Wenn Tropfen in der Wolke gefrieren, wachsen Sterne, Säulen oder Plättchen. Ein US-Forscher ergründet die Formenvielfalt.

Sie sind zart, zerbrechlich und sehr vergänglich: Schneekristalle beherrschen in diesem Winter auch im Norden die Szene, sorgen verklumpt auf der Straße für Probleme, auf Rodelpisten für Spaß. Die eisigen Kunstwerke können - je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit - unterschiedlichste Formen annehmen. Doch eines haben alle gemeinsam: Sie sind immer sechseckig (hexagonal). Als der Bielefelder Chemiker Prof. Thomas Koop kürzlich in einer Anzeige der renommierten Fachzeitschrift "Nature" die achteckige "Abbildung" eines Eiskristalls entdeckte, bat er in einem offenen Brief an das Fachmagazin um eine naturgetreue Darstellung. "Ich bekam daraufhin E-Mails aus der ganzen Welt", sagt Koop, "auch vielen Schreibern waren falsche Kristalle aufgefallen, meist im Zusammenhang mit Werbung."

Er wolle nicht kleinlich wirken, aber als Atmosphärenchemiker, der unter anderem die Eisbildung in Wolken untersucht, sei ihm die Sache aufgestoßen, so Koop. Ein Experte für die Kristallisation von Wassermolekülen sei er allerdings nicht. Auch den gibt es. Er heißt Kenneth G. Libbrecht, ist Physiker und arbeitet am California Institute of Technology in Pasadena. Da die Untersuchungsobjekte auf ihrem Weg aus der Wolke zum Boden häufig außer Form geraten (vor allem weil sie zu Flocken zusammenklumpen), züchtete Libbrecht Eiskristalle im Labor - und produzierte damit eine Auswahl der fast unendlichen Formenvielfalt der Natur.

Je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit bilden sich unterschiedliche Kristallformen aus. Bei null bis minus fünf Grad beherrschen sternenförmige und flache Sechsecke die Szene. Im kälteren Bereich bis minus zehn Grad bilden sich vor allem nadel- und säulenförmige Kristalle. Die perfekte Sternform (die Wissenschaftler sprechen von Dendriten und meinen damit Kristalle mit tannenbaumförmigen Ästen) ist im Temperaturbereich von minus zehn bis ungefähr minus 22 Grad zu erwarten - bei niedriger Luftfeuchtigkeit ergeben sich jedoch nur sechseckige Plättchen. Diese sind auch unterhalb von minus 22 Grad zu finden, gemeinsam mit säulenförmigen Kristallen.

Libbrecht ist diese Unterscheidung zu grob, er ordnet die Gebilde 35 verschiedenen Gruppen zu - und hat damit die Formenvielfalt nur ansatzweise erfasst. Deren Ursache liege noch weitgehend im Dunkeln, so Libbrecht.

"Das Kristallwachstum hängt davon ab, wie genau die Wasserdampf-Moleküle in das Eiskristall eingebunden werden. Die Physik, die dahinter steht, ist komplex und noch nicht genau verstanden", schreibt er im Internet. Bei allen ist das Sechseck der gemeinsame Nenner. Es ist durch die Molekülform des Wassers (H2O) vorgegeben: Die beiden Wasserstoffatome (H) stehen im 60-Grad-Winkel zum Sauerstoffatom (O) - diese Form, die an ein breites V erinnert, lässt hexagonale Kristalle wachsen.

Die Kristallproduktion findet in den Wolken statt. Sie sind ein Mix aus feinsten Wassertröpfchen und Eiskristallen. Während Wasser am Boden bei null Grad gefriert, sind die Mini-Tröpfchen auf wundersame Weise frostresistent: Je kleiner sie sind, desto später gefrieren sie, Tröpfchen mit Durchmessern von 0,025 Millimetern erstarren erst bei minus 35 Grad. In minus zehn Grad kalten Wolken kommt nur ein Eiskristall auf eine Million flüssiger Tröpfchen.

Wenn es in der Wolke kälter wird, gefrieren immer mehr Tröpfchen zu Eiskristallen. An ihnen kondensiert Wasserdampf, die Kristalle wachsen heran. Beim Fallen treffen sie auf andere Kristalle und verbinden sich mit ihnen zu Flocken. Als "Klebstoff" dienen die noch verbliebenen Wassertröpfchen. Je wärmer es wird, desto mehr "Klebstoff" ist vorhanden, desto größer werden die Flocken.

Die plumpen Flöckchen haben wenig gemein mit den sechseckigen Kunstwerken, die sich in den Schneewolken oder im Labor vom US-Forscher Libbrecht gebildet haben. Vielleicht hat es sich auch deshalb noch nicht bis in die Werbewirtschaft herumgesprochen, dass Eiskristalle stets sechseckig sind.

Auf seinen Brief an die Fachzeitschrift "Nature" hat Chemiker Koop auch eine E-Mail aus den USA bekommen, in der die Absenderin schrieb: "Meine sechsjährige Tochter sagte sofort: ,Ist doch klar, dass die Kristalle sechseckig sind, das haben wir in der Schule gehabt.'" Das ließe für die Zukunft hoffen, so Koop.

Alles über Eiskristalle (engl.): www.snowcrystals.com