Wir bauen Hochhäuser, lösen komplizierte Matheaufgaben, kommunizieren per Telefon und gehen Beziehungen ein. Könnten wir alles nicht, hätten wir nicht irgendwann das Feuer und damit das Kochen entdeckt. Gerade die Fähigkeit, Fleisch zu erwärmen, wissen Forscher heute, war der entscheidende Entwicklungsschritt. Irene Jung berichtet Neues von der Menschwerdung und den ersten kochenden Affen.

Menschen mögen's warm. Deshalb sitzen wir gern am Kaminfeuer, kochen gerne in fröhlicher Runde oder gucken anderen beim Kochen zu. Das ist Ausdruck unserer "Sehnsucht nach Genuss, nach Geborgenheit", hat Fernsehkoch Johann Lafer kürzlich gesagt. Damit traf er, vermutlich ohne es zu wissen, den Kern unserer Menschwerdung.

Denn wenn man dem amerikanischen Anthropologen Richard Wrangham von der Harvard University folgt, hat nicht der Mensch das Feuer gezähmt, sondern umgekehrt: Das (Lager-)Feuer und das Kochen haben aus einer Horde spätpubertierender Primaten erst Menschen werden lassen. Ein Lagerfeuer machte das Essen zu einem sozialen Akt. Das Feuer stiftete den ersten "Haushalt" mit Spielregeln für alle, die dazugehören wollten. Es förderte die Kommunikation, vielleicht sogar eine Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau.

Vor allem brachte das Feuer eine Revolution in der Ernährung mit sich, ohne die Menschen sich gar nicht hätten entwickeln können. "Unser großes Gehirn und die Form unseres Körpers sind Ergebnisse einer reichhaltigeren Nahrung, die uns nur durch das Kochen zur Verfügung stand", sagt Wrangham. Seine Koch-Hypothese lautet: "Wir Menschen sind die kochenden Affen."

Jahrzehntelang gingen Evolutionsforscher von der sogenannten "Man the hunter"-Theorie aus: Der entscheidende Schritt vom Menschenaffen zum Menschen sei mit dem Verzehr von (rohem) Fleisch zu erklären. Es geht um einen Entwicklungssprung, der vor zwei bis 1,8 Millionen Jahren in Ostafrika begann - damals das Freilandlabor der Evolution für menschliche Versuchsmodelle. Drei Typen konkurrierten ums Überleben:

- der noch sehr affenähnliche Vormensch Australopithecus, bekannt geworden durch "Lucy" in Äthiopien; er war geistig quasi noch eine Energiesparlampe und sein Hirn mit 450 Kubikzentimetern Volumen nur etwas größer als das eines Schimpansen;

- der Homo habilis ("geschickter Mensch"), der neben dem Australopithecus auftauchte und schon mehr, nämlich 600 Kubikzentimeter Hirn, vorzuweisen hatte;

- und Homo erectus, der erste Jäger und Sammler, mit einem Hirnvolumen von 900 Kubikzentimetern.

Ein so enormes Gehirnwachstum, sagt Wrangham, passierte nicht einfach so. Hirnmasse setzt 16-mal so viel Energie pro Gewichtseinheit um wie Muskelgewebe. Das menschliche Gehirn (heute mit einem Volumen von 1500 Kubikzentimetern) verbraucht ein Fünftel der gesamten Körperenergie. Der Stoffwechsel eines wilden Rohkostessers hätte es nicht hervorbringen können.

Untersuchungen stützen das Argument. Zum Beispiel die "Gießener Studie", für die sich 513 Probanden 1999 über längere Zeit zu 70 bis 100 Prozent von Rohkost ernährten. Ein Drittel der Nur-Rohköstler erlitt einen chronischen Energiemangel; bei der Hälfte der Frauen, die nur Rohkost zu sich nahmen, setzte die Regel aus. Selbst wenn Menschen mit der Rohkost täglich 2300 Kalorien aufnehmen, verlieren sie stark an Gewicht, zeigte ein Test in England.

Laut Wrangham kann der Homo habilis sein fähigeres Gehirn (noch) dem Verzehr rohen Fleischs verdankt haben. Aber schon die frühen Erectus-Menschen müssten herausgefunden haben, dass Gegartes besser riecht und schneller satt macht. "Ich vermute, dass die ersten Kochversuche darin bestanden, Knollen oder Fleischstücke auf glimmende Holzscheite zu legen", erklärte Wrangham im Gespräch mit dem Abendblatt.

Kritiker wenden ein, dass die frühesten verlässlichen Kochfeuerspuren des Homo erectus - gefunden am Jordanufer in Israel - erst auf 790 000 Jahre vor unserer Zeit datiert werden. Archäologische Beweise, dass Menschen das Feuer schon eine Million Jahre früher kontrollierten, fehlen. "Stattdessen", entgegnet Wrangham "haben wir umso stärkere biologische und ernährungsphysiologische Hinweise."

Gegarte Kost hätte für den Homo erectus durchschlagende Vorteile gehabt. Die Hitze tötet Krankheitserreger ab. Sie weicht zähe Pflanzen- und Fleischfasern auf, wodurch das Kauen leichter wird und der Magen Kohlenhydrate und Proteine besser verwerten kann. Während wild lebende Schimpansen fünf bis sechs Stunden pro Tag auf Blättern und Früchten herumkauen, verzehren heutige Jäger-und-Sammler-Völker ihre gegarte Nahrung in etwa einer Stunde. Sie gewinnen damit vier Stunden Zeit - für die Jagd und andere Tätigkeiten.

Weniger Kauen, schnelleres Verdauen, mehr Kalorien: Dieser größere Energiegewinn aus der Nahrung konnte dem Wachstum des Gehirns zugute kommen. Die Körper unserer Vorfahren formten sich vor 1,7 Millionen Jahren um: Darmtrakt, Kiefer und Zähne wurden kleiner, die Kaumuskeln schwächer.

Und was kann ein größeres Gehirn? Es befähigt zu besserem Lernen und zu komplexerem Verhalten. Während ein Primat seine Beute eifersüchtig verteidigt und sofort aufisst, waren die Jäger und Sammler des Homo erectus die Ersten, die ihre zusammengetragene Nahrung in einer kleinen Gemeinschaft teilten.

"Das war ein sehr anderes System, als ständig herumzuziehen wie die Schimpansen", sagt Wrangham. "Sobald man gemeinsame Feuerstellen, gemeinschaftliches Essen und eine kalorienreichere Nahrung hat, ändert sich auch das soziale Verhalten. Wenn man um ein Feuer saß, musste man lernen, heftige emotionale Reaktionen zu beherrschen, sonst wäre Chaos entstanden. Das Lagerfeuer hat uns gezähmt."

Zu Wranghams provokativsten Thesen gehört, dass mit dem Lagerfeuer auch eine frühe Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern entstand. Studien bei Naturvölkern zeigten, dass lange, kräftezehrende Jagdstreifzüge fast nur am Tag stattfinden und nicht immer erfolgreich sind. "Ein ausgehungert heimkehrender Jäger hätte aber am Abend kaum mehr die Zeit gehabt, genügend rohe Kost zu kauen, um seinen Kalorienbedarf zu decken", sagt Wrangham. Die Jäger waren daher auf Köche angewiesen. Man ahnt schon, wen der Anthropologe da meint: Köchinnen .

Regelmäßiges Kochen "schaffte Gelegenheit zur Kooperation, aber eben auch zur Ausbeutung", räumt Wrangham ein. "Kochen erforderte viel Zeit, weshalb alleinstehende Köchinnen ihre Zutaten und Speisen nur schwer vor entschlossenen Dieben hätten schützen können. Eine mögliche Lösung war die Paarbindung."

Wrangham hat jahrelang im Primaten-Projekt der Verhaltensforscherin Jane Goodall in Tansania Schimpansen studiert. Möglicherweise hat er die erbitterten und dramatischen Futterkämpfe vor Augen, die in einer Schimpansenhorde immer wieder ausbrechen. Dabei gehen gerade solche Weibchen oft leer aus, die keine enge soziale Beziehung zu einem Männchen haben.

Es gibt freilich keine Hinweise darauf, ob die frühen Menschen polygam waren, ob es noch eine Art Rudelordnung gab, wie Alte oder Verletzte behandelt wurden. Viele Evolutionsforscher vermuten, dass Frauen und Männer in der Urhorde ihre Beziehungen durch "Tauschgeschäfte" regelten. Zum Beispiel nach dem Motto: "Du jagst, ich koche." Vielleicht auch nach dem Motto "Essen gegen Sex".

Aber das ist noch Spekulation. Die prähistorischen Lagerstätten des Homo erectus, die man in der tansanischen Olduvai-Schlucht oder im kenianischen Koobi Fora gefunden hat, erzählen von einer rauen, fragilen Lebensexistenz. Zweifellos haben gerade schwangere Frauen entscheidend von der reichhaltigeren Nahrung profitiert, die sich mit Feuer zubereiten ließ. Das Feuer schützte Frauen während der Menstruation und nach einer Geburt, wenn sie wegen des Blutgeruchs hoch gefährdet waren, vor Raubtieren. "Die Frau war eine Gefahr (für die Gruppe), und sie war eine Verheißung", schreibt Sibylle Knauss in ihrem Evolutionsroman "Eden".

Wenn Lagerfeuer kulturgeschichtlich der früheste Mix aus Eckkneipe und Ebay waren, dann ging es dort nicht stumm zu. Bei Menschenaffen ist das gegenseitige Lausen der wichtigste soziale "Kitt" für ihre Gruppenbeziehungen, hat der britische Hirnforscher Robin Dunbar nachgewiesen. Bei den frühen Menschen löste die Sprache das Lausen ab. Klatsch und Tratsch, so Dunbar, schufen Zusammenhalt und formten Netzwerke. Spätestens ab einer Gruppenstärke von 150 Personen wird das Lausen Blödsinn. Gibt es am Ende für Klatsch und Tratsch einen besseren Ort als das Lagerfeuer?

Eine Spätfolge dieser Evolution ist offenbar die Koch-Show. Im Zeitalter der Single-Haushalte und des Übergewichts ist sie für viele zu dem virtuellen Lagerfeuer geworden, an dem die "Sehnsucht nach Genuss und Geborgenheit" gestillt wird - indem man anderen bei der Arbeit zusehen kann. Selbst dann, wenn man gar nicht kochen will, die gezeigten Lebensmittel sowieso nie kauft oder schon satt ist: Alleine satt sein ist langweilig.

Andere Menschen zahlen viel Geld für Koch-Wochenenden in der Toskana, um auf einem malerischen Bauernhof mit Wildfremden "Spargelspitzen an Petersfisch-Tartar" zuzubereiten. Sogar Wranghams These, dass Männer lieber jagen als kochen, hat die Evolution inzwischen widerlegt: Überall schießen Männer-Kochklubs wie etwa die "Kitchen Cowboys" aus dem Boden. Das neue Koch-Magazin "beef" richtet sich sogar nur an Männer.

Nur eins kommt heute zu kurz: genügend Bewegung wie vormals in der Savanne. Der Mensch domestizierte Tiere für die Fleischproduktion, er entdeckte das Getreide, er kultivierte die holzigen Wildformen von Gemüse und Früchten und baute Treibhäuser. Er schuf eine Ernährungsindustrie, die uns mit immer neuen Fertig-Kalorienbomben versorgt. Aber ein bisschen Schneeschippen auf dem Gehweg - das ist für viele anscheinend ein unvorstellbarer Kraftakt.