Ernährung: Die Hinweise häufen sich, dass eine reduzierte Kalorienzufuhr die Lebenserwartung erhöht

Es war 1915, als ein paar Laborratten an der Yale University in New Haven, USA, deutlich zu alt wurden. Doch damals kannten Biologen keine Langlebigkeitsgene, sie sprachen noch nicht von Verjüngungspillen. Thomas Osborne und Lafayette Mendel wollten eine kurz zuvor aufgestellte Theorie bestätigen: Lebewesen, die wenig Nahrung zu sich nehmen, würden weniger Energie verbrauchen und deshalb langsamer altern. Die Ernährungsforscher setzten Ratten dauerhaft auf Diät und hatten Erfolg.

Spätere Versuche mit Würmern, Hefepilzen, Fliegen und Mäusen brachten das gleiche Resultat. Die Effekte der Kalorieneinschränkung finden sich in nahezu jeder getesteten Art, weiß auch der Biochemiker Stephen Spindler von der University of California in Riverside, USA. Mit Kollegen gelang ihm jetzt eines von vielen Experimenten aus der jüngsten Vergangenheit, die daraufhin deuten, dass die meisten Organismen Programme besitzen, die sie bei Bedarf aktivieren um Alterungsprozesse aufzuhalten.

Spindler reduzierte die Nahrung bei Mäusen und analysierte über die folgenden Monate hinweg die Aktivität sämtlicher Gene in den Leberzellen der Tiere. Nach etwa zwei Monaten zeigte die Schmalkost Wirkung. Viele Gene wurden nun häufiger oder seltener in Eiweiße übersetzt, zumeist solche, die den Stoffwechsel verändern oder als Wachstumsfaktoren, Immunboten und Entzündungsvermittler dienen ("PNAS", Bd. 101, S. 5524). Diese breite körperliche Umstellung dürfte erklären, was Forscher immer wieder beschreiben: Fasten verlangsamt chronisch entzündliche Prozesse und die Wucherung bösartiger Zellen. Dadurch bremst es das Auftreten oder Fortschreiten typischer Altersleiden wie Diabetes, Arteriosklerose und Krebs. Spindlers Mäuse zum Beispiel lebten - vor allem weil ihr Tumorrisiko sank - durchschnittlich fünf Monate länger als nicht hungernde Artgenossen. Das ist etwa ein Siebtel Mäuseleben.

Manche Menschen fasten angesichts solcher Resultate schon seit Jahren. Dass ihre Hoffnung auf ein extra langes Leben ohne Krebs und Herzinfarkt bislang nur von Tierversuchen untermauert wird, ficht sie nicht an. In den USA haben sie eine Gesellschaft zur optimalen kalorienreduzierten Ernährung gegründet. 18 ihrer 900 Mitglieder, die jeden Tag nur fast die Hälfte der durchschnittlichen amerikanischen Kalorienmenge von 2000 bis 3500 Kilokalorien essen, schaute sich jetzt ein italienisch-amerikanisches Ernährungswissenschaftlerteam um Luigi Fontana genauer an.

Tatsächlich scheint es den fastenden Menschen ähnlich zu ergehen wie hungernden Mäusen. Risikofaktoren für das Auftreten von Alterskrankheiten sind bei ihnen ungewöhnlich schwach ausgeprägt: Cholesterin- und Körperfettwerte, Entzündungsindikatoren, Blutdruck und vieles mehr lassen sie um Jahre verjüngt erscheinen ("PNAS", Bd. 101, S. 6659).

Damit ist zwar kaum etwas bewiesen, da die Gruppe viel zu klein ist und weil offen bleibt, ob die Wenigesser mit ihren beeindruckenden Laborwerten tatsächlich länger leben. Doch das Resultat passt: "Mich wundert das Ergebnis nicht", sagt Ernst Hafen, Biologe an der Zürcher Universität, der seit Jahren Fruchtfliegen-Gene aufspürt, die Entwicklung und Altern steuern: Warum soll Lebensverlängerung durch Fasten ausgerechnet beim Säugetier Mensch nicht funktionieren?

Seit zwei Jahrzehnten zeige die Entwicklungsbiologie, die sich mit Grundlagen der Gestaltbildung von Lebewesen beschäftigt, dass Resultate von primitiven Modellorganismen wie Fadenwürmern oder Fruchtfliegen Rückschlüsse auf das physiologische Geschehen des Menschen erlauben. Immer wieder hätten Forscher verwandte Gene entdeckt, die ähnliche Entwicklungsschritte steuerten, so Hafen: Dabei geht es um Prozesse, die so grundsätzlich sind, dass schon die gemeinsamen Vorfahren vor 600 Millionen Jahren mit ihnen die gleichen Probleme lösten.

Eines dieser Probleme ist die Reaktion auf Hungersnöte: Energiesparen ist angesagt, also Nachwuchsproduktion aussetzen, Wachstum einschränken. "Lieber eine kleine sterile Fliege, die herumfliegen und Nahrung suchen kann, als eine verhungerte", sagt Ernst Hafen. Weil diese Fliege ihre Gene aber nicht weitergibt, macht der gleichzeitige Alterungsstop Sinn: Ihn vermitteln Enzyme, die aggressive Sauerstoffradikale unschädlich machen sowie Eiweiße, die Schäden an der Erbsubstanz reparieren oder Entzündungsherde unterdrücken. Das hält die Fliege jung, bis es wieder genug zu fressen gibt, sie Nachwuchs bekommen kann und es - biologisch gesehen - Sinn macht, zu altern und der nächsten Generation Platz zu machen.

Zu spekulativ? Die Biologen antworten mit verblüffenden Fakten. Bei Würmern, Fliegen und Säugetieren sind die Auslöser des Überlebensprogramms gleich: das Absinken des Hormons Insulin und einer verwandten Substanz namens IGF. Sie lassen als Reaktion auf ungünstige Umweltbedingungen nach oder als indirekte Folge dauerhaften Fastens, weil Insulin nach dem Essen ausgeschüttet wird. Zudem sind viele Gene der Signalkaskade aus Empfängermolekülen und Botenstoffen, die die Insulinbotschaft in zelluläre Antworten übersetzen, unerwartet ähnlich.

Egal bei welchem Organismus und egal an welcher Stelle: Immer wenn die Forscher in den Insulinweg eingreifen, drehen sie an der Lebensuhr. Schon vor zehn Jahren entdeckten sie einen Fadenwurm, der doppelt so lang lebt wie seine Artgenossen, weil ein Insulin-Empfänger nicht richtig funktioniert. Im Frühjahr 2004 fand Ralf Baumeister von der Universität Freiburg im Breisgau bei Würmern der gleichen Art ein Schlüsselenzym: SGK-1 wird von Insulin aktiviert und entscheidet dann, ob das lebensverlängernde Programm an- oder abgeschaltet wird, indem es viele Gene gleichzeitig beeinflusst.

Der Molekularbiologe schätzt Insulin als Tausendsassa. Es steuere nicht nur den Zuckergehalt im Blut sondern auch den Fettstoffwechsel, regele viele Antworten auf gefährliche Umweltsituationen wie etwa die Nahrungsknappheit und beeinflusse das Immunsystem. Und das ist sicher nur die Spitze des Eisbergs.

Seine Wurm-Experimente direkt auf den Menschen anwenden möchte Ralf Baumeister indes genauso wenig wie der Zürcher Ernst Hafen seine Fliegen-Versuche. Und doch: Im gesamten Insulinweg sind die Grundprinzipien scheinbar eins zu eins übertragbar, sagt der Freiburger, beim Menschen ist alles aber viel komplizierter.

Eine Verjüngungspille sehen die Forscher folglich noch lange nicht am Horizont. Den Insulingehalt medikamentös zu drosseln, sei viel zu riskant, meint Ernst Hafen. Das wirke entweder nicht, oder es löse Diabetes aus. Man müsse viel genauer eingreifen, glaubt auch Ralf Baumeister: Wenn es eines Tages gelingt, die Signalwege gezielt zu beeinflussen, lassen sich typische Alterserscheinungen wie Krebs vielleicht bremsen. Das langfristige Risiko solch tiefer Eingriffe in den menschlichen Stoffwechsel dürfe aber niemand unterschätzen.

Vorerst scheint das dauerhafte Fasten der einzige, wissenschaftlich halbwegs untermauerte Weg gezielter Lebensverlängerung zu sein, und der ist auch nicht ungefährlich. Magersüchtige Menschen sind ein mahnendes Beispiel, was droht, wenn man das Fasten übertreibt. Ernst Hafen würde dieser Kalorienreduktionsgesellschaft nie beitreten: "Dazu esse ich einfach zu gern."