Aus dem Eisenbahn-Basistunnel durch den Lötschberg strömen pro Sekunde 100 Liter warmes Bergwasser. Quelle für eine Fischzucht.

Zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis entstand der längste Eisenbahntunnel Europas, der Lötschberg-Basistunnel. Ganz nebenbei lieferte diese Baustelle der Superlative in den Schweizer Alpen das warme Wasser für ein öffentlich zugängliches Tropenhaus, in dem Störe und Wärme liebende Pflanzen gezüchtet werden - ein weltweit einzigartiges Experiment, das vom kommenden Sonnabend an für den Publikumsverkehr öffnet.

"Wir könnten einen Safe benötigen", kommt Geschäftsführer Dr. Fritz Jost während der zweistündigen Führung über das Gelände ins Schwärmen. Einen Safe? Für Geld?! "Nein, nicht für Geld", lautet die lapidare Antwort, "für den Kaviar." Der soll in Zukunft in den Bassins im Tropenhaus geerntet werden.

Auf einem Areal von zwei Hektar, eingezwängt zwischen Bach und Kantonalstraße, ist das Tropenhaus Frutigen zu Füßen des imposanten Panoramas der Kandertaler Bergwelt entstanden. Allerdings hat es seit der Machbarkeitsstudie etliche Jahre gebraucht, bis die ausgefallene Idee eines der Vorgänger von Fritz Jost verwirklicht worden ist und nun aus der Not eine Tugend gemacht wird.

Der ehemalige Ingenieur der Bauleitung sah sich beim Vortrieb des fast 35 Kilometer langen Lötschberg-Basistunnels auf der Nordseite mit 100 Litern pro Sekunde aus dem Fels austretendem warmen Quellwasser konfrontiert. Ungekühlt abgeleitet hätte es die Bestände der einheimischen Forellen gefährdet, die zum Laichen vom Thuner See in die kalten Bergbäche aufsteigen. Die richtige Eingebung lieferten dem Ingenieur seine Angelleidenschaft und die russische Ehegattin: So entstand das Projekt der ersten Schweizer Störzucht mit 60 Freilandbassins, verbunden mit dem Anbau tropischer Früchte und eigener Gastronomie! Also tropische Inseln in den Alpen.

Für gutes Wachstum benötigen Störe 15 bis 20 Grad warmes Wasser. Kommt es auch noch kristallklar und von Bakterien oder Viren unbelastet direkt aus dem Berg, umso besser! Im Tropenhaus Frutigen ist so für die tägliche Runderneuerung des gesamten Fließwassers und durch seine Abkühlung über eine Wärmepumpe kostenlos für zusätzliche Energiegewinnung gesorgt. Der überwiegend im Süßwasser lebende Knorpelfisch aus der Urzeit mit seinem wohlschmeckenden, fast grätenlosen Fleisch von bis zu fünf Metern Länge wächst unter solchen optimalen Voraussetzungen wesentlich schneller auf als in freier Natur. So soll der Rogen der Weibchen beim hier in der Aufzucht eingesetzten Sibirischen Stör in der Hälfte der sonst üblichen Zeit bereits nach sechs Jahren gewonnen werden. Für den jungen Fischereimeister Patrick Güfel aus Österreich eine Herausforderung: "Mit der Regenbogenforelle oder dem afrikanischen Wels habe ich schon gearbeitet, aber Störe als noch relativ junge Spezies in der Fischzucht sind ein ganz besonderer Nervenkitzel! Blick und Gefühl für die Bestimmung des Geschlechts oder der Kaviar-Reife muss man sich Schritt für Schritt aneignen." 60 000 Tiere sollen irgendwann in den Bassins ihre Runden ziehen.

Kaviar ist knapp, teuer und begehrt. Die traditionellen Störfanggebiete Russlands und Irans sind überfischt oder von Schmugglern ausgeplündert. Das lukrative Geschäft mit dem schwarzen Gold ruft weltweit seriöse Investoren und halbseidene Spekulanten auf den Plan, deren Palette vom buchstäblichen Etikettenschwindel auf den kostbaren kleinen Dosen bis hin zum mutmaßlichen Anleger- und Subventionsbetrug reicht.

Die Hauptlast des Investitionsvolumens der Tropenhaus Frutigen AG mit von anfangs fünf auf heute rund 30 Millionen angestiegenen Schweizer Franken wird gemeinsam von der landesweit zweitgrößten Einzelhandelskette Coop und der Nummer zwei unter den Schweizer Energieversorgern, BKW, gestemmt.

Ob sich das rechnet? Nun, für ein zwar aufwendiges, aber zukunftsweisendes Auftreten in der Öffentlichkeit in Sachen nachhaltiger Lebensmittelproduktion in einer Kreislaufanlage sowie Stromerzeugung im Bereich erneuerbarer Energie aus Geothermie, Sonnenenergie und Biogas womöglich allemal. Dafür haut man hier auch schon mal gerne auf die Pauke und träumt bereits davon, tonnenweise Kaviar an Singapore Airlines zu liefern.