Der Physiker Frank Schlünzen hat 16 Jahre lang mit der israelischen Forscherin Ada Yonath zusammengearbeitet - in Hamburg und in Berlin.

Erinnert sich Frank Schlünzen an seine Zusammenarbeit mit Ada Yonath, leuchten seine blauen Augen vor Begeisterung. 16 Jahre hat der Software-Experte des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (Desy) in Hamburg-Bahrenfeld in Forschungsgruppen der Chemie-Nobelpreisträgerin erst am Desy und dann in Berlin-Dahlem gearbeitet. "Ihre Forschung an Ribosomen, den Eiweißfabriken der Zelle, war ihr Leben. Sie war so begeistert, so erfüllt von ihrer Arbeit, dass sie meist sogar im Labor auf Sesseln oder Couchen schlief, und ihre kleine Tochter nahm sie zunächst zu allen Experimenten mit." Später blieb die Tochter, die heute in Israel als Ärztin arbeitet, allein zu Hause.

Zu Hause, das sei trotz aller Weltoffenheit und langer Arbeitsaufenthalte in den USA oder Europa immer Israel gewesen, erinnert sich Schlünzen. In Jerusalem wurde Ada Yonath am 22. Juni 1939 als Tochter eines Rabbis geboren. Ihre Eltern waren polnische Juden, die vor der Bildung des israelischen Staates nach Palästina eingewandert waren.

Die politische Entwicklung in ihrer Heimat verfolgte die Max-Planck-Wissenschaftlerin, die mit ihrer Grundlagenforschung die Basis für die Entwicklung neuer, hochwirksamer Antibiotika legte, sehr aufmerksam. "Sie sympathisierte mit der Friedensbewegung und erzählte uns oft Anekdoten über die wissenschaftliche und politische Elite des Landes, zu der sie viele Kontakte hatte." Schlünzen, der Ada Yonath ans Weizmann-Institut in Israel begleitete, genoss es, mit ihr in intellektuelle Zirkel in Tel Aviv eingeladen zu werden.

Bis heute mischt sich die energische kleine Frau mit der - inzwischen grauen - Lockenmähne mit klaren Worten ein. Kürzlich erst riet die frisch gekürte Nobelpreisträgerin der israelischen Regierung in einem Radiointerview, alle Palästinenser, die keine Verbrecher seien, aus den Gefängnissen zu entlassen. Damit entfiele ein Anreiz, israelische Soldaten als Geiseln zu nehmen. Sie erntete nicht nur Zustimmung. Doch das stört diese außerordentlich beharrliche Frau, deren Arbeit anfangs vom wissenschaftlichen Establishment belächelt wurde, nicht. Sie ist - wie einst Albert Einstein - aus Überzeugung Pazifistin.

Ada Yonath hat sich nie von ihrem Ziel abbringen lassen. Beharrlich entwickelte sie die Methoden, um die Fabriken des Lebens zu verstehen. "Als sie 1980 begann, den Aufbau dieser molekularen Giganten zu untersuchen, war es weit jenseits der Vorstellungskraft, dass sie erfolgreich sein konnte. Erst elf Jahre später hielt Ada die ersten guten Aufnahmen der Ribosomen in Händen. "So eine lange Durststrecke zu überstehen, dazu gehört schon was", sagt Schlünzen, der 1990 zur Ada Yonaths Arbeitsgruppe am Desy stieß.

1986 hatte die Wissenschaftlerin die Leitung der Arbeitsgruppe für Ribosomenstruktur in der Max-Planck-Arbeitsgruppe für Molekularbiologie in Hamburg übernommen. Sie wollte von den außergewöhnlichen experimentellen Möglichkeiten am Desy profitieren. Es zahlte sich aus, denn am Desy legte sie die Basis für alle drei Chemie-Nobelpreise. Seit 1979 kooperierte sie zudem mit dem Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin-Dahlem.

Schlünzen, theoretischer Physiker, bearbeitete zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Messdaten der Versuche, dann schrieb er seine Doktorarbeit. Sie sei eine klassische Chefin gewesen, was ihr wichtig war, musste - ohne Diskussion - gemacht werden. "Sie war aber immer freundlich, herzlich, hat uns unterstützt, und wir hatten viel Freiraum, schon weil Ada viel unterwegs war, um an Kongressen teilzunehmen. Sie muss zu den besten Kunden von Lufthansa gezählt haben."

Die Aufbruchstimmung im siebenköpfigen Team, das Ada Yonath auch zu den starken Röntgenquellen nach Grenoble, Chicago, Cornell oder Japan begleitete, kippte auch nicht, als der US-Forscher Thomas Steitz 1998 überraschend die erste Analyse eines Teils der Ribosomen veröffentlichte. "Ada wurde nur etwas dünnhäutiger, ungeduldiger. Es hatte immer wieder Gerüchte gegeben, dass die Mit-Nobelpreisträger Thomas Steitz und Venkatraman Ramakrishnan die Forschung an Ribosomen aufgenommen hätten. Doch erst 1999 stellten die beiden auf einer Konferenz in Helsingør in Dänemark ihre Forschungen im Detail vor. Sie hatten die von Ada entwickelte Methode, die die Strukturbiologie revolutionierte, kopiert und weiterentwickelt. Ihre Präsentation war wie ein Donnerhall."

Danach arbeiteten die Teams, bis dahin schon immer 14 Stunden am Tag im Einsatz, rund um die Uhr. "Einmal konnten wir vier Wochen am Stück am Speicherring Doris in Bahrenfeld messen", erinnert sich Schlünzen. Im Zwei-Schichten-Dienst nutzten sie die Chance. Freunde und Verwandte sahen die Mitarbeiter von Yonath, Forscher, Techniker und wissenschaftliche Mitarbeiter, damals nicht mehr. "Silvester haben wir dann am Speicherring gefeiert."

Heute feiert Ada Yonath, die 2004 aus der Max-Planck-Gesellschaft ausschied und als Direktorin am Weizmann-Institut tätig ist, mit Tochter und Enkeltochter. Letztere war gerade zu Besuch, als das Telefon klingelte und die Welt verfolgten konnte, wie ihr Stockholm die Verleihung des Preises mitteilte.

Tochter und Enkeltochter werden - wie Anat Bashan, Yonaths leitende Forscherin am Weizmann-Institut, François Franceschi, ehemals im Berliner Team und Frank Schlünzen - Ada Yonath zur Preisverleihung begleiten. "Das ist", sagt Schlünzen, "eine große Auszeichnung und Würdigung der Arbeit der Mitarbeiter, die nicht nur ihren Job gemacht haben, sondern mit viel Herzblut und Begeisterung den Weg für diesen Nobelpreis geebnet haben."