlich klargemacht, dass das überkommene Lehrsystem radikal reformiert werden müsse - wofür er nun schwungvoll sorgte.

Philipp Melanchthon, der leidenschaftliche Pädagoge, verfasste Lehrbücher für Fächer wie Rhetorik, Ethik, Physik, Geschichte und Geografie - die rasch in den Schulen als Lehrstoff vorgeschrieben wurden. So hatte sein Lehrbuch über die griechische Grammatik von 1518 in vielen Schulen noch Geltung bis ins 18. Jahrhundert. Melanchthon forderte auch die individuelle Betreuung von Studienanfängern. Im Grunde entspricht dies dem heutigen Prinzip der Lernbegleitung durch Tutoren.

Er ermutigte und betrieb die Gründung von Schulen - so in Magdeburg, Eisleben und Nürnberg -, systematisierte den Unterricht und reformierte die Lehrmethoden. So teilte er die Schüler je nach Alter und Kenntnisstand in drei Klassen auf und legte Bedingungen für das Lernen fest - wobei er größten Wert auf Gründlichkeit und Wiederholungen legte. Ferner bestimmte er, dass Schüler erst nach Erreichen eines bestimmten Wissensstandes in eine höhere Klasse versetzt werden können. Das mag heute selbstverständlich klingen, war es im 16. Jahrhundert aber keineswegs.

"Die Jugend in den Schulen zu vernachlässigen heißet nichts anderes, als den Frühling aus dem Jahre hinwegnehmen. Wahrhaftig nehmen die den Frühling aus dem Jahre hinweg, welche die Schulen verfallen lassen ... Und schreckliche Finsternisse werden in der ganzen bürgerlichen Gesellschaft die Folge sein, wenn man das Studium der Wissenschaften vernachlässigt", notierte Philipp Melanchthon, der inzwischen im ganzen Land als "Praecepor Germaniae" - Lehrer der Deutschen - gefeiert wurde.

Die "Obere Schule" in St. Egidien in Nürnberg, deren Gründung 1526 er maßgeblich beeinflusste und betrieb, war sogar eine Lehranstalt völlig neuer Art. Ihr Unterrichtsbetrieb war ganz nach den humanistischen Prinzipien Melanchthons ausgerichtet und bot einen neuen Bildungskanon. Unterrichtsfächer waren Mathematik, Latein, Griechisch und Rhetorik. Diese Schule, die bis heute als Melanchthon-Gymnasium Nürnberg besteht, gilt als erstes humanistisches Gymnasium in Deutschland. Bei der Eröffnungsrede sagte Philipp Melanchthon, für die Städte seien nicht Mauern oder Bollwerke der wirksamste Schutz, sondern die Bürger, die sich durch Bildung, Klugheit und andere gute Eigenschaften auszeichneten. Ein Satz, der - bezogen auf die ganze Gesellschaft - bis heute Gültigkeit besitzt.

"Große Bedeutung hatte für Melanchthon eine klare Sprache, die auf einem tiefen Verständnis der Dinge beruhte", sagt Dr. Christine Mundhenk, Leiterin der Melanchthon-Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Daher habe er an der Wittenberger Universität Redeübungen eingeführt - "Deklamationen" -, die von den Studenten absolviert werden mussten. "Sie sollten unter Beweis stellen, dass sie sich intensiv mit Sachverhalten befasst hatten, sie verstanden und in einer angemessenen Form darstellen konnten", sagt die Wissenschaftlerin.

Mundhenk verweist darauf, dass auch heute wieder an vielen Universitäten Redewettbewerbe stattfinden.

In den Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten habe Philipp Melanchthon das Paradies gesehen - im Gegensatz zum politischen Geschäft und der Oberflächlichkeit der damaligen Höfe. Die Bildungsausgaben eines Staates sah er als Gradmesser für den Zustand eines Staates - ein sehr aktueller Ansatz. Das Geld, das man in die Ausbildung der Jugend investiere, sei gut angelegt, meinte der Gelehrte, da gut ausgebildete Leute hinterher in Staat und Kirche Gutes leisten könnten.

"Unter Bildung verstand Melanchthon eine ganzheitliche Ausbildung, die nicht nur die Wissenschaften, sondern in gleichem Maße die moralische und die christliche Verfeinerung des Menschen zum Ziel hat - der sich in Kirche und Gesellschaft für die Verbesserung der Verhältnisse einsetzt", sagt Christine Mundhenk. Die Geschichte der Menschheit war für Melanchthon die "Lehrmeisterin des Lebens".

Der "Lehrer der Deutschen" erkältete sich Anfang April 1560 auf der Heimreise von Leipzig nach Wittenberg. Er bekam hohes Fieber, das seinen schwächlichen Körper rasch entkräftete.

Am 19. April versammelten sich seine Angehörigen und Freunde in seinem standesgemäßen Heim, das heute als "Melanchthon-Haus" ein Anziehungspunkt für Bildungsbürger ist.

Gegen 19 Uhr abends starb Philipp Melanchthon. Er wurde, wie auf seinem Grab auf Latein verzeichnet ist, "63 Jahre, zwei Monate, zwei Tage". Seine letzte Ruhestätte fand er in der Schlosskirche zu Wittenberg - an der Seite seines Freundes und Mitstreiters Martin Luther.