Zwei Bremer Frachtschiffe nutzten erstmals die gefährliche Arktis-Route. Der Klimawandel macht's möglich: Die Direktverbindung Asien-Europa ist zeitweise eisfrei. Doch sie hat ihre Tücken.

"Mission erfüllt - Weltpremiere geglückt", verkündete die Bremer Reederei Beluga Shipping vor wenigen Tagen. Ihr ist gelungen, was lange Zeit undenkbar galt: Zwei ihrer Frachtschiffe haben einen großen Teil der Nordostpassage durchquert - einen Seeweg, der seit seiner Entdeckung im 17. Jahrhundert die Fantasie der Seefahrer beflügelt hat. Entlang der Nordküsten Europas und Asiens führt er vom Weißen Meer bis zur Beringstraße und gilt als kürzeste Verbindung zwischen Asien und Europa. Allerdings war die Passage bislang für normale Frachter nicht befahrbar. Packeis, Eisberge und driftende Schollen machten die Reise unmöglich.

Bis vor zwei Jahren. 2007 verkündeten Forscher die bislang geringste Eisausdehnung in der Arktis, die Nordostpassage war für wenige Wochen eisfrei. 2008 und 2009 wiederholte sich der Trend. Die Route war befahrbar - aber noch immer gefährlich: Starke Winde und wandernde Eisschollen können auch bei offenem Wasser tückische Erhebungen im Packeis ("Presseisrücken") auftürmen, die ein Schiff mühelos zerquetschen können. Dem zum Trotz wollte Reeder Niels Stolberg schon 2008 die Pionierfahrt wagen. Die Bearbeitung der Anträge durch die russischen Behörden dauerte aber so lange, dass die arktische See wieder zufror.

Für 2009 bereitete Stolberg sich darum vor. Er traf sich frühzeitig mit russischen Behördenvertretern, ließ Hunderte Dokumente stempeln und engagierte zwei erfahrene russische Kapitäne - eine Bedingung Russlands, weil die meisten Lotsen entlang der Strecke kaum Englisch sprechen.

Am 23. Juli verließ die "MS Beluga Fraternity" die südkoreanische Stadt Ulsan, fünf Tage später folgte ihr die "MS Beluga Foresight". Geladen hatten sie Module für ein Kraftwerk im sibirischen Surgut. Doch schon in Wladiwostok im südöstlichsten Zipfel Russlands gab es erste Komplikationen: Denn die Russen bestanden darauf, Behördenvertreter an Bord zu schicken. Die aber ließen sich Zeit. Täglich gingen die russischen Kapitäne Aleksander Antonov und Valeriy Durov auf ihren Frachtern auf und ab und warteten. "Das war keine allzu gute Zeit", sagt Antonov. Über 20 Tage harrten sie aus, bis es grünes Licht gab. "Am Ende aber war das ganz gut: Die Eissituation auf unserer Route ist derzeit die beste, die wir hätten erwarten können."

Mit durchschnittlich 14 Knoten nahmen die Schiffe Kurs auf Sibirien. Sie ließen die Wrangel-Insel hinter sich, Eis war nirgends zu entdecken. "Das war eine Überraschung für mich", sagt Kapitän Durov. "Ich habe bereits in der östlichen arktischen See auf Frachtschiffen gearbeitet und erinnere mich an sehr viel Eis. Wir nutzten Eisbrecher, um voran zu kommen. Aber das ist 20 Jahre her."

Kapitäne und Frachter wurden speziell vorbereitet. Die Schiffswände sind verstärkt, die Kapitäne bekamen eine spezielle Schulung. Täglich informieren Meteorologen der Universität Bremen und aus Sankt Petersburg Beluga Shipping mit aktuellen und hochauflösenden Satellitenbildern über die Eisbewegungen. Und für den Ernstfall sagte Russland bereits im Vorfeld den Einsatz von Atom-Eisbrechern zu. Zwei von ihnen kamen letztlich auch zum Einsatz, bei der Durchquerung des nördlichsten Punktes der Route, der Wilkitzkistraße, wo es an einigen Stellen geringe Eisvorkommen gab.

Am siebten September erreichten die Schiffe ihren Löschhafen Novy Port im Delta des Flusses Ob. Der größte und riskanteste Teil der Reise war geschafft. In der vierten Septemberwoche sollen die Schiffe in ihrem Zielhafen Rotterdam einlaufen.

Für Reeder Niels Stolberg ist die Passage ein voller Erfolg. Die finanziellen Risiken der Pionierfahrt trägt der Auftraggeber General Electric. Er zahlte auch den Einsatz der Eisbrecher und die Ausfälle für die Wartezeit in Wladiwostok. Langfristig könnte sich der Weg durch die Arktis für Kunden und Reeder durchaus lohnen.

"Auf der üblichen Route durch den Suez-Kanal würde die Distanz von Ulsan nach Rotterdam 11 000 Seemeilen betragen", sagt Stolberg. "Jetzt legen beide Frachter für die Strecke Ulsan - Novy Port - Rotterdam rund 8700 Meilen zurück - und die Differenz ist nur deshalb nicht noch größer, weil allein das Ein- und Ausfahren zum Löschhafen mit rund 1000 Seemeilen zu Buche schlägt." Rechnet man nur die reine Fahrtzeit durch die Passage, könnte ein Schiff etwa neun Reisetage und 200 Tonnen Treibstoff einsparen - bei 400 US-Dollar Kosten pro Tonne eine lukrative Alternative, "zumal es in den arktischen Gewässern keine Piraten gibt", ergänzt Kapitän Durov.

Ob die Route in Zukunft wirklich wirtschaftlich genutzt werden kann, ist unter Reedern umstritten. Die Schiffsklassifikationsgesellschaft Det Norske Veritas zumindest sieht in absehbarer Zeit wenig Potenzial, zumal die zeitnahe Lieferung von Containern über die arktischen Routen nicht gewährleistet werden könne (siehe Extratext). Niels Stolberg ficht das nicht an. Er will auch 2010 den Weg durch die Nordostpassage nutzen. Erste Kontrakte sind schon unterzeichnet.