Das Projekt sorgt für Wasser und Strom. Aber die Böden laugen aus, der See verlandet und durch Druck entstehen sogar Erdbeben.

Assuan. Assuan, am 9. Januar 1960: Ägyptens Staatspräsident Gamal Abdel Nasser zündet per Knopfdruck die erste Sprengladung, um den Bau des Staudamms "Sadd el-Ali" einzuleiten. Die Mauer, 111 Meter hoch und 3800 Meter lang, staut den Nil zum riesigen Nassersee auf, 180 Meter tief und zehnmal so groß wie der Bodensee.

Das gewaltige Projekt, im Volksmund "Nassers Pyramide" genannt, sichert dem Land ein Viertel der Stromversorgung und verhindert Missernten in Dürrejahren. Doch das als Jahrhundertbauwerk gefeierte Prestigeobjekt verursacht unerwünschte Langzeitfolgen: Versalzung der Böden und des Wassers, Ratten- und Mäuseplagen, Klimaveränderungen, erhöhte Erdbeben- und Seuchengefahr.

Die Probleme, die einige Ökologen und Ökonomen schon zu Baubeginn prophezeit hatten, treten in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund. Eine der Hauptschwierigkeiten liegt wegen intensiver Bewässerung und mangelnder Dränage in der Bodenversalzung, die ein künstliches Düngen unumgänglich macht. Trotzdem laugen die Böden aus und die Erträge werden geringer. Der kalihaltige Nilschlamm, der früher die Region mit einer saisonalen Schwankung des Wasserstandes von etwa acht Metern überflutete, sorgte für eine natürliche Düngung. Nun liegen jährlich rund 130 Millionen Tonnen davon im Stausee brach und führen langfristig zu dessen Verlandung. Die Speicherkapazität nimmt so ständig ab, Experten schätzen, dass der See in 500 Jahren nutzlos sein wird.

Das Nildelta mit seiner dichten Besiedlung ist bedroht, weil die Staumauer den Fluss daran hindert, Geröll ins Meer zu schieben. Daneben sind durch fortschreitende Erosion und steigenden Meeresspiegel ganze Küstenabschnitte gefährdet. Die Flusstalränder werden ohne Flutung ständig dem sich ausbreitenden Wüstensand ausgesetzt. Regen, der früher in Oberägypten unbekannt war, prasselt Jahr für Jahr aufgrund der gewaltigen Verdunstung des Nassersees nieder.

Außerdem steigt durch den künstlichen, riesigen Stausee der Druck auf das Grundwasser. In der Erdkruste entstehen Spannungen, die sich in vorher nie gekannten Erdbeben entladen. Wie im Oktober 1992 im Großraum Kairo, als bei Erdstößen mit der Stärke 5,2 mehr als 500 Menschen umkamen.

Schädlinge wie Mäuse und Ratten vermehren sich ohne Überschwemmungen entlang des 1000 Kilometer langen Niltals unverhältnismäßig. Und die gefährliche, teilweise tödlich verlaufende Wurmerkrankung Schistosomiasis ist auf dem Vormarsch. Verantwortlich dafür sind Schnecken als Überträger, die durch die ganzjährige Dauerbewässerung einen idealen Lebensraum gefunden haben. Im Wasser fehlen Schweb- und Nährstoffe, der Fischbestand ab Assuan ist dramatisch zurückgegangen. Aufsteigendes salzhaltiges Grundwasser zerstört außerdem die Böden und Gebäude.

Über Jahrtausende hing das Wohl und Wehe der Fellachen von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren ab. Sie speicherten das Wasser in Becken, bis der schlammige Boden zur Aussaat bereit war. Bis ins 20. Jahrhundert wandten sie dieses pharaonische Bewässerungssystem an. Zum Ausgleich der Nilfluten wurde bereits 1902 von britischen Ingenieuren südlich von Assuan die alte Staumauer errichtet. Auf einer Länge von zwei Kilometern regulierte sie den Wasserstand, der nutzbringende Schlamm konnte diese Sperre passieren. Deren Effektivität reichte aber nach dem Zweiten Weltkrieg wegen des starken Bevölkerungswachstums nicht mehr aus, deshalb musste ein neues Absperrbauwerk installiert werden.

Der Bau des neuen Assuan-Staudamms erwies sich zunächst als große Errungenschaft. Er ermöglichte die ganzjährige Bewässerung von 300 000 Hektar Ackerland und den Bauern drei Ernten pro Jahr, mehr als 400 000 Hektar Wüste wurden zu fruchtbaren Feldern. Ohne den Hochdamm wären große Teile der Bevölkerung verhungert. Obwohl sich der Speicherinhalt des Nassersees in den Jahren 1979 und 1987 fast halbierte, bewahrte er die Einheimischen vor einer Dürreperiode.

Durch den Stausee verdoppelte sich die Stromgewinnung für den westarabischen Raum, zwölf Turbinen liefern bei voller Auslastung Energie von zehn Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Der erzeugte Strom wird bis nach Kairo geleitet. Die Schiffbarkeit des Nils hat sich durch den Damm stark verbessert, außerdem sichert er die Trinkwasserversorgung.

Kritiker bleiben dennoch skeptisch. Aus wirtschaftlicher Sicht übertreffen die Kosten für die Beseitigung der Folgeschäden den Gesamtnutzen des Damms. Allein die reichen Bauern profitieren mit starken Pumpen vom Flusswasser und können chemische Düngemittel auf ihren Böden ausbringen. Die Situation der armen Bauern hat sich eher verschlechtert.

Hinzu kommt noch eine ganz andere Gefahr. Rund um den Damm herrscht die höchste Sicherheitsstufe. Kaum vorstellbar, was ein Terroranschlag anrichten würde. Denn das Niltal ist mit rund 1000 Bewohnern pro Quadratkilometer eine der bevölkerungsreichsten Regionen der Welt.