Die Fasern greifen das Immunsystem an und wirken wie Asbest, wiesen Forscher aus China und den USA nach.

Hamburg. Welche Schäden drohen durch die Nanotechnik? Denn in dieser Zukunftstechnologie, der Welt des Winzigen, bekommen die auch sonst gebräuchlichen Stoffe völlig neue, unvorhersehbare Eigenschaften. Nanopartikel können das Immunsystem schädigen und Zellen zerstören, weil sie in die biologischen Signalwege eingreifen, ergaben Versuche mit Mäusen. Zunehmend widmen sich Forscher der Frage: Welche Gefahren birgt die Wissenschaft kleinster Bauteile und Materialien?

Die Berichte von zwei Expertenteams aus den USA und China nähren die Sorge um gesundheitliche Folgen der Nanotechnik, auch für den Menschen. Demnach greifen die winzigen, nur wenige Millionstel Millimeter (Nanometer) großen Partikel in die Signalketten der Zellen ein.

Ein Nanometer (Abkürzung nm, ein Millionstel Millimeter) ist unvorstellbar klein. Der Durchmesser eines roten Blutkörperchens beträgt schon etwa 7000 Nanometer. In diesen winzigen Dimensionen verändern sich die Eigenschaften der Materialien. Isolierende Stoffe können plötzlich elektrisch leitend werden, andere Substanzen lösen sich in Flüssigkeiten, obwohl sie das vorher nicht taten.

Weitere Stoffe werden durchsichtig oder ändern ihre Farbe. Mit der Atemluft gelangt derart Kleines unweigerlich in die letzten Verästelungen der Lunge - und von dort aus in viele Teile des Körpers. Viele Zellen nehmen solche Partikel auch durch ihre Membran auf.

Jacob McDonald vom Lovelace Respiratory Research Institute in Albuquerque (US-Staat New Mexico) experimentierte mit Nanoröhrchen. Das sind feine Röhren aus Kohlenstoff. Diese entstehen, wenn sich ein Gitter aus Kohlenstoffatomen aufrollt. Die Röhren erinnern an aufgerollten Kaninchendraht, es gibt sie ein- oder mehrlagig, mit offenen oder geschlossen Enden, gefüllt mit anderen Verbindungen oder leer.

Die Röhren sollen neue Halbleiter und Sensoren, stabile Materialien und vieles mehr möglich machen. Der Durchmesser liegt zwischen einem und 50 Nanometern, die Länge kann Millimeter erreichen. Viele Forscher fühlen sich an Asbestfasern erinnert.

McDonald ließ Mäuse in einer Art Terrarium Nanoröhrchen inhalieren: sechs Stunden täglich, 14 Tage hintereinander, in Konzentrationen von 0, 0,3 und 1 Milligramm je Kubikmeter Luft. Die Beobachtung: Mäuse, die die höchste Konzentration erhielten, hatten ein unterdrücktes Immunsystem. Die Erklärung: Die Nanoröhren wirken auf die Zellen in der Auskleidung der Lungen. In der Folge wird von dort das Signalmolekül TGF-fÀ (transforming growth factor beta) ausgesendet, das seine Wirkung unter anderem in der Milz entfaltet, die eine wichtige Rolle für die Vermehrung weißer Blutkörperchen hat. In der Milz greift das Signalmolekül in die Regulierung eines Enzyms ("Cyclooxygenase") ein. Folge ist eine Fehlfunktion der weißen Blutzellen (T-Zellen). Gesunde T-Zellen haben aber entscheidenden Anteil am intakten Immunsystem. Bei Mäusen, die aufgrund eines Gendefekts keine Cyclooxygenase haben, hatte die Inhalation der Nanoröhrchen keine Auswirkungen.

Das zeigt deutlich die Rolle dieses Enzyms, berichtet McDonald im Journal "Nature Nanotechnology". Er ergänzt: "Unsere Resultate legen den Schluss nahe, dass Signale von der Lunge Signale in der Milz aktivieren, die das Immunsystem von Mäusen unterdrücken, die Nanoröhrchen inhaliert haben."

Ein weiterer Beleg für die These der US-Forscher: Mäusen, die nach der Inhalation der Röhren Probleme mit den T-Zellen hatten, konnte durch das Schmerzmittel Ibuprofen teilweise geholfen werden. Ibuprofen unterdrückte die Weiterleitung des Signals von der Lunge zur Milz, heißt es in "Nature Nanotechnology" von Alison Elder vom Institut für Umweltmedizin der University of Rochester in New York. Diese Resultate seien faszinierend und zeigen, mit welchen Folgen zu rechnen sei, wenn der Mensch wiederholt der Inhalation der Nanoröhren ausgesetzt sei. Auch Elder weist darauf hin, dass die Kohlenstoffröhrchen nach Form und Funktion ähnliche Eigenschaften haben könnten wie Asbest.

Was in Zellen passieren kann, erforscht eine Gruppe um Chengyu Jiang, Molekularbiologe an der Akademie der Wissenschaften in Peking. Im "Journal of Molecular Cell Biology" beschreibt er, dass eine Klasse künstlicher Nanopartikel menschliche Zellkulturen dazu anregt, sich zu verdauen und damit umzubringen. Damit sei ein Mechanismus beschrieben, durch den die winzigen Stoffe Schäden auslösen können. Ein Gegenmittel haben die Forscher nicht. Sie beschreiben aber, dass sich einige Zellen mit einem Wirkstoff (3-Methyladenin) vor dem Untergang bewahren lassen - diese Verbindung stoppt die Selbstverdauung.