Ob als Dämmstoff oder Träger von Arznei-Wirkstoffen: Gele, deren Struktur nicht mit Flüssigkeit sondern mit Luft gefüllt ist, haben großes Potenzial.

Sie sind ein Stoff der Superlative. Aerogele halten 14 Einträge im Guinnessbuch der Weltrekorde, unter anderem als bester Isolator und Feststoff mit der geringsten Dichte. Das Material, das sich anfühlt wie federleichte Kreide, besteht zu 99,8 Prozent aus Luft und ist nur dreimal schwerer als sie. Es eignet sich als Dämmstoff, fängt in Teilchenbeschleunigern Elektronen und andere Winzlinge ein, fliegt als Isoliermaterial und Fänger von kosmischem Staub im Spaceshuttle ins All und kann auch als Träger für Arzneiwirkstoffe dienen. An der pharmazeutischen Anwendung forscht eine Arbeitsgruppe des Instituts für Thermische Verfahrenstechnik an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) unter Leitung von Prof. Irina Smirnova.

Der erste Schritt des Herstellungsprozesses sei ganz einfach, so Smirnova: "Sie stellen ein Gel her, wie man es vom Puddingkochen oder von der Gelatine kennt." Aus vielen verschiedenen Ausgangsstoffen lassen sich solche technischen Gele erzeugen. Der häufigste ist Siliziumoxid, aber auch Stärke, Kohlenstoff, Alginat oder Zellulose dienen zur Produktion der Leichtgewichte. Ist das Gel durch eine chemische Reaktion, durch Zugabe von Flüssigkeit oder mithilfe spezieller Druck- und Temperaturverhältnisse entstanden, beginnt die Herausforderung für die Verfahrenstechniker: Die in dem superfeinen Netzwerk enthaltene Flüssigkeit muss durch Luft ersetzt werden, ohne dass die Struktur in sich zusammenfällt. Dieser Schritt heißt "Überkritische Trocknung".

"Im Grunde ist es wie Wäsche trocknen", erklärt die 33-jährige Russin mit dem Hang zum Praktischen. "Dabei wird Wasser durch Luft ersetzt, und die Textilfasern sorgen dafür, dass die Form des Kleidungsstückes erhalten bleibt." Der Vergleich ist etwas grobmaschig. Denn in den Gelen steckt die Flüssigkeit in Kapillaren mit Durchmessern von 20 bis 100 Nanometern (nm, 1nm ist ein Milliardstel Meter). Zudem darf sie, um die Form zu wahren, nicht einfach verdunsten, dann würde das Techno-Gel eintrocknen.

Die Harburger Verfahrenstechniker - eine von einer Handvoll Gruppen, die in Deutschland Aerogele erforschen - sperren das Gel in einen Druckbehälter und lassen es unter speziellen Bedingungen (70 bar, 40 Grad Celsius) von Kohlendioxid (CO2) durchströmen. "Das CO2 extrahiert das Lösemittel", erklärt Smirnova. "Auch das ist übrigens nichts Neues, Kaffee und Tee werden mit derselben Methode entkoffeiniert." Je nach Dicke des Gels dauert diese Trocknung in den Druckbehältern (Autoklaven) drei bis 24 Stunden. Wird der Druck langsam abgelassen und der schwere Deckel der Stahlzylinder angehoben, tauscht sich das restliche CO2 gegen Luft aus - das Aerogel ist fertig.

Beim Ausgangsstoff Siliziumoxid (Silica Aerogele) werden die technischen Leichtgewichtige durchsichtig. Ein schwedischer Hersteller hat aus ihnen dünne Dämmplatten entwickelt, die zwischen zwei Fensterscheiben angebracht werden. "Aber das geht nur mit einem sehr großen Autoklav. Zudem ist die Gefahr groß, dass sich während des Trocknens sichtbare Spalten bilden. Deshalb ist das Material sehr teuer", sagt Smirnova. Anbieter von Aerogel-Dämmstoffen seien bereits auf dem deutschen Markt, zum Beispiel vertreibe die Firma Stadur Paneele und Rohrisolierungen über das Internet.

Aerogele sind superleicht und auch druckstabil, wenn der Druck sehr langsam auf sie ausgeübt wird. Aber sie sind gleichzeitig brüchig und zerfallen schnell zu Staub. Auch lösen sie sich im Wasser auf, sofern sie im Produktionsprozess keine chemische Ausstattung mitbekommen haben, die dies verhindert.

Deshalb ist ihr Einsatz zum Beispiel als Dämmmaterial beschränkt. "Hier ist es am besten und kostengünstigsten, Granulat herzustellen", so Smirnova.

Sie und ihr Team wollen aus Aerogelen lieber Pillen drehen, sie zu Trägern von Medikamenten-Wirkstoffen machen. Smirnova: "Das Material hat eine riesige innere Oberfläche, sie kann bis zu 1000 Quadratmeter pro Gramm erreichen. Auf ihr verteilen sich die Wirkstoffe in molekularer Form, wachsen nicht zu Kristallen zusammen. Dadurch lösen sie sich im Körper besser auf als bei anderen Trägermaterialien." Die Wirkstoffe werden dem CO2 zugegeben und vom Aerogel während der Trocknung aufgenommen - und das bis zur Hälfte des Eigengewichts vom Gel, sagt die Verfahrenstechnikerin.

Sie arbeitet mit pharmazeutischen Instituten verschiedener Universitäten (darunter auch Hamburg) zusammen, um die Praxistauglichkeit ihrer Wirkstoffträger zu erproben. Dort wird nachgestellt, wie schnell sich das Medikament in Magensäure und im Darm-Milieu auflöst oder - in Salbenform - in die Haut eindringt. Aber auch praktische Fragen, etwa ob die Tablette zerbröselt, wenn sie auf den Boden fällt, gilt es zu klären.

Gerade in der Pharmaindustrie könnten Aerogele eine Zukunft haben, so Smirnova. "Generell haben sie ein extrem kleines Gewicht in Bezug auf ihre Wirkung und können hier von keinem anderen Material geschlagen werden. Diese Eigenschaft ist beim Hausbau nicht so entscheidend, die Gewichtsersparnis spielt da keine große Rolle. Aber die Pharmaunternehmen suchen nach neuen Möglichkeiten, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Denn sie bringen nur selten neue Wirkstoffe auf den Markt, weil die Zulassung sehr teuer ist. Unsere Aerogele bieten hier einen Hebel; sie könnten die Wirksamkeit von Arzneien steigern."