Muskeln statt Maschinen, kein Strom und Wasser nur aus Brunnen: Beim Projekt Guédelon ist Originaltreue Trumpf. Die praxisnahe Wissenschaft zieht jährlich 265 000 Besucher an.

Wie baute man im 13. Jahrhundert eine Burg? Wie entstanden die trutzigen Gebäude zu einer Zeit, in der es weder Strom noch fließend Wasser gab und alle Werkzeuge selbst geschmiedet wurden? Der Franzose Michel Guyot (62), Eigentümer mehrerer Schlösser, die er durch Eintrittsgelder in Schuss hält, wollte es wissen. Mitte der 90er-Jahre scharte er Archäologen, Restaurateure sowie Liebhaber alter Gemäuer um sich und entwarf das Projekt Guédelon: 40 Kilometer südlich von Auxerre, mitten im Herzen des Burgund, errichten 57 Mitarbeiter und jährlich 200 bis 300 ehrenamtliche Helfer eine kleine Festung im Stil des 13. Jahrhunderts - nur mit mittelalterlichen Techniken. Geplante Bauzeit: 25 Jahre.

Der Grundstein wurde 1998 gelegt. Seitdem wächst der Bau im Schneckentempo. Zu Zeiten des Mittelalters entstanden Burgen in zehn bis 15 Jahren, je nach den finanziellen Verhältnissen des Bauherrn, die die Anzahl der Arbeiter bestimmten. Dass die heutigen Burgbauer ein Vierteljahrhundert brauchen, liegt zum einen daran, dass im 13. Jahrhundert keine Aufzeichnungen zur Bautechnik gemacht wurden - sie muss nun mühselig rekonstruiert werden. Zum anderen will das Projekt die praxiserprobten Erkenntnisse möglichst vielen Menschen nahebringen.

"Wir haben jährlich um die 265 000 Besucher", sagt Hein Koenen (49). Der Niederländer führt deutschsprachige Gäste über die scheinbar älteste Baustelle der Welt. 60 000 bis 70 000 davon sind Schulkinder. Guédelon steht in Mittelfrankreich inzwischen in den Lehrplänen der Schulen. Wo sonst erscheint das Mittelalter so lebendig wie auf einer Baustelle, auf der mehr als 200 Menschen in zeitgenössischer Kleidung werkeln?

An der Burg herrscht Hochbetrieb. 2000 bis 3000 Besucher flanieren täglich durch den staubigen gelben Sand, inspizieren die Gewölbe im Erdgeschoss des Hauptturmes und des Kapellenturmes, schauen durch das glaslose Fenster der Küche (Koenen: "der einzige Raum, in den es nicht hineinregnen kann"). Sie erklimmen den ersten Stock des Wohnhauses, das gerade sein Dach erhält.

Zu Füßen der Festung machen sich die Handwerker breit. Steinmetze spalten Felsblöcke und behauen sie zu Mauersteinen - mit Keilen und Meißeln. Die Schmiede sind hauptsächlich damit beschäftigt, die Meißel der Steinmetze zu reparieren. Eisen war im Mittelalter kostbar, abgenutzte Geräte wurden immer wieder aufgearbeitet. 20 bis 30 Meißel richten die Schmiede am Tag wieder her, dazu produzieren sie Nägel, Türangeln und andere Eisenteile. Die Zimmerer bauen Holzgerüste und Schalungen zum Stützen der Gewölbe, Türen, Treppen und Brücken. Die Ziegelbrenner liefern die Dachziegel. 20 000 Stück werden in diesem Jahr gebrannt, insgesamt werden 80 000 gebraucht. Seiler verdrillen Hanffäden zu Taue, Korbflechter fertigen Tragegestelle und Behälter.

Die vielen Besucher, die den Handwerkern zuschauen, erfordern zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen. Doch ohne Publikum geht's nicht, schließlich finanziert es den Bau. Koenen: "Von den Eintrittsgeldern bezahlen wir unser Personal. Das Material bekommen wir fast kostenlos: Wir bauen hier in einem alten Steinbruch, und unser 120 Hektar großer Wald liefert das Bauholz."

Ganz ohne Zukäufe kommen die Burgbauer aber nicht aus. So muss gebrannter Kalk beschafft werden, der mit feinem Sand zu Mörtel verrührt wird. "Zunächst mussten wir an Burgruinen herausfinden, wie damals die Arbeiter den Mörtel zubereitet hatten", erzählt Koenen. Sie benutzten gebrannten Kalk. Den haben wir ganz normal gekauft. Doch beanstandete unser wissenschaftlicher Beirat, der über die Authentizität des Baus wacht, dass heute der Kalk bei Temperaturen von 1300 bis 1400 Grad gebrannt wird, im Mittelalter dagegen mit 900 Grad. Wir haben schließlich ein Kalkwerk gefunden, das uns einmal pro Jahr 40 Tonnen Kalk mit der niedrigeren Temperatur brennt." Der Beirat monierte auch das Gewölbe im Erdgeschoss des Kappellenturms. Es sei millimetergenau gebaut - das war im 13. Jahrhundert noch nicht möglich.

Auch das moderne Arbeitsrecht verlangt, dass in manchem Detail nicht ganz originalgetreu gebaut wird: Die Hanfseile der Lastenaufzüge sind mit Stahlkernen verstärkt und die Handwerker müssen bei einigen Arbeiten Schutzhelme tragen. Die Helme wurden kurzerhand mit Strohkappen getarnt, damit sie das mittelalterliche Bild nicht stören.

Die mittelalterliche Baustelle ist von Mitte März bis Ende Oktober in Betrieb. Eintritt/Erwachsene: 9 Euro; Internet: www.guedelon.fr