Trotz mancher raffinierter Tricks der Natur wird der Kampf ums Überleben durch die wochenlange Kälte immer härter.

Wenn schon hartgesottene Einheimische im norddeutschen Winter zittern, wie mag es erst eingewanderten Tieren, Pflanzen, Schädlingen und Krankheitsüberträgern ergehen, die sich aufgrund des Klimawandels in jüngster Zeit vermehrt im Norden ansiedeln? Eine detaillierte Antwort wird erst das Frühjahr bringen, doch schon jetzt steht fest: Es wird Rückschläge geben, die die Neusiedler in Flora und Fauna aber nicht gänzlich dahinraffen.

Zecken und Pflanzenschädlinge überleben im frostfreien Boden

Seit Jahren beobachten Gesundheitsexperten nach Norden vorrückende Zecken, die mit dem FSME-Virus (Erreger der Hirnhautentzündung) infiziert sind. Ihnen wird der strenge Winter wenig anhaben, sagt Dr. Helge Kampen, Insektenspezialist am Friedrich-Loeffler-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. "Zecken vertragen Kälte, sind im gewissen Grad sogar frostresistent. Je weiter die Temperaturen fallen, desto höher wird allerdings die Todesrate. Aber das Gros wird in frostfreien Böden überleben. Das gilt gleichermaßen für infizierte und nicht infizierte Zecken." Die bodenständigen Überwinterer profitieren von der Schneedecke. Sie wirkt isolierend und verhindert, dass der Frost allzu tief eindringt.

Auch blutsaugende Insekten (viele Mücken, manche Fliegen) sind meist recht winterhart, weil sie im Larvenstadium verharren. Ein Großteil tut dies im Wasser und kann unter einer Eisdecke gut leben, solange die Larven nicht einfrieren. Dagegen hilft tieferes Abtauchen.

Ähnliches gilt für Wärme liebende Pflanzenschädlinge. "Generell ist bei Insekten das Wetter im Frühjahr ausschlaggebend", sagt Stefanie Hahn, Sprecherin des Julius-Kühn-Instituts (Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen). "Maiswurzelbohrer oder die Kastanien-Miniermotte überwintern ebenfalls als Larven. Sie haben zuvor Fett ein- und Wasser ausgelagert, sodass ihre Körperzellen bei Frost nicht platzen. Zudem kriechen sie meist tief genug in den Boden, um vor Frost geschützt zu sein. Bei kalten Wintern bleiben die Larven etwas länger dort, da der Wärmereiz sie später weckt." Generell werde die Pflanzenwelt kaum von der Kälte profitieren, sagt Dr. Carsten Schirarend, Leiter des Botanischen Gartens in Klein Flottbek: "Wenn vermehrt Schädlinge sterben, dann gilt das genauso für die Nützlinge."

Keine Chance für Olivenbäumchen, Härtetest für Bambus

Keine Überlebenschance haben frostempfindliche Gewächse. "Wir haben sie in der Orangerie stehen, wo wir die Temperatur im frostfreien Bereich halten", sagt Schirarend. Für mediterrane Pflanzen, die in Gärten wachsen, sieht der Botaniker schwarz: "Ein Olivenbaum kann schon mal ein, zwei Frostnächte überstehen. Aber keine sieben Wochen Frost am Stück." Selbst für den Bambus im Botanischen Garten sei der Winter ein Härtetest. Die Stauden sollen bis minus 20 Grad ertragen können; ob das wirklich so ist, wird sich im Frühjahr zeigen.

Gartenbesitzer können kaum helfen. Schirarend rät davon ab, Pflanzen von Schnee zu befreien: "Er ist so stark an den Zweigen gefroren, dass diese leicht brechen, wenn sie geschüttelt werden." Eine Nothilfe für immergrüne Gewächse ist jedoch nötig, wenn Sonnenschein und starker Frost zusammenkommen. Dann braucht die Pflanze für die Photosynthese Wasser, das der gefrorene Boden nicht hergibt. Abhilfe: Gewächs mit Vlies oder Zweigen beschatten.

Zeit der Auslese trifft weniger angepasste Vögel stärker

Gerade die Vogelwelt reagiert auf die Erderwärmung: Einige Arten brüten weiter nördlich, andere fliegen nicht mehr oder nicht mehr so weit nach Süden, vor allem Kurz- und Mittelstreckenzieher, die von Natur aus in Südeuropa überwintern. "Sie reagieren spontan auf die Witterung", sagt Dr. Markus Nipkow, Ornithologe beim Naturschutzbund. "Wer nicht mehr so weit gezogen ist oder sogar hier überwintert, hat in diesem Jahr eine schlechte Karte gezogen. Generell ist der Winter die Zeit der Auslese. Und das trifft die Vögel, die weniger an Kälte angepasst sind, stärker. Aber der Trend, den wir durch die Erderwärmung beobachten, können ein, zwei kalte Winter nicht umkehren."

Rückschläge bei den neuen Nordseesiedlern

Die Wärme liebenden Einwanderer in der Nordsee - 50 bis 60 Arten, von der Sardine bis zur Alge - werden unter dem kälteren Wasser leiden, prognostiziert Prof. Heinz-Dieter Franke von der Biologischen Anstalt Helgoland im Alfred-Wegener-Institut. Allerdings lag im Januar die Wassertemperatur nur um 0,3 Grad unter dem langjährigen Mittelwert (6,6 Grad).

Franke: "Derzeit beobachten wir ein Massensterben der Amerikanischen Schwertmuschel. Auch andere Arten werden Rückschläge haben, dort werden wir schwache Nachwuchsjahrgänge beobachten. Aber die Erfahrungen aus dem jüngsten kalten Winter 1996 haben gezeigt, dass die Arten sich schnell erholen, wenn ein paar milde Winter folgen."

Franke nennt das Beispiel der Australischen Seepocke. Ihre Bestände knickten nach dem Winter 1996 ein, sodass die heimischen Seepocken die Oberhand zurückgewannen. Nach und nach machten sich die Exoten wieder breit, verdrängten die Ureinwohner. Eine solche Situation könnte jetzt zwischen der Pazifischen Auster und der heimischen Miesmuschel entstehen. Der Eisgang setzte den Austernbänken vor Sylt stark zu. Die Miesmuscheln ertragen mehr.