Sinnesschulungen sollen helfen, Kinder auf den Geschmack von frischen, unverfälschten Lebensmitteln zu bringen.

Wer mit Pommes und Ketchup (enthält bis zu 20 Prozent Zucker) aufwächst, wird auch als Erwachsener salz- und zuckerhaltige Lebensmittel bevorzugen und gesündere Kost links liegen lassen. "Die Ernährung in den ersten fünf Lebensjahren ist entscheidend", sagt Silke Schwartau, Ernährungsberaterin bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Deshalb besuchen sie und ihre Kollegen regelmäßig Vor- und Grundschulen, um mit dem Nachwuchs den Geschmackssinn zu trainieren - wie beim Gastspiel in der zweiten Klasse der Heinrich Wolgast Schule in St. Georg. Die 25-köpfige Gruppe Sechs- und Siebenjähriger aus fünf Nationen hat bei der Ernährungsexpertin Vorschusslorbeeren geerntet: Die Kinder siegten beim Malwettbewerb der Verbraucherzentrale "Nähe schafft Vertrauen". Die damaligen Erstklässler brachten prächtige Bilder zu regionalen Lebensmitteln zu Papier. Doch nun muss sich die unruhige Schar beim Praxistest bewähren. Zuerst verteilt Silke Schwartau je eine Scheibe einer großen Pellkartoffel und einer kleinen Fertigkartoffel aus dem Glas. "Die frischen vom Feld finde ich besser", urteilt Josef. "Die kleinen schmecken pulverig", sagt Nina; "sie sind gesalzen", ergänzt Fetiye. Sercan erinnern die eingelegten Kartoffeln an Champignons aus der Dose, Mustafa kann bei den Erdäpfeln keinen Unterschied feststellen: "Beide schmecken wie Chips." Silke Schwartau warnt vor zu viel Salz in Fertigprodukten: "Es reizt, ebenso wie Zucker, zugesetzte Aromen und Geschmacksverstärker, die Geschmacksnerven. Die Zunge will dann mehr und mehr. Dies fördert Übergewicht." In der zweiten Runde geht es um Äpfel, zunächst in Saftform. Die erste Probe ist naturtrüb. "Der ist bestimmt lecker, denn der riecht ganz toll nach Äpfeln", strahlt Jan-Luca schon vor dem ersten Schluck. Recht hat er: Durch die Kehlen fließt reiner Apfelsaft. Die verdünnte Form aus Konzentrat fällt dagegen bei vielen Nachwuchstestern durch. Die Scheibe vom frischen Apfel wird eher nebenbei verkostet. Interessanter sind da schon die Apfel-Chips. Eine detaillierte Beschreibung fällt schwer. "Der Chip schmeckt süß", meint Murtasa, "mir schmeckt er sauer", entgegnet Imranullah. Sehr viel eindeutiger ist das Urteil der Kinder über gezuckerte, grün-weiße Gummidinger, die der Hersteller "Saure Apfelringe" nennt. "Da sind keine Äpfel, sondern nur Aromen drin", stellt Lotti (7) fachmännisch fest. Und Josef ergänzt: "Sie schmecken aber trotzdem nach Apfel. Der Geschmack wurde einfach nur hineingepresst." Viel besser hätte Silke Schwartau es auch nicht ausdrücken können. Zu guter Letzt stehen Molkereiprodukte auf den Tischen. "Ein 150-Gramm Becher Erdbeerjoghurt wie dieser enthält gerade einmal eine Erdbeere", klärt Silke Schwartau die Klasse auf, "der Rest ist künstliches Aroma." Für den Geschmacksunterricht reicht sie eine Industrievariante mit Himbeergeschmack. Alternativ hat sie Joghurt mit frisch pürierten Himbeeren zusammengerührt. Allgemeiner Eindruck: Der dunklere Joghurt, das Naturprodukt, ist saurer. "Der helle schmeckt nach Erdbeere", meint Deniz. Bei Mareike kommt das Industrieprodukt nicht an: "Mir ist der zu süß." Das sieht Mustafa ganz anders. Er hält das Schälchen mit dem Naturjoghurt hoch. "Ich finde diesen ekelig." Die anschließende Abstimmung brachte ein Remis zwischen Natur- und Industrieprodukt. Silke Schwartau ist mit dem Ergebnis der Geschmacksschulung zufrieden: "Ich bin überrascht, wie groß das Wissen der Kinder ist. Dies zeigt deutlich, dass es sich lohnt, über die richtige Ernährung zu Hause und im Unterricht zu sprechen." Mindestens genauso entscheidend ist jedoch das Ernährungsverhalten der Eltern. Silke Schwartau: "Kinder lernen weniger durch reden, sondern vor allem durch Nachahmung." Besonders wichtig seien täglich eine warme Mahlzeit und sich Zeit zum Essen zu nehmen. Wenn die Erwachsenen dem Nachwuchs auch noch Spaß am Kochen vermitteln, sind die Weichen für eine gesündere Ernährung gestellt. Denn wer nicht weiß, wie man frisches Gemüse schmackhaft zubereitet, wird später eher zur Tiefkühlpizza greifen.